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Hören und Staunen

von Ariane Greiner

„Wie kann man den Mond hören?“, fragt die Moderatorin von der Bühne ins Publikum. „Wir können ja schlecht sagen ‚Huuuuh, ich bin der Mond! Dann wären wir in einem Benjamin-Blümchen-Hörspiel und würden uns totlachen, aber nicht in einem spannenden Drei-Fragezeichen-Fall“.

 

Der letzte Tag der ARD-Hörspieltage gehörte ganz den Kindern. Wie hier in der Hörspielwerkstatt beim „Hörspielspiel“ konnten sie ihrer Phantasie freien Lauf lassen und nebenbei lernen, dass Hörspielmacher immer einen Haufen Bandsalat im Studio aufbewahren. Für Laubrascheln. Oder für Türquietschen.

 

Insgesamt haben mehr als 6000 Besucher das Hörspielfestival der ARD im Karlsruher ZKM (Zentrum für Kunst und Medientechnologie) besucht. Beim Live-Orchesterhörspiel „Das Gespenst von Canterville“ mit dem SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern bekam man einen Eindruck davon, wie viel Aufwand hinter dem steckt, was wir am Ende „nur“ hören. Aber was heißt „nur“? Das Hören, so wussten schon die griechischen Philosophen, ist der Sitz der Seele, und jeder weiß, was ein Musikstück bewirken kann. „Das Hören ist viel älter als das Sehen“, sagt Ludger Brümmer, Leiter des Instituts für Musik und Akustik am ZKM und erklärt, dass die Ausbildung des Hörzentrums im Gehirn evolutionsgeschichtlich viel weiter zurückliegt als die des Sehzentrums. Das erklärt, wieso das Sehen eher eine rationale Angelegenheit ist, das Hören dagegen mehr eine emotionale.

 

Freitagabend im ZKM: Gerade strömen die Zuhörer aus dem Klangdom. „Adler und Engel“, das Hörspiel nach dem Roman von Juli Zeh, hat Publikum und Jury gleichermaßen begeistert. In seltener Eintracht wurden sowohl Inhalt als auch Umsetzung gepriesen – und immer wieder die umwerfende Sprech- wie auch Gesangsstimme der Julia Hummer als Jessie. Das Drama um die kindlich-verrückte Jessie, Tochter eines millionenschweren Drogenhändlers und den Juristen Max, dessen einzig echtes Gefühl seine Liebe zu Jessie ist, spielt vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung und verflechtet das private Schicksal der beiden mit dem groben Gewebe aus UNO-Politik, Jugoslawienkrieg, Völkermord und Drogenhandel.

 

„So sehe ich die Rundfunkgebühren gerne eingesetzt“, sagt ein Mann im dunklen Anzug, ungefähr Mitte dreißig, dessen Augen durch die schwarze Hornbrille eine fast kindliche Begeisterung versprühen. Oder ist es das Weinglas in seiner Hand, das gerade von einem Rundflug durch „Das-Alles-Hier“ an den Tresen zurückkehrt? Der Mann ist Kulturredakteur, weiß also, wovon er spricht. „Das Schöne ist ja, dass die Leute das alles hier auch zu schätzen wissen“, sagt er. Tatsächlich übersteigt der Andrang alle Erwartungen der Festivalmacher. Dass man sich bei einer Hörspielvorführung fühlt wie bei einer Erstsemestervorlesung (zumindest, was die Sitzknappheit angeht) - damit hätte keiner gerechnet, weder die ARD noch das ZKM.

 

Die Mischung aus Hochkultur, praktischer Wissensvermittlung, Unterhaltung und Party machte die ARD-Hörspieltage zu einer Bildungsveranstaltung im besten Sinne: Ohne Zugangsvoraussetzung, ohne Einstrittsgelder, ohne die einschüchternde und dadurch oft abschreckende Aura dessen, was man mit gedämpfter Stimme „Kultur“ nennt. Ob man nun im Klangdom den Werken namhafter Komponisten der zeitgenössischen Musik und Klangkunst wie Ludger Brümmer, Alvin Curran oder Hans Tutschku lauschte, in einem der Workshops zum Radiomacher für einen Tag mutierte, sich einfach nur von den Hörspielen unterhalten ließ oder unter der Stehlampe im Polstersofa mit einem Jungregisseur plauderte – während der Hörspieltage wurde Bildung zum Erlebnis, bei dem man zeitweise nicht mehr ganz wusste, wo einem die Sinne stehen. Aber genau das macht das Hörspiel ja aus. Der Mond klingt übrigens am besten wie ein heulender Wolf.

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