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Donald Rumsfeld und das "Alte Europa"

Donald Rumsfeld bringt neue Töne in die Debatte um den offenbar bevorstehenden Irak-Krieg. Deutschland und Frankreich repräsentieren mit ihrer ablehnenden Haltung zum Krieg für den US-Verteidigungsminister das "alte Europa", dessen Bedeutung aber abnehme, weil sich "das Zentrum Nato-Europas nach Osten verlagert". Eine riesige Zahl anderer Länder sieht Rumsfeld in dieser Frage "auf der Seite der USA". Und, wie man spätestens seit den letzten Äußerungen von Präsident Bush weiß, ist jeder, der nicht an der Seite der USA steht, ihr Feind ...
Davon abgesehen, was den Feinden der USA blühen mag: Was meint Rumsfeld eigentlich mit "Altem Europa"?

Matthias Felsmann, Chefredakteur

Das mittelalterliche Europa unter Karl dem Großen?

Möglicherweise ist es das, was Rumsfeld meint: Das Reich Karls I. - im Jahr 800 zum römischen Kaiser gekrönt - umfasste u.a. weitgehend die Territorien des heutigen Frankreich und Deutschland. Die USA gab es damals noch nicht, doch die Zeiten waren bereits kriegerisch. Wir meinen trotzdem: Bis ins Mittelalter wird die historische Anspielung wohl nicht reichen.

Das Europa des 19. Jahrhunderts?

Eine knifflige Frage, denn das 19. Jahrhundert war unübersichtlich und eignete sich damit eigentlich nicht für plakative Vergleiche, wie sie der Verteidigungsminister liebt. Wie auch immer: Im Europa der "Heiligen Allianz" schlossen sich 1815 Russland, Österreich und Preußen gegen das Frankreich Napoleons zusammen. Dieses Europa kann nicht gemeint sein. Später war das 19. Jahrhundert eher mit der Ausbildung von Nationalstaaten als mit kontinentalen Zusammenschlüssen beschäftigt. Rumsfeld muss noch etwas anderes im Sinn haben.

Das Europa zwischen den Weltkriegen?

Deutschland war lange Zeit isoliert. Trotz des Locarno-Vertrages 1925 blieben die Beziehungen zu Frankreich doch - gelinde gesagt - kühl. Paneuropäische Gedanken hatten keine Chance. Auch hier werden wir also nicht recht fündig.

Das Europa des kalten Krieges?

Hier war die Welt sozusagen noch in Ordnung. Es gab die gute Seite - das war die im Westen - und es gab die böse Seite, den Osten. Ein klares, griffiges Szenario. Damit kann die US-Außenpolitik gut umgehen. Überhaupt fiel es damals allen Beteiligten leicht, ihren Standort zu bestimmen. Das ist jetzt ganz anders. Dieses Europa kann Rumsfeld also ebenfalls nicht meinen.

Die Europäische Union?

Irgendwie ist es wohl die Europäische Union mit ihren Vorreitern Deutschland und Frankreich, die Rumsfeld aufs Korn genommen hat. Zumal gerade die Feiern zum vierzigsten Geburtstag des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages im Gange sind. Und demnächst die Osterweiterung der EU ansteht, die die NATO bereits abgesegnet hat. Sind demnächst also die Polen und Tschechen, womöglich später die Bulgaren und Rumänen die Speerspitze der europäisch-amerikanischen Freundschaft? Während Deutsche und Franzosen gemeinsam in ihren Parlamenten debattieren und ständig zögerlich den Kopf hin- und herwiegen? So etwa könnte Donald Rumsfeld es vielleicht gemeint haben.

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