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Horst Köhler tritt zurück

Es war eine Äußerung in einem Radio-Interview, die erst mit Verspätung für Aufregung sorgte. Jetzt tritt der Bundespräsident zurück, weil er den Afghanistan-Einsatz in Zusammenhang mit wirtschaftlichen Interessen Deutschlands brachte. Es ist in der Dimension ein historisch einmaliger Vorgang.

Financial Times Deutschland

Bundespräsident Horst Köhler hat seinen Rücktritt erklärt. Er trete mit sofortiger Wirkung aus Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten zurück, sagte er am Montag in Berlin. Es ist das erste Mal, das ein Staatsoberhaupt wenige Monate nach seiner Wiederwahl hingeschmissen hat.

Köhler war wegen seiner Äußerungen zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr scharf kritisiert worden. Er hatte nach einem Besuch der Truppe in einem Hörfunk-Interview erklärt, im Notfall sei auch "militärischer Einsatz notwendig (....), um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege".

Köhler sagte, die Unterstellung, er habe einen grundgesetzwidrigen Einsatz der Bundeswehr im Ausland zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen befürwortet, entbehre jeder Grundlage. Das lasse den notwendigen Respekt vor dem höchsten Staatsamt vermissen.

Köhler informierte unmittelbar Bundesratspräsident Jens Böhrnsen (SPD). Der Bremer Bürgermeister übernimmt laut Verfassung vorübergehend die Amtsgeschäfte. Köhler teilte seinen Entschluss Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) und dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, mit.

Während der Rücktrittserklärung stand Ehefrau Eva Luise an der Seite des erst vor einem Jahr wiedergewählten Staatsoberhaupts. Beim Verlesen der kurzen Erklärung standen ihm Tränen in den Augen. Streckenweise versagte ihm die Stimme. Nach Berichten von Augenzeugen verließ Köhler sofort nach seiner Stellungnahme den Amtssitz Schloss Bellevue in einem Wagen.

Köhler hatte am vorletzten Wochenende nach einem überraschenden Besuch bei den deutschen Soldaten in Afghanistan Auslandseinsätze der Bundeswehr auch mit der Wahrung deutscher Wirtschaftsinteressen begründet. Später ließ er seine Äußerungen präzisieren. Ein Sprecher sagte in der vergangenen Woche, die Afghanistan-Mission sei nicht gemeint gewesen. Bundeskanzlerin Merkel hatte sich nicht geäußert.

Der Rückzug von Köhler mitten in der Euro-Krise könnte die schwarz-gelbe Regierung in schwere Bedrängnis bringen. Der 67-jährige Köhler war der Kandidat von Union und FDP.

Köhlers umstrittene Äußerungen

Hintergrund der Rücktrittserklärung Köhlers sind umstrittene Äußerungen des Staatsoberhaupts über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan in einem Interview von Deutschlandradio Kultur. Er sagte: "Aus meiner Einschätzung ist es wirklich so: Wir kämpfen dort auch für unsere Sicherheit in Deutschland, wir kämpfen dort im Bündnis mit Alliierten auf der Basis eines Mandats der Vereinten Nationen. Alles das heißt, wir haben Verantwortung. Ich finde es in Ordnung, wenn in Deutschland darüber immer wieder auch skeptisch mit Fragezeichen diskutiert wird.

Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.

Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg."

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