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Gap Year: Zeit für Reisen und gute Taten

Nach dem Abi kommt die Lücke: Bis zum Beginn von Studium oder Ausbildung gilt es meist, einige Monate zu überbrücken. Damit aus der Zeit keine Lücke im Lebenslauf wird, hat sich das Gap Year – das „Lückenjahr“ – etabliert, auch wenn das gar nicht immer ein ganzes Jahr umfasst. Gemeint ist eine möglichst sinnvolle Tätigkeit, die den zeitlichen „gap“ füllt – zum Beispiel ein Freiwilligeneinsatz im Ausland, denn da kommt auch die Reiselust nicht zu kurz. Aber die Palette der Volunteerdienste ist groß, die Qualitätsunterschiede sind es auch. Während die Teilnehmer staatlich geförderter Freiwilligendienste in die Entwicklungszusammenarbeit hineinschnuppern sollen, sind kommerzielle Voluntourism-Anbieter vor allem daran interessiert, dass der Aufenthalt in einem Entwicklungsland für ihre zahlenden Kunden zum nachhaltigen Erlebnis wird.
von wissen.de-Redakteurin Alexandra Mankarios, Januar 2013

Voluntourism: Reisen und Helfen

Kurzzeiteinsätze von Freiwilligen schaden Heimkindern mehr als sie nutzen
pixelio.de/Detlev Beutler
„Du sprichst mit einem Mädchen, von dem Du weißt, dass es schwer misshandelt wurde. Du kannst den Kummer in ihren Augen sehen, doch Du merkst auch, wie gut ihr die Zeit tut, die Du ihr widmest.“ – so beginnt der Werbetext des kommerziellen Reiseanbieters Travelworks für ein Freiwilligenprojekt in einem südafrikanischen Waisenhaus. Ab drei Wochen ist der ehrenamtliche Einsatz zu buchen, 35 Wochenstunden sollen die Volunteers dort arbeiten.

Neben sozialen Projekten stehen auch Freiwilligenstellen im Tier- oder Umweltschutz zur Wahl, etwa in der Löwenaufzucht oder im Schildkrötenschutz.

Staatliche Förderung gibt es für diese Art der Freiwilligenarbeit nicht, der Aufenthalt kostet ab 700 Euro für drei Wochen, Unterkunft und Essen inklusive. Den Flug müssen die Teilnehmer zusätzlich selbst bezahlen. Dafür sind außer ein paar Englischkenntnissen keine Vorkenntnisse nötig, und im Gegensatz zu den staatlich geförderten Diensten erhält jeder einen Platz.

 

Wem nützt der Einsatz der Freiwilligentouristen?

Das Reisekonzept Voluntourism boomt – gerade unter jungen Leuten. Der enge Kontakt mit Land und Leuten ist garantiert, trotzdem bleibt Zeit für ein wenig Sightseeing. Zudem sorgt der ehrenamtliche Einsatz in einem Hilfsprojekt für ein gutes Gefühl. Der Volunteer profitiert, der Reiseveranstalter auch. Ob auch das Projekt, in dem die Freiwilligen ehrenamtlich arbeiten, profitiert, ist nicht immer sicher.

Gerade Kurzzeiteinsätze in sozialen Projekten gelten als fragwürdig, auch wenn die Reiseanbieter gern die Zweifel zerstreuen: „Egal ob Sie sich lieber in der Altersklasse Junior intensiv um Babys und Kleinkinder kümmern oder den Älteren bei den Hausaufgaben helfen: Sie können auf jeden Fall sicher sein, dass Sie mit Ihrer Hilfe in Waisenhäusern und Grundschulen einen wichtigen Beitrag zur positiven Entwicklung leisten“, versichert ein Anbieter im Internet.

Linda Richter, Kinderärztin und Psychologin im Human Sciences Research Council in Südafrika sieht das anders. „Wir sind sehr besorgt, dass sich die ständig wechselnden Betreuer negativ auf die emotionale und psychologische Gesundheit sehr junger Kinder in Heimen auswirken“, erklärte Richter 2011 in einem Blog der OECD. „Vermutlich ist die fortwährende Entstehung und Auflösung von Bindungen an immer neue Freiwillige höchst schädigend. Instabile Bindungen und Verlusterfahrungen machen die Kinder verletzlich und steigern ihr Risiko, langfristig psychologische Schwierigkeiten zu entwickeln.“

Des Problems ist sich auch Melanie Feldhaus, Marketing-Managerin beim Reiseanbieter Travelworks, bewusst. Sie versichert: „Wir achten bei unseren sozialen Projekten darauf, dass die Teilnehmer längere Zeit vor Ort sind, damit sie sich in das Projekt einleben können und die Kinder nicht ständig andere Ansprechpartner haben.“ Wolle jemand einen Kurzbesuch in einem Kinderheim buchen, dann würde der Kundenservice empfehlen, ein anderes Projekt zu wählen oder längere Zeit zu bleiben. Im Angebot ist der Kurzzeit-Waisenhauseinsatz trotzdem.

