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Faszination des Leidens

Erstmals in der Geschichte der Menschheit können wir vom sicheren Sofa aus hautnah einen Krieg verfolgen. Artillerieangriffe, Bombeneinschläge, Zivilisten zwischen den Fronten, Tod, Leid, Zerstörung - und wir sind live dabei. Information oder Spektakel: Wo ist die Grenze?

Monika Wittmann

Versteckter Unterhaltungswert

Schon der Golfkrieg von 1991 war ein massenmediales Superevent. Selbstkritisch erklärt ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender: "Es war totales Fernsehen mit null Informationen und trotzdem haben wir mitgemacht. Wir waren von der Einschaltquote fasziniert." Doch die Bilder von damals waren ganz anders inszeniert als heute. Der französische Philosoph Paul Virilio analysierte in seinem Buch „Krieg und Fernsehen“ die unpersönliche Kühle der Filmsequenzen, in denen Fadenkreuze und ferngesteuerte Marschflugkörper dominierten. Die „Operation Wüstensturm“ wirkte auf ihn wie ein Videospiel.

Heute wird das Leid der Menschen ganz nah herangezoomt. Moderne Kommunikationstechnologien und die Medienpolitik der USA, Berichterstatter direkt in militärische Einheiten „einzubetten“ machen es möglich: Rund um die Uhr empfangen wir in unseren Wohnzimmern „Live-Streams“ von Toten, Tränen und Traumata.

Medienforscher bezweifeln jedoch, dass die Unmittelbarkeit und Fülle der Schreckensbilder zu einem besseren Verständnis des Kriegsgeschehens führen. Für Virilio hat die simultane Abbildung einer Katastrophe nichts mit Information zu tun. „Je intensiver gesendet wird, um so weniger weiß man im allgemeinen," betonte der Kulturkritiker in einem Interview mit der FAZ anlässlich der Terroranschläge vom 11. September.
Christian Hörburger vom Verein für Friedenspädagogik verurteilt in seinem „Fernsehalphabet“ Medienberichte, die nur auf kurzfristige Emotionen abzielen: „Kriegsbilder laden immer wieder zum Voyeurismus ein. Ohne Hintergrund von Einzelschicksalen und geschichtlichen Zusammenhängen bleiben sie 'schrecklich und dienen lediglich als Nachricht mit verstecktem Unterhaltungswert.“

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