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Feindschaft im Dienst der Literatur

So groß der Aufschrei der Entrüstung auch sein mag: Der Roman Tod eines Kritikers kommt nicht von ungefähr. Wer die Motivation Walsers gigantischer Abrechnung mit Marcel Reich-Ranicki richtig einordnen will, muss die Entstehung der ambivalenten Beziehung zwischen Autor und Kritiker kennen. Seit Anfang der Sechziger beharken sich Marcel Reich-Ranicki und Martin Walser bereits - ein Abriss.

Der Autor und sein Peiniger

Walser und Marcel reich-Ranicki 1996 in Frankfurt
dpa

Es klingt nach einem tiefen Bekenntnis: “Ich konnte nichts mehr zwischen mich und den bringen. Tag und Nacht kamen aus meinem Mund die Sätze des Allmächtigen. Ich hatte selber nichts mehr zu sagen. Mußte wiederholen, was der Allmächtige gesagt hat. Und nur weil der die Macht hatte, waren seine Sätze mächtig. Als solche belanglos, mit Macht, vernichtend. Meine Eingeweide verhärten sich, mein Atem will nicht mehr. Hinausrennen ins Freie. Er oder ich. Wahrscheinlich der gleiche Effekt, wie wenn man in einer kommunistischen Diktatur aus der Partei ausgestoßen wurde.“

So eindringlich beschreibt der leidende Protagonist Hans Lach in Tod eines Kritikers sein Verhältnis zu André Ehrl-König - oder besser: zu dem, was er aus Lach gemacht hat. Keine Frage: So schreibt nur ein Gepeinigter, ein Gequälter - ein Autor, der zu viele Tiefschläge hat einstecken müssen. Genau das ist nämlich das Thema des neuen Martin Walser-Romans: Die Machtausübung im deutschen Literaturbetrieb durch seine Starkritiker, hier repräsentiert durch André Ehrl-König.

Dieses Verhältnis war einmal ganz anders gewichtet: Früher war der Kritiker ein Sklave des Autors, ehe er jenen nun selbst immer mehr durch seine Rezensionen unterwarf. Alle Leser, die Marcel Reich-Ranicki angesichts der fraglos unfeinen Bemerkungen im Tod eines Kritikers zu Hilfe eilen, sollten dies bedenken: Der Dichter hat zuerst das Wort. Schließlich: Ohne das Buch keine Rezension. Bei allem schriftstellerischen Scheitern - was wäre der Kritiker ohne den Autor?

Was wir in der Mediengesellschaft der Nachkriegszeit, spätestens aber seit den achtziger Jahren erleben, ist eine Inszenierung des Feuilletons bis zur Selbststilisierung, die in der Diskussion um Tod eines Kritikers ihren bisherigen Höhepunkt genommen hat - Nobelpreisträger Grass nannte sie in der Talkshow Boulevard Bio “einen Feuilletonkrieg“. Wer die Diskussion verfolgt hat, bekommt oft genug den Eindruck, nicht leserorientierte Kritiker, sondern verhinderte Schriftsteller leisten ihren selbstzufriedenen Beitrag, der sich nur allzu gern in überflüssigen Schnörkeln und rhetorischen Ehrenrunden verliert.

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