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Kondensmilch statt Komasaufen: Die Welt der Enid Blyton

Was darf auf keiner guten Feier fehlen? Ölsardinen, Dosenpfirsiche und Kondensmilch natürlich! Das hätte ich zumindest mit 10 Jahren geantwortet, denn im Internat Lindenhof war diese - in der Rückschau zugegebenermaßen kuriose Mischung - fester Bestandteil einer jeden Mitternachtsparty. Lindenhof: Schauplatz der Abenteuer um die Zwillinge Hanni und Nanni und bis heute Ort der Sehnsucht für Millionen von Mädchen - auch 45 Jahre nach dem Tod der Autorin Enid Blyton.
von wissen.de-Autorin Andrea Lebeau, November 2013

Enid Blyton
wissenmedia, Gütersloh
Das Werk der englischen Schriftstellerin hat Generationen von jungen Lesern geprägt wie kaum ein anderes. Mit über 600 Millionen verkauften Büchern ist sie bis heute eine der kommerziell erfolgreichsten Autorinnen. In Deutschland sind neben den Internats-Reihen Hanni und Nanni und Dolly (St. Clare’s und Malory Towers im Original) die Abenteuer der Fünf Freunde (Famous Five) besonders beliebt - nur ein kleiner Teil von Blytons literarischem Gesamtwerk. Wie am Fließband arbeitete sie an ihren Geschichten, brachte 10.000 Wörter am Tag zu Papier. Insgesamt schrieb Blyton mehr als 700 Bücher.

Dem beruflichen Erfolg standen private Probleme gegenüber. Blytons erste Ehe zerbrach. Den gemeinsamen Töchtern untersagte sie den Kontakt zu ihrem Vater. Lieblos und herrisch soll sie als Mutter gewesen sein, so die jüngere Tochter Imogen. Gegenüber der Öffentlichkeit gelang es Blyton, ein positives Image zu bewahren. Sie verstand sich darauf, sich selbst zur Marke zu machen und diese zu pflegen. Die eigene Unterschrift auf ihren Büchern war ebenso ihre Idee wie die verkaufswirksame Illustration der Bucheinbände. Gerne empfing sie Fans zum Tee in ihrem Landhaus. Noch kurz vor ihrem Tod beantwortete sie Leserbriefe – schwer gezeichnet von ihrer Alzheimer-Erkrankung.

 

Keine Kritik von Leuten über zwölf!

Die Meinung ihrer jungen Leser stellte Blyton über alles andere. "Kritik von Leuten über zwölf interessiert mich überhaupt nicht", soll sie einmal angesichts der teils vernichtenden Besprechungen ihrer Bücher gesagt haben. Bereits in den 1950er-Jahren, Blyton befand sich auf dem Gipfel ihrer Produktivität – musste sie sich mit Kritik am literarischen Wert ihrer Werke auseinandersetzen. Ihr Wortschatz sei zu beschränkt, ihre Figuren zu eindimensional, die von ihr erzählten Welten zu vereinfacht in Gut und Böse unterteilt.

Sicherlich nicht unbegründet sind die Vorwürfe von Rassismus und Sexismus in Blytons Werken. "Zigeuner" und Figuren mit südländischem Aussehen führen in der Regel nichts Gutes im Schilde oder sind gesellschaftliche Außenseiter, die sich anpassen müssen. Wortführer in den Abenteuer-Geschichten sind immer die Jungen. Für die Hausarbeit sind die Mädchen zuständig. So ist die ängstliche Anne stets mit dabei, wenn sich die Fünf Freunde auf die Jagd nach Schmugglern, Strandräubern und Juwelendieben begeben. Eigentlich aber bereitet sie lieber das Picknick für die Gruppe vor, als durch Geheimgänge zu kriechen, und träumt von Ferien ohne Abenteuer. Ihre Cousine, die jungenhafte George, ist eine der wenigen starken Mädchenfiguren Blytons.

 

Die geschützte Welt von Hanni und Nanni

Verschlungen habe ich die Bücher trotzdem. Und irgendetwas an Enid Blytons Geschichten scheint die Leser auch heute noch zu faszinieren. Zwar haben spätestens mit Harry Potter und seinen Mitschülern neue Helden in die Kinderliteratur Einzug gehalten