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Fußball-Europameisterschaft: Wer wird gewinnen?

Am 11. Juni ist es so weit: Die ursprünglich für 2020 geplante Europameisterschaft im Männer-Fußball wird nachgeholt. 24 Nationen kämpfen darum, den EM-Titel mit nach Hause zu nehmen. Wie jedes Jahr gibt es bereits vorab Mannschaften, die als Favoriten für das Endspiel und den Sieg gelten. Dazu zählen diesmal etwa Frankreich, England oder Spanien. Aber worauf basieren solche Prognosen? Und welche Rolle spielen Zufälle im Profi-Fußball?
ABO, 11.06.2021

Eine „realistische“ Prognose lässt sich nicht einfach anhand vergangener Ergebnisse aufstellen. Welche Daten fließen sonst noch ein?

GettyImages, Bet_Noire

Alle vier Jahre wird im Männer-Fußball eine Europameisterschaft ausgetragen - eigentlich. 2016 war die letzte EM, deshalb sollte ursprünglich im Sommer 2020 die nächste stattfinden. Doch aufgrund der Covid-19-Pandemie wurde die „UEFA EURO 2020“ auf dieses Jahr verschoben. Die EM beginnt nun am 11. Juni 2021 mit dem Auftaktspiel Türkei gegen Italien im Olympiastadion in Rom. Das erste Spiel der deutschen Nationalmannschaft findet am 15. Juni gegen Frankreich statt.

Wer hat Chancen auf den Titel?

Welches der 24 Nationalteams dieses Jahr Chancen hat, sich den EM-Titel zu holen, hat ein internationales Forscherteam um Andreas Groll von der Technischen Universität Dortmund untersucht. Für ihre Prognose nutzten sie vier statistische Modelle, die ein lernfähiger Algorithmus auswertete und zusammenführte. Eines der vier Modelle bezog sich auf die Spielstärken der Teams auf Basis aller Länderspiele der vergangenen acht Jahre. Die zweite Statistik gab Auskunft über die Spielstärke der Teams auf Basis bekannter Wettquoten. Diese wurden mit Informationen über die Team-Struktur, also etwa den Marktwert, die Anzahl der Champions-League-Spieler und die Vereinsspiele-Performance einzelner Spieler sowie mit sozioökonomischen Faktoren des Herkunftslandes kombiniert, wie zum Beispiel die Bevölkerungszahl und das Bruttoinlandsprodukt.

Mithilfe dieses Meta-Modells machten Groll und seine Kollegen zunächst Testdurchläufe zur Kalibrierung: „Wir haben das Modell mit den jeweils zu dem Zeitpunkt aktuellen Daten für die vergangenen vier Europameisterschaften, also zwischen 2004 und 2016, gefüttert und mit den tatsächlichen Spielausgängen aller Spiele der jeweiligen Turniere vergleichen lassen – so wird die Gewichtung der einzelnen Informationsquellen für das aktuelle Turnier im Idealfall sehr genau ausfallen“, erklärt Groll.

Dann nutzten sie ihr System, um die diesjährige Europameisterschaft 100.000-mal durchzuspielen - Spiel für Spiel und der Turnierauslosung sowie allen UEFA-Regeln folgend. Daraus ergaben sich Wahrscheinlichkeiten für das Weiterkommen der verschiedenen Teams und letztendlich für den EM-Sieg.

Frankreich, England oder Spanien könnten gewinnen

Das Ergebnis: Der Titelfavorit der diesjährigen Europameisterschaft ist Frankreich. Das französische Nationalteam hat laut der Prognose eine Gewinnwahrscheinlichkeit des Turniers von rund 15 Prozent. Weitere mögliche Sieger sind England mit einer Wahrscheinlichkeit von 13,5 Prozent und Spaniens Nationalelf mit über zwölf Prozent. Ob letztendlich aber wirklich einer der drei Favoriten als Sieger das Turnier beenden, ist trotz der bislang guten Trefferquote des Vorhersagemodells aber nicht sicher, wie auch die Forscher zugeben.

Der Grund: Einerseits liegen die Topfavoriten in Bezug auf ihre Gewinnwahrscheinlichkeit alle sehr dicht beieinander. Andererseits handelt es sich selbst bei den drei Top-Nationen um relativ niedrige Wahrscheinlichkeiten. „Es liegt in der Natur von Prognosen, dass sie auch danebenliegen können – sonst wären Fußball-Turniere auch sehr langweilig“, erklärt Achim Zeileis von der Universität Innsbruck. „Wir liefern eben Wahrscheinlichkeiten, keine Gewissheiten, und eine Gewinnwahrscheinlichkeit von 15 Prozent heißt zugleich, dass die Mannschaft zu 85 Prozent nicht Turniersieger werden kann.“

Zahlreiche wissenschaftliche Studien bestätigen, dass der Wettmarkt hervorragende Arbeit bei der Prognose von Spielergebnissen leistet. Diese Kompetenz nutzt auch die Wissenschaft gerne für ihre Modelle.

