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Faszinierende Schleimwesen

Schleimpilze wirken unscheinbar und primitiv, doch dieser Eindruck täuscht. Die Einzeller überraschen Forscher immer wieder mit unglaublichen Fähigkeiten: Sie bilden effiziente Netzwerke, kommunizieren mit Artgenossen und besitzen offenbar eine Art Gedächtnis. Diese Talente der schleimigen Wesen könnten uns Menschen sogar praktischen Nutzen bringen – sei es bei der Planung von Infrastrukturen oder bei der Erforschung des Alls.
DAL, 30.03.2020

Es gibt mehr 1.000 Arten von Schleimpilzen in den unterschiedlichsten Formen und Farben.

Schleimpilze sind bizarre Wesen: Die Organismen aus einer einzigen großen Zelle sind weder Pflanze, noch Tier und trotz ihres Namens gehören sie auch nicht der Gruppe der Pilze an – stattdessen besitzen sie Eigenschaften aus allein drei Reichen. Mehr als 1.000 Arten dieser Myxomyceten hat die Evolution im Laufe der Zeit hervorgebracht. Sie kommen in vielen unterschiedlichen Farben und Formen vor, fristen meist aber ein eher unauffälliges Dasein.

Den Großteil ihres Lebens verbringen Schleimpilze als isolierte bewegliche Zellen im Boden oder auf verrottenden Hölzern. Doch die Einzeller können sich auch zu komplexen Fruchtkörpern zusammenschließen, die unter anderem der Bildung und Verbreitung von Sporen dienen.

Uralt und kaum verändert

In gewisser Hinsicht sind manche dieser schleimigen Wesen lebende Fossilien. Sie weilten schon vor mindestens 100 Millionen Jahren auf unserem Planeten, wie jüngst ein spannender Fund in Bernstein gezeigt hat. In dem fossilen Baumharz aus Myanmar entdeckten Paläontologen die etwa 2,5 Millimeter großen Fruchtkörper eines Schleimpilzes – und damit das älteste bisher bekannte Myxomyceten-Fossil.

Besonders interessant daran ist, dass sich die urzeitlichen Fruchtkörper einer noch heute bekannten Schleimpilz-Gattung zuordnen lassen und sich kaum von ihren modernen Pendants unterscheiden. "Das zeigt, dass sich die Schlüsselmerkmale dieser Sporokarpe mindestens seit der mittleren Kreidezeit nicht mehr verändert haben", erklären Jouko Rikkinen von der Universität Helsinki und seine Kollegen.

Die Fruchtkörper des 100 Millionen Jahre alten Schleimpilz-Fossils unterscheiden sich kaum von denen moderner Stemonitis-Arten wie etwa Stemonitis axifera.

Dr. Lorne Stobbs (Stobbsl) at Mushroom Observer / CC BY-SA 3.0

Intelligent auch ohne Gehirn

Obwohl sie so urtümlich sind und auf den ersten Blick primitiv wirken mögen, können Schleimpilze jedoch Faszinierendes leisten: Obwohl sie kein Gehirn und keine Nerven besitzen, verfügen die Organismen über erstaunlich viel "Grips". Dies zeigt sich unter anderem daran, dass Schleimpilze äußerst effiziente Netzwerke bilden, um beispielsweise Nahrungsquellen zu erschließen.

Die schleimigen Wesen können selbst durch komplexe Labyrinthe navigieren und schnell den kürzesten Weg zum Ziel finden. Dabei hilft ihnen offenbar eine Art Gedächtnis. Wie Experimente belegen, orientiert sich zumindest der gut erforschte Schleimpilz Physarum polycephalum anhand von Schleimsignalen – und kann so effektiver neue Wege erkunden.

Haben Schleimpilze ein Gedächtnis?

Im Experiment sollten sich die Einzeller durch ein Y-Labyrinth bewegen, dessen zwei Arme an ihren Enden jeweils Futter enthielten. Einer der Arme war jedoch bereits mit dem Schleim der Schleimpilze bestrichen. Das Ergebnis: "39 von 40 Schleimpilzen wählten bei diesem Ansatz den Arm ohne den Schleim", berichten die Wissenschaftler um Chris Reid von der University of Sydney.

Dies zeige, dass der Einzellerverband auf Futtersuche Bereiche meide, in denen bereits Schleim sei. Er erkenne offenbar, dass dieser Weg schon abgesucht sei. Nach Ansicht der Forscher ist dieser Mechanismus durchaus mit einem einfachen räumlichen Gedächtnis vergleichbar.

Schleimpilz Physarum polycephalum

Wissenstransfer unter Einzellern

Doch Schleimpilze können noch mehr: Sie geben ihr Wissen unter bestimmten Bedingungen sogar an Artgenossen weiter. Lernen Schleimpilze zum Beispiel, sich wider ihrer Natur über Salz zu bewegen, bringen sie später auch andere Schleimpilze dazu – nämlich dann, wenn sie mit ihnen fusionieren.

Auch nicht an Salz gewöhnte Schleimpilze erkennen das eigentlich abschreckend wirkende Salz in diesem Fall als harmlos an und bewegen sich ohne zu zögern darüber. Dieses Verhalten zeigen sie sowohl in der Gruppe mit ihren "Lehrern", es bleibt aber auch nach der Trennung der Individuen erhalten. Die Forscher vermuten, dass das Wissen über eine Art Vene weitergegeben wird, die sich im Experiment nach einiger Zeit zwischen einzelnen Schleimpilz-Exemplaren bildete.

Verteilungsmodell kosmischer Gase im lokalen Universum – erstellt mit Hilfe eines Schleimpilz-Algorithmus.

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Praktischer Nutzen

Die faszinierenden Verhaltensweisen der Schleimpilze haben womöglich sogar praktischen Nutzen für uns Menschen. Experten zufolge könnten die Wesen eines Tages unter anderem dabei helfen, komplexe Verkehrsnetzwerke effizient zu planen oder aber Rätsel der Kosmologie zu lösen. Tatsächlich haben Astronomen das Netzwerk eines Schleimpilzes bereits genutzt, um die großräumige Struktur kosmischer Gase zu enträtseln.

"Ein Schleimpilz produziert ein optimiertes Transport-Netzwerk, um Nahrungsquellen zu verbinden. Im kosmischen Netz sind die Wachstumsstrukturen ebenfalls in gewissem Sinne optimiert", erklären Joseph Burchett von der University of California in Santa Cruz und seine Kollegen. Überraschenderweise erwies sich ihr Modell auf Basis der Pilzstruktur als sehr treffgenau. Dort, wo es die Gase vorhersagte, wurden die Forscher tatsächlich fündig.

"Es ist wirklich faszinierend, dass eine der simpelsten Lebensformen unseres Planeten uns neue Einblicke in die größten Strukturen unseres Universums geben kann", schließt Burchett. Es scheint: Die unauffälligen Schleimpize sind immer wieder für Überraschungen gut.

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