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Interview: ALS – die Krankheit hinter der Ice Bucket Challenge

Von Lady Gaga über Russel Crowe bis George W. Bush – sie alle haben es getan: Sie schütteten sich einen Kübel Eiswasser über den Kopf, um auf die tödliche Nervenkrankheit ALS aufmerksam zu machen. Über dem Hype der "Ice Bucket Challenge" scheinen allerdings die Krankheit und der Zweck der Aktion – zu mehr Spenden zu animieren – manchmal fast schon aus dem Blickfeld zu geraten. In diesem Interview mit einem ALS-Forscher liefern wir daher ein paar Hintergründe.
NPO

Eiswasser für einen guten Zweck – die Ice Bucket Challenge soll zum Spenden für ALS animieren.
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Die „Eiswelle“ ist längst über den Atlantik von den USA nach Deutschland geschwappt: Überall im Land lassen sich Prominente und zunehmend auch Normalbürger mit kaltem Wasser übergießen. Videos dokumentieren diese eisige Mutprobe. Doch so lustig die „Ice Bucket Challenge“ daherkommt: Sie hat einen sehr ernsten Hintergrund. Denn mit der Aktion soll auf die tödliche Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) aufmerksam gemacht werden.

Bei dieser fortschreitenden Nervenkrankheit werden Nervenzellen zerstört, die für die Steuerung und Kontrolle der Muskeln zuständig sind. Als Folge kommt es zu Muskelschwund und Lähmungen. Weil davon auch die Atem- und Schluckmuskulatur betroffen werden kann, sterben die meisten Betroffenen. Kürzlich an ALS gestorben ist zum Beispiel der Künstler Jörg Immendorff als ungewöhnlich lange Überlebender gilt dagegen der britische Physiker Stephen Hawking.

Was es mit der Krankheit auf sich hat und was ALS-Forscher über die Ice Bucket Challenge denken, haben wir Albert Christian Ludolph gefragt, den Direktor des ALS-Forschungszentrums an der Universität Ulm.

Was passiert im Körper von Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose?

Ludolph: ALS beginnt im Gehirn und zerstört Schritt für Schritt das motorische System des Patienten. Betroffen sind also Gestik, Mimik, Körperhaltung und alles, was damit zu tun hat, dass wir uns bewegen. Viele Patienten sind auf einen Rollstuhl angewiesen und können irgendwann nicht mehr selbstständig atmen. Teils ist es ihnen nicht möglich, Kontakt zu ihrer Umwelt aufzunehmen – sie sind eingesperrt im eigenen Körper.

Stichwort Therapie: ALS ist nach wie vor unheilbar. Wie werden Patienten behandelt?

Ludolph: Tatsächlich kann der Krankheitsverlauf mit Medikamenten nur verzögert werden, eine Heilung ist nicht in Sicht. Insgesamt hat sich die Prognose aber etwas verbessert: Heute überleben fünf Prozent der Betroffenen mehr als zehn Jahre. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Wir haben zum Beispiel beobachtet, dass ALS aggressiver verläuft, wenn Patienten massiv an Gewicht verlieren. Wir achten also darauf, dass Betroffene genug Kalorien zu sich nehmen – auch wenn sie nicht mehr eigenständig schlucken können.

Weiterhin gilt es, Lungenentzündungen zu vermeiden, die infolge der geschwächten Atemmuskulatur auftreten. Ein Grund, warum Stephen Hawking seit Jahrzehnten mit der Krankheit lebt, ist wohl sein Luftröhrenschnitt. Für unsere Patienten sind zudem physio- und ergotherapeutische Maßnahmen wichtig. Über Sprachcomputer können sie mittlerweile auch in fortgeschrittenen Krankheitsstadien mit ihrer Umwelt kommunizieren.“

Über die Krankheitsentstehung ist wenig bekannt. Dabei erhält etwa jeder 400. Deutsche die Diagnose ALS. Gibt es Neuigkeiten aus der Forschung?

Ludolph: Eines der wichtigsten Forschungsergebnisse der letzten 30 Jahre zur Krankheitsentstehung und -ausbreitung kommt aus Ulm: Demnach wird ein bestimmtes Protein von Nervenzelle zu Nervenzelle weitergegeben, lagert sich in den Neuronen ab und führt zu ihrem Untergang. Ulmer Forscher haben dabei ein typisches Schädigungsmuster im Zentralen Nervensystem identifiziert und konnten daraus Krankheitsstadien ableiten. Solche Erkenntnisse auf molekularer Ebene tragen dazu bei, ALS besser zu verstehen und zu bekämpfen.

Wie stehen Sie zur Ice Bucket Challenge? Haben Sie bereits teilgenommen?

Ludolph: Ich halte viel von der Challenge, auch wenn ich mich nicht mit Eiswasser übergieße. Alles, was die Krankheit bekannter macht, ist gut. Immerhin ist die ALS ungefähr so häufig wie Multiple Sklerose! Ich forsche seit 35 Jahren zur ALS und habe viele der Ärzte, die in Deutschland auf diesem Gebiet tätig sind, ausgebildet. So viel Aufmerksamkeit haben wir noch nie bekommen. An unserer Klinik sind wir uns einig: Wer die Krankheit und ALS-Patienten kennt, kann gar nichts gegen die Spendenaktion haben.

Sind durch die Challenge vermehrt Spenden bei Ihnen angekommen?

Unsere Forschung wird vor allem von der gemeinnützigen Charcot-Stiftung unterstützt, einer der traditionsreichsten Stiftungen um ALS. Ich habe noch nicht nachgesehen, würde mich aber freuen, wenn am Ende des Jahres mehr Geld auf dem Konto eingegangen ist.

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