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Faszination Kraniche - sie sind wieder unterwegs
Regelmäßig im Oktober und November lässt sich das großartige Naturschauspiel der Graukraniche am Himmel beobachten. Sie kommen aus Skandinavien und zunehmend aus Finnland, dem Baltikum und Polen. In diesem Jahr hat der anhaltende Westwind den Zug der Vögel verzögert. Vor wenigen Tagen erst erlebte der Hochtaunus in Hessen einen Kranichzug der Superlative: An einem einzigen Tag überquerten rund 15.000 Vögel diese Region. Hessen liegt an einem der Hauptzugwege der Kraniche auf ihrem Weg von der Ostseeküste in die Winterquartiere im Südwesten Europas.
Auch im Weserbergland erwarten Ornithologen für das kommende Wochenende den Durchzug mehrerer zehntausend Kraniche. Auf ihrem Weg über Frankreich nach Spanien orientieren sich die Vögel an Landmarken wie der Weser. Doch bevor sie auf ihrem Zug in wärmere Regionen Südeuropas Deutschland überfliegen, machen die Kraniche oft noch einmal an der Ostseeküste und in Norddeutschland Rast.
Zehntausende sammeln sich an den Rastplätzen
Die Kraniche sammeln sich dabei zu tausenden in der Rügen-Bock-Region am vorpommerschen Bodden, an der unteren Oder und im Havelland. Allein in der Rügen-Bock-Region lagerten noch Ende Oktober mehr als 72.000 Kraniche, wie Ornithologen berichten. In Linum bei Berlin zählten Vogelbeobachter Mitte Oktober sogar über 116.000 Kraniche. Die Vögel nutzen diese Rastplätze, um ihre Energiereserven aufzufüllen. Auch brauchen die sehr scheuen Vögel für ihre Schlafplätze Gewässer mit Flachwasserbereichen, da sie dort stehend schlafen. So sind sie vor Füchsen, Wildschweinen und streunenden Hunden sicher.
Kraft tanken für den Weiterflug
Zuerst finden sich einheimische Brutpaare mit ihrem Nachwuchs ein. Gefolgt von Junggesellen und Paaren ohne Bruterfolg. Ab September folgen durchziehende Kraniche aus den nördlichen und östlichen Brutgebieten Europas. Die Familienverbände, meist das Elternpaar und mindestens ein Jungtier, sind immer zusammen. Sobald es hell wird, werden sie unruhig und mehrere hundert bis tausend Tiere starten aus dem Wasser und fliegen beeindruckend in langen Ketten los. Sie machen sich auf umliegenden Feldern auf die Suche nach Nahrung.
Die Vögel benötigen energiereiches Futter in Form von Getreide, täglich etwa 200 bis 300 Gramm. Sie finden es auf abgeernteten Mais- und Getreidestoppelfeldern, aber auch in Neuaussaaten. So kommen Hunderte bis Tausende Kraniche auf den Feldern zusammen. Sehr zum Ärger der Landwirte, denn sie bekommen entstandene Schäden nicht ersetzt. Gezielte Fütterungen sollen die Kraniche auf dafür ausgewiesene Felder lenken.
Kranichtourismus
Mit den Kranichen kommen auch tausende faszinierte Touristen um zu beobachten und zu fotografieren. Manchmal tanzen die Tiere sogar. Dabei springen sie, schlagen die Flügel oder laufen im Kreis. Auf der Suche nach dem schönsten Bild sind sie dabei nicht immer rücksichtsvoll. Nicht selten steigen sie beim Vorbeifahren aus dem Auto aus und nähern sich den fressenden Tieren.
Die schönen Vögel halten einen natürlichen Sicherheitsabstand. Wittern sie Gefahr, recken die Vögel ihre Hälse, droht Gefahr, fliegen sie auf. Diese Störungen verunsichern die Vögel, können Eltern von Jungtieren trennen. Jede Flucht verbraucht Energiereserven, die sie durch vermehrte Nahrungsaufnahme wieder ausgleichen müssen.
Auf geht’s….
Sind die Depots der Kraniche gefüllt und der Wind günstig, machen sie sich auf den Weg. Angeführt meist von den kräftigsten Tieren, die sich an der Spitze abwechseln. Sind sie einmal eine Route geflogen, fliegen sie sie immer wieder. So sind die Vögel oft viele hundert Kilometer pro Tag in der Luft, im Extremfall sogar 2.000 Kilometer nonstop. Mit günstigen Luftströmungen erreichen sie Geschwindigkeiten von 40 – 60 Stundenkilometern, bei Rückenwind sogar 100 Stundenkilometer.
Hauptüberwinterungsgebiet ist die Extremadura in Westspanien. Dort suchen die Kraniche in lichten mediterranen Eichenwäldern nach Früchten der Stein- und Korkeichen. In kleinen Fressgemeinschaften mit meist weniger als 50 Vögeln oder im Familienverband. Dort bleiben sie, bis sie dann im Februar/März wieder die Reise in den Norden antreten, um hier das Frühjahr anzukündigen.