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Kein schneller Erfolg: schwarz-gelbe Eckpunkte

Was will die CDU? Welches Programm für eine eventuelle Regierungsübernahme zeichnet sich ab? In der Berliner Aufregung dieser Tage gehen die Hintergründe zur Zeit fast verloren. Unser Kooperationspartner Financial Times Deutschland trägt die Fakten zusammen.

Die Agenda einer schwarz-gelben Bundesregierung ist in den Grundzügen schon absehbar: Deregulierung des Arbeitsmarktes, Senkung der Einkommensteuer, höhere Mehrwertsteuer und die Gesundheitsprämie. Ökonomen unterstützen das, doch wird der Erfolg nicht schnell kommen.

Welche Reformen würde eine Bundeskanzlerin Angela Merkel als Erstes ins Werk setzen? Wie würde die neue Politik wirken und nach welcher Zeit? Noch ist der Weg zu Neuwahlen nicht klar, doch richten sich viele Deutsche schon auf die Frau im Kanzleramt ein. Eine gemeinsame Agenda für eine schwarz-gelbe Regierung ist bereits jetzt absehbar: Zuerst will Merkel Reformen angehen, die den Staat kein Geld kosten, aber die Wirtschaft beflügeln. Das sind vor allem die Liberalisierung des Arbeitsmarktes und der Abbau von Bürokratie für Unternehmen. Die wirtschaftliche Belebung soll für mehr Beschäftigung sorgen und damit auch mehr Steuern in die Kassen des Staates spülen. Anfang 2007 soll dann die große Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer greifen, die auch aus technischen Gründen einen langen Vorlauf braucht. Über die Anhebung der Mehrwertsteuer sprechen CDU-Politiker mittlerweile offen. Ein Kernelement ist auch die Gesundheitsprämie. Damit sollen die Krankheitskosten von den Löhnen abgekoppelt werden. Von der FTD befragte Ökonomen unterstützen Merkels Programm im Grundsatz. Sie erwarten aber keine schnellen großen Erfolge.

Kündigungen werden leichter
Union und FDP wollen Kündigungen erleichtern, um die Hürden für Neueinstellungen zu senken. So sollen ältere Arbeitnehmer auf ihren Kündigungsschutz verzichten und im Gegenzug eine Abfindung vereinbaren können. Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erwartet dadurch zunächst mehr Arbeitslose: "Die Unternehmen trennen sich von Leuten, die sie schon länger loswerden wollten." Mittelfristig steige aber die Bereitschaft, neue Leute einzustellen. Auch Thomas Straubhaar, Präsident des Hamburgischen Weltwirtschaftlichen Instituts (HWWI), rechnet mit positiven Effekten durch eine Abfindungsregelung. In der Folge könnten die Kosten für die Arbeitslosenversicherung und damit die Beiträge sinken. Wolfgang Wiegard, Mitglied des Sachverständigenrats, erwartet dagegen, dass sich zusätzliche Entlassungen und Neueinstellungen die Waage halten werden. Darauf deuteten auch internationale Studien hin. Durch Einsparungen bei der Arbeitsmarktpolitik will die CDU den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 5 Prozent des Bruttolohns senken. Dadurch entstünden 150.000 Jobs, so das Kalkül. Nach Bachs Einschätzung entspricht die Zahl den gängigen empirischen Untersuchungen.

Mehr betriebliche Bündnisse für Arbeit
Die Regierung Merkel würde möglichst bald "betriebliche Bündnisse für Arbeit" ermöglichen. Das heißt, die Löhne würden nicht mehr über den Flächentarifvertrag zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ausgehandelt, sondern zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat. HWWI-Präsident Straubhaar unterstützt das uneingeschränkt: "Eine maßgeschneiderte Lösung ist immer besser als Einheitskonfektion." Es sei auch nicht zu befürchten, dass einzelne Betriebsräte weniger Verhandlungsmacht hätten als die Gewerkschaften. Joachim Scheide, Chef der Konjunkturabteilung am Kieler Institut für Weltwirtschaft, erwartet von den betrieblichen Bündnissen mehr Flexibilität der Löhne: "Die sind bisher zu starr. Das kostet Jobs." Der Wirtschaftsweise Wiegard sieht das anders: Heute berücksichtigten die Gewerkschaften bei ihren Lohnforderungen auch gesamtwirtschaftliche Aspekte. Das sei bei Betriebsräten anders. Die Gewerkschaften hätten in jüngster Zeit sehr vernünftige Tarifabschlüsse ausgehandelt. Selbst ein Anhänger der Arbeitsmarktliberalisierung wie Straubhaar rechnet aber damit, dass die Auswirkungen erst nach rund drei Jahren sichtbar werden. Scheide sieht aber schon einen "Ankündigungseffekt".

