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Ein Herz für Kinder

Sie sind blau, leiden schnell unter Atemnot und haben große Probleme beim anstrengenden Trinken aus dem Fläschchen: Weltweit leidet ein Prozent aller Säuglinge unter einem Jahr an angeborenen Herzfehlbildungen, einige von ihnen so schwer, dass sie ein neues Herz brauchen. Weltweit werden jährlich rund 450 Kinderherzen transplantiert, knapp 100 davon in Europa. Viele der Patienten gehören zu den Allerkleinsten: Sie sind nicht einmal ein Jahr alt.

Schnelle Vermittlung

Statt der normalen dreieinhalb Liter pro Minute und Quadratmeter (so die Maßeinheit eines gesunden Herz-Zeit-Volumens) pumpt ein krankes Kinderherz oft nur die Hälfte der sauerstofftransportierenden Blutmenge durch den Körper. Kann der Herzfehler nicht durch konservierende Operationen behoben werden, hilft diesen Kindern nur noch eine Herzverpflanzung. Bei Kindern über acht Jahren sind nicht Herzfehlfehlbildungen die Hauptursache für eine Transplantation, sondern ein schlecht funktionierender Herzmuskel. Das kann entweder angeboren oder die Folge einer Erkrankung sein.

Anders als bei erwachsenen Herzpatienten sind die Wartezeiten für ein Spenderorgan bei Säuglingen häufig kürzer, auch wenn sie in den letzten Jahren erheblich gestiegen sind. Am Kinderherzzentrum Gießen warten die kleinen Patienten durchschnittlich 110 Tage, bis ein geeignetes Spenderherz gefunden ist. Der Grund hierfür liegt im erkrankten Herz der Kinder selbst. Sie haben Glück im Unglück: Da kranke Herzen größer sind als gesunde, schaffen sie Raum im Körper für größere Spenderherzen. Der Spender kann maximal viermal so groß und schwer sein wie der Empfänger, was den Spenderpool für die Kinder erheblich erweitert.

Insgesamt erhielten bis Mitte 2010 weltweit rund 100.000 Menschen ein neues Herz, davon etwa zehn Prozent Kinder. In Deutschland wurden 2011 341 Herzen transplantiert, 23 davon gingen an Kinder unter 16 Jahren.

 

Chancen für die Allerkleinsten

Die weltweit erste erfolgreiche Herztransplantation an einem Säugling gelang 1985 einem Ärzteteam in Kalifornien. Drei Jahre später waren die Spezialisten im Zentrum für Kinderheilkunde in Gießen die Ersten in Europa: Sie transplantierten einem zwei Monate altem Baby ein neues Herz. Oberarzt Dr. Jürgen Bauer war damals dabei: "Der Junge ist heute zehn Jahre alt, und es geht ihm gut."

Seit Gründung des Zentrums 1988 bis Ende 2009 haben in Gießen 143 Kinder ein neues Herz erhalten – 58 Prozent von ihnen waren nicht einmal ein Jahr alt. Damit ist das Gießener Kinderherzzentrum europaweit führend. Vier Wochen nach der Operation können die Kinder in der Regel nach Hause. Da am Anfang eine hohe Infektionsgefahr besteht, sind die sozialen Kontakte im ersten halben Jahr auf ein Minimum reduziert: Außer mit den Eltern und den Geschwistern dürfen die kleinen Patienten mit niemandem zusammenkommen. "Nach dieser Zeit", so der Gießener Kinderkardiologe Bauer, "verläuft das Leben normal."

 

Frühe Alterung

Gute Nachrichten für Transplantationspatienten: Die Überlebensraten sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Laut der International Society for Heart and Lung Transplantation (ISHLT) liegt sie ein Jahr nach der Operation bei 84 Prozent, weitere neun Jahre später bei rund 60 Prozent.

In der Regel wehrt sich der Organismus gegen implantierte Organe. Deshalb altert ein Spenderherz schneller als normal. Symptome wie Verengungen der Herzkranzgefäße, die sonst bei älteren Menschen zu finden sind, tauchen am fremden Herzen schon wesentlich früher auf. Doch bei Säuglingen ist das Immunsystem noch nicht voll entwickelt. Darum ist die Abstoßung bei ihnen schwächer ausgeprägt. Dennoch kann im jungen Erwachsenenalter eine erneute Transplantation nötig werden.

"Aber jedes Jahr, das ihr neues Herz länger schlägt, macht die Medizin Fortschritte und bringt neue Behandlungsmethoden. Und wenn man später einmal", so die Zukunftsvision von Bauer, "tatsächlich aus den eigenen Zellen der Kinder ein neues Herz wachsen lassen könnte, wäre das wunderbar."

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