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Wie sieht es mit der deutschen Elf aus?

Deutschland zählen die Forscher nicht zu den drei Favoriten. Denn die Prognose für die deutsche Nationalmannschaft fiel etwas schlechter aus: Die Elf hat zwar eine Wahrscheinlichkeit von rund 85 Prozent, es ins Achtelfinale zu schaffen, für Frankreich liegt diese Wahrscheinlichkeit aber bei rund 90 Prozent. Und dass Deutschland letztendlich Europameister wird, ist mit etwa zehn Prozent Wahrscheinlichkeit deutlich unter den Werten der Favoriten.

Ein Grund für die schlechtere Prognose für Deutschland könnte die ausgeloste Gruppe sein, in denen die Mannschaft dieses Jahr startet: „In Gruppe F sind drei sehr starke Teams, darunter der amtierende Weltmeister Frankreich und der Europameister Portugal, beide zugleich die Finalisten der EURO 2016, plus eben Deutschland“, so Groll. „In dieser Gruppe ist die Wahrscheinlichkeit deshalb verglichen mit den Favoriten in den anderen Gruppen geringer, es bis ins Achtelfinale zu schaffen. Wer das aber schafft, hat dann ganz gute Chancen, weiterzukommen.“ Ein Trost: Auch für Portugal haben die Experten kaum bessere Chance ermittelt als für die deutsche Elf.

Könnte es auch einen Überraschungssieger geben?

Dass es im Fußball oft ganz anders kommt als erwartet und vorhergesagt, ist eine Binsenweisheit. Zu den großen Überraschungen im Profifußball zählten zum Beispiel der EM-Titel für Griechenland im Jahr 2004 oder der Meistertitel von Leicester City in der Premier League 2016. Lässt sich Erfolg also doch nicht systematisch erklären? Haben am Ende zufällige Spielaktionen, also etwa abgefälschte Schüsse, vom Tor abgeprallte Bälle oder unabsichtlich vorbereitete Zuspiele, einen entscheidenden Einfluss?

Das haben Forscher um Fabian Wunderlich von der Deutschen Sporthochschule Köln anhand von insgesamt ungefähr 7.300 Toren der englischen Premier League in den Saisons 2012/13 bis 2018/19 analysiert. Dafür berücksichtigten die Experten verschiedene Variablen , wie zum Beispiel Distanzschüsse, abgefälschte Schüsse oder Eigentore, aber auch die Saison, den Spieltag, den Spielort, die Spielsituation, die Toranzahl oder die Teamstärke. Bei allen Toren überprüften Wunderlich und sein Team dann, welche Variablen mitspielten und ob sie den Torerfolg beeinflusst hatten.

Jedes zweite Tor ist zufällig

Es zeigte sich: Bei 46 Prozent der untersuchten Tore waren nicht allein die Fähigkeiten von Mannschaft und Spielern ausschlaggebend, sondern auch zufällige Einflussfaktoren. „Die Ergebnisse unterstreichen die wesentliche Rolle des Zufalls, da fast jedes zweite Tor durch glückliche Umstände begünstigt wurde“, so Wunderlich.

Besonders ausgeprägt war der Anteil an Zufallstoren bei schwächeren Mannschaften sowie bei einem unentschiedenen Zwischenstand. Zusätzlich scheinen die Zufallsereignisse auch von der Spielsituation abhängig zu sein, also ob etwa ein Freistoß, eine Ecke oder Elfmeter gepfiffen wurde.

„Interessant ist auch, dass der Anteil an Zufallstoren über die sieben Spielzeiten von 50 Prozent auf 44 Prozent gesunken ist“ ergänzt Wunderlich. „Dies könnte damit zusammenhängen, dass in der Spielvorbereitung immer professioneller und datenbasierter vorgegangen wird oder die Spieler technisch und taktisch immer besser ausgebildet sind.“

Dennoch spielt der Zufall damit eine entscheidende Rolle - auch für den Sieger eines Spiels. Denn innerhalb des ausgewerteten Datensatzes endeten mehr als 60 Prozent aller Spiele entweder mit einem Unentschieden oder mit einer Tordifferenz von einem Tor. „Ein einziges zufälliges Tor kann also ausreichen, um den Spielausgang wesentlich zu verändern“, folgert Wunderlichs Kollege Daniel Memmert. „Somit hat der Zufall nicht nur beim Tor selbst eine hohe Relevanz, sondern spielt auch für den Spielausgang eine entscheidende Rolle.“

Das bedeutet: Beim Fußball entscheidet  nicht nur Leistung, sondern eben auch Zufall. Und in einem Turnier kann ein Glückstreffer leichter große Wirkung entfalten als über eine lange Saison. Genau dies macht die Vorhersage von Spielausgängen und auch Europameisterschaften immer auch ein wenig zu einem Glücksspiel.

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