Niedrigere Steuern sichern Standort
Sollte bis 2007 genug Geld in der Staatskasse sein, würde die große Steuerreform der Regierung Merkel einen Stufentarif für die Einkommensteuer vorsehen. Mit den Sätzen von 12, 24 und 36 Prozent könnte sich auch die FDP anfreunden. Der Spitzensatz soll aber auf 39 Prozent angehoben werden, um die Gesundheitsreform zu finanzieren. Der Körperschaftsteuersatz von heute 25 Prozent würde wahrscheinlich sinken, schließlich hatte Merkel schon mit dem heutigen Kanzler einen Satz von 19 Prozent vereinbart. Ob eine Senkung der Einkommensteuer den Konsum ankurbelt, ist für DIW-Ökonom Bach nicht sicher: "Das wirkt nur, wenn die Leute auch Vertrauen in die Zukunft haben. Sonst sparen sie das Geld." Schon in der Vergangenheit waren Steuersenkungen verpufft. Weitere Entlastungen für die Unternehmen hält Bach aber in jedem Fall für richtig: "Die hohen Grenzsteuersätze müssen weiter runter. Andernfalls werden noch mehr Gewinne ins Ausland verlagert." Die Union wird die Einkommensteuer auch deshalb senken, weil diese Steuer von den Personengesellschaften gezahlt wird. Sie machen rund 85 Prozent aller deutschen Unternehmen aus. CDU und CSU argumentieren seit Jahren, dass diese höher besteuert würden als die Kapitalgesellschaften.

Gesundheitskonzept nur ein erster Schritt
Über Merkels Gesundheitsreform besteht unter den meisten Ökonomen Konsens: Der Grundansatz ist richtig, aber der Kompromiss, den die CDU mit der CSU geschlossen hat, war "faul", sagt der Kieler Wirtschaftsforscher Joachim Scheide. Die Idee, durch eine einheitliche Prämie die Gesundheitskosten von den Löhnen zu entkoppeln, könne zu mehr Beschäftigung führen. Aber der vereinbarte Sozialausgleich aus Steuermitteln mache das Konzept weniger effizient und bürokratischer, kritisiert auch HWWI-Präsident Thomas Straubhaar: "Die Versicherung wurde nicht konsequent genug abgekoppelt von der Umverteilung." Sein Kollege Scheide tröstet sich damit, dass das Kompromissmodell zumindest ein Einstieg sei und besser als das heutige System. Hier steigen die Beiträge mit dem Einkommen - zumindest bis zur Beitragsbemessungsgrenze. DIW-Forscher Stefan Bach geht davon aus, dass die meisten Arbeitnehmer durch das Unionsmodell entlastet würden, auch unter Berücksichtigung des Sozialausgleichs. Die Dynamik der Gesundheitskosten wirke sich nicht mehr so schädlich aus. Auch liege das Merkel-Modell im internationalen Trend. Bach: "Die soziale Grundsicherung wird immer stärker steuerfinanziert. Alles, was darüber hinausgeht, ist Sache des Marktes."

Mehrwertsteuer hebt die Preise nur wenig
Wie sich eine höhere Mehrwertsteuer auswirkt, hängt auch davon ab, wie das Geld verwendet wird. Eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge würde Arbeitgeber und Arbeitnehmer entlasten und könnte Beschäftigung schaffen. Arbeitslose und Rentner würden davon nicht profitieren. Bei den Arbeitslosen wäre auch der Effekt einer Einkommensteuersenkung gleich null, bei den Rentnern sehr gering. Wie stark die Preise durch eine höhere Mehrwertsteuer steigen würden, ist unklar. "Kurzfristig wird es keine volle Überwälzung auf die Preise geben", sagt DIW-Forscher Bach. "Dazu ist die Konsumnachfrage zu schwach und der Wettbewerb zu hart." Auch rechnet er nicht damit, dass die Gewerkschaften als Ausgleich höhere Löhne durchsetzen können. Das sei in den 70er und 80er Jahren noch anders gewesen. Bach fürchtet aber, dass ein Mehrwertsteuersatz von 20 Prozent (statt heute 16 Prozent) die Schattenwirtschaft fördert. Unter anderem deshalb ist auch der Kieler Ökonom Scheide strikt dagegen, die wichtigste Verbrauchssteuer anzuheben. Statt dessen sollten lieber Staatsausgaben gekürzt werden, insbesondere die Subventionen. Dadurch würde das Wirtschaftswachstum zulegen. Heute betrage das Potenzial nur ein Prozent. Zwei Prozent wären erreichbar.

© Financial Times Deutschland

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