Verbindliche Regelungen für die Gestaltung von Freiwilligenangeboten gibt es im kommerziellen Bereich nicht. Wer Kurztrips ins Elend und Freiwilligenarbeit „light“ anbieten möchte, darf das auch tun. So etwa ein Reiseanbieter, der „Voluntourism Hopper“ offeriert. Auf den vierwöchigen Afrika-Trips können die Kunden in bis zu vier Projekten ihrer Wahl mitarbeiten, zum Beispiel eine Woche lang in einem Kinderheim, eine weitere in einer Grundschule, dann noch je eine mit behinderten Kindern und in einer Fraueninitiative – so kommt garantiert keine Langeweile auf.

 

Freiwilligendienst mit staatlicher Förderung

Kostengünstiger als die kommerziellen Volunteer-Angebote sind Freiwilligendienste mit staatlicher Förderung. Interessenten können aus verschiedenen Angeboten wählen, zu den bekanntesten zählt "weltwärts", der Freiwilligendienst des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, und der Internationale Jugendfreiwilligendienst (IJFD).

Reisekosten entstehen den staatlichen Freiwilligen nicht. Eine ausführliche Vor- und Nachbereitung gehört zum Programm und ist genauso gesetzlich geregelt wie die pädagogische Begleitung vor Ort. Allerdings erhält längst nicht jeder Bewerber einen Platz, denn die Einsatzstellen sind begrenzt. Zudem müssen die Interessenten in einem Motivationsschreiben glaubwürdig darlegen, warum sie einen Freiwilligendienst antreten möchten, ehrenamtliches Engagement auch in der Heimat ist gern gesehen: Wer offiziell „entsendet“ wird, soll beweisen, dass er es ernst meint. „Man versucht da auch, reine Abenteurer oder Leute, die gelangweilt sind oder Urlaub machen möchten, herauszufiltern“, erklärt Karoline Wiemers-Meyer vom Arbeitskreis Lernen und Helfen in Übersee e.V., der im Staatsauftrag als Servicestelle alle gemeinnützigen Freiwilligen- und Entwicklungsdienste vernetzt.

Freiwilligendienste von weniger als sechs Monaten gibt es mit staatlicher Förderung nicht. „Der zeitliche und finanzielle Aufwand für die Vorbereitung der jungen Leute soll ja auch in einem gewissen Verhältnis zur Einsatzdauer stehen“, erläutert Wiemers-Meyer. Die meisten Freiwilligen blieben ein Jahr im Ausland.

Wer nur wenige Wochen Zeit hat, kann allerdings ein – ebenfalls gefördertes – Workcamp besuchen. Bei den Treffen kommen junge Erwachsene aus verschiedenen Ländern zusammen, um sich für einige Wochen gemeinsam in einem Projekt ehrenamtlich zu engagieren. Im Mittelpunkt steht der interkulturelle Austausch, deshalb finden Workcamps nicht nur in Entwicklungsländern statt, sondern etwa auch in Deutschland.

 

Ungelernt ins Entwicklungsland

Ob Lang- oder Kurzzeitaufenthalt, staatlicher Dienst oder kommerzielle Reise, ein Kritikpunkt trifft alle Angebote, die sich an Jüngere richten: Die in der Regel ungelernten Freiwilligen üben dort Tätigkeiten aus, die ebenso gut einheimische, ungelernte Helfer erfüllen könnten. Und gerade davon gibt es in den meisten Entwicklungsländern mehr als genug. Wieso also sollten Menschen vom reicheren Ende der Welt anreisen und den Einheimischen die Arbeitsplätze streitig machen – insbesondere, da für die Betreuung der Freiwilligen ein kostspieliger organisatorischer Überbau nötig ist, den Arbeitskräfte vor Ort nicht benötigen?

Bei Freiwilligendiensten gehe es vor allem darum, einen interkulturellen Austausch anzuregen, kontern Befürworter des Konzepts. So sieht es zum Beispiel der Kölner Politologe und Freiwilligendienst-Experte Jörn Fischer – jedenfalls in Bezug auf das Projekt weltwärts: „Es geht vor allem darum, etwas in den Köpfen der Freiwilligen zu bewirken“, erklärte er jüngst auf der Volunteer-Website www.frei-raus.de. „Dort soll ein interkultureller Austausch stattfinden. Außerdem führt die Konfrontation mit Armut und globalen Ungerechtigkeiten bei vielen Freiwilligen auch zurück in Deutschland zu einer veränderten Einstellung und einem veränderten Handeln.“

Erfahrungsbericht: Ein Freiwilligenjahr in Rumänien

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