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Intersexualität: Das dritte Geschlecht

Nicht nur männlich oder weiblich: Das Bundesverfassungsgericht hat vor kurzem entschieden, dass in amtlichen Dokumenten künftig ein dritter Geschlechtseintrag für intersexuelle Menschen möglich sein muss. Doch was ist Intersexualität eigentlich? Wie kommt es dazu? Und wie viele Menschen in Deutschland betrifft das? Wir klären auf.
DAL, 24.11.2017

Die Häufigkeit von Intersexualität wird in Deutschland auf etwa 0,1 bis 0,2 Prozent der Bevölkerung geschätzt.

thinkstock.com, LvNL

Nicht alle Menschen lassen sich einem von zwei Geschlechtern zuordnen: Immer mal wieder kommen Babys auf die Welt, die aus biologischer Sicht weder eindeutig Junge noch eindeutig Mädchen sind. Die Fachwelt spricht in diesem Fall von Intersexualität oder auch "Disorders of Sex Development". Für diese Menschen gab es in Deutschland bisher keine amtliche Geschlechtsbezeichnung. Standesämter und sogar der Bundesgerichtshof hatten es abgelehnt, für Intersexuelle ein drittes Geschlecht einzuführen.

Ihnen blieb als einzige Alternative nur zu sagen: "Ich bin nicht männlich" und "Ich bin nicht weiblich." Das reiche jedoch nicht aus, kritisierte Lucie Veith, Vorstand des Bundesverbands Intersexuelle Menschen e.V., noch im August 2016. "Da bleibt dann eine Leerstelle – als hätten intersexuelle Menschen kein Geschlecht!" Jeder Mensch habe das verfassungsgemäße Recht auf die Anerkennung der eigenen Geschlechtsidentität. "Dieses Recht wird Intersexuellen verweigert und ihre Würde mit Füßen getreten."

Männlich, weiblich – oder inter

Das aber ändert sich jetzt: Vor kurzem hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass im Geburtenregister nun doch ein drittes Geschlecht eingetragen werden darf. Damit sind intersexuelle Menschen in amtlichen Dokumenten nicht mehr nur eine Leerstelle. Stattdessen können sie ihre geschlechtliche Identität voraussichtlich ab Ende 2018 "positiv" eintragen lassen – bis dahin soll der Gesetzgeber eine entsprechende Regelung schaffen. Künftig könnte dort dann etwa "inter" oder "divers" stehen.

Das Gericht begründet sein Urteil mit dem im Grundgesetz geschützten Persönlichkeitsrecht und schafft damit mehr Gerechtigkeit für Personen, die laut einer Umfrage des Deutschen Ethikrats im Alltag besonders häufig diskriminiert und angegriffen werden – für Personen, die amtlich bisher nicht existieren.

Betroffenenzahl unklar

In Deutschland sind das Schätzungen zufolge rund 100.000 Menschen. Wie groß die Zahl der Intersexuellen hierzulande jedoch wirklich ist, weiß niemand. Denn noch bis Ende 2013 musste auf Geburtsurkunden entweder männlich oder weiblich eingetragen werden. Erst seitdem kann das Geschlecht auch offen bleiben. Mit der geplanten Neuregelung wäre Deutschland das erste europäische Land, in dem die Registrierung eines dritten Geschlechts möglich ist.

Die Ursachen dafür, dass jemand geschlechtsmäßig irgendwo zwischen Frau und Mann liegt, können vielfältig sein. Ein möglicher Grund ist die Genetik. Genauer: das chromosomale Geschlecht. Frauen tragen in ihrem Erbgut zwei X-Chromosomen, Männer ein X- und ein Y-Chromosom. Von diesen typischen Unterschieden kann es Abweichungen geben.

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