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Gastarbeiter in Deutschland

Vor 50 Jahren begann sie – die massenhafte und organisierte Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften. Möglicht gemacht hatte es das erste Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und Italien. Weitere sollten folgen.

von Michael Fischer, wissen.de

Vom Wanderarbeiter bis zum Zwangsarbeiter

Gastarbeiter in Deutschland gibt es jedoch schon im Mittelalter. Immer wieder kommen beispielsweise italienische Wanderarbeiter nach Deutschland, bis ins Kaiserreich hinein. Allein in den Münchener Ziegeleien arbeiten 1891 nahezu 6000 Italiener. Der Erste Weltkrieg stoppt diese Tendenz. 1937 schließen das Deutsche Reich und Italien ein Anwerbeabkommen. Wegen der Kriegsvorbereitungen fehlen den Nazis Kräfte in der Industrie und der Landwirtschaft. Rund 350.000 Italiener kommen bis 1943 ins faschistische Deutschland – und werden in den letzten zwei Kriegsjahren zu Zwangsarbeitern.

Hilfe für das Wirtschaftswunder

Am Fließband bei VW
Corbis-Bettmann, New York
Zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wird in Deutschland wieder Hilfe aus dem Ausland benötigt: Die eigenen Kräfte reichen bei weitem nicht aus, um das eigene Land wieder aufzubauen. Von Firmen werden Arbeiter – vor allem für körperlich schwere Tätigkeiten – ebenso händeringend gesucht wie im Straßen- und Brückenbau. Im Süden Italiens dagegen stehen viele Menschen auf der Straße, arbeitslos und kaum in der Lage, ihre Familien zu ernähren. Aus dieser Not heraus machen Deutschland und Italien eine Tugend: Am 20. Dezember 1955 erfolgt der Abschluss des Anwerbeabkommens, das deutschen Unternehmen erlaubt, sich im Süden Europas die dringend benötigten Arbeitskräfte zu holen. Für die Anwerbung und Vermittlung richtet die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit in Verona und später in Neapel sogar eine „Deutsche Kommission“ ein.

Das Leben in Baracken

Gastarbeiter in den 50er Jahren
Corbis-Bettmann, New York
In den ersten Jahren sind die Gastarbeiter oft in kurzfristig errichteten Holzbaracken inmitten kleiner Siedlungen bzw. firmeneigenen Wohnheimen untergebracht – wie etwa in Wolfsburg nahe dem Volkswagenwerk. Die Einrichtung ist in der Regel karg. Die meisten Gastarbeiter schlafen in Etagenbetten. Erst 1973 werden Mindeststandards für solche Arbeiterunterkünfte festgelegt.

Die organisierte Zuwanderung

Dem ersten Anwerbeabkommen folgen weitere mit Griechenland und Spanien (1960), der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968). Der millionste Gastarbeiter kommt bereits 1964 nach Deutschland. Es ist der Portugiese Armando Rodriguez. Während der Ölkrise 1973 verhängte Deutschland dann den Anwerbestopp.

Italiener in Wolfsburg - 60er Jahre
Corbis-Bettmann, New York
Gut zwei Millionen Italiener kamen nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit zwischen 1956 und 1972 als Arbeiter in die Bundesrepublik Deutschland. Bis heute sind es geschätzt rund vier Millionen. Die Mehrzahl kehrte allerdings wieder nach Italien zurück. Laut Statistischem Bundesamt leben heute knapp 550.000 Italiener in Deutschland Die größte ausländische Bevölkerungsgruppe in Deutschland stellen allerdings die Türken. Während der Zeit des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens (1961 bis 1972) zogen rund 750.000 Türken in die Bundesrepublik. Heute leben in Deutschland etwa 1,8 Millionen Türken.

Auch die DDR warb zwischen 1966 und 1989 rund 500.000 ausländische Arbeitskräfte an. Die meisten kamen aus Vietnam, Polen, Mosambik und anderen afrikanischen Staaten.

Das neue Zuwanderungsgesetz

Dass die Gastarbeiter einen entscheidenden Beitrag zum deutschen Wirtschaftswunder geleistet haben, ist unbestritten. Zweifellos ist aber auch, dass für ihre Integration in die Gesellschaft viel zu wenig getan wurde.

Am 1. Januar 2005 trat das neue Zuwanderungsgesetz in Kraft. Neben der humanitär begründeten, regelt es auch die arbeitsmarktorientierte Zuwanderung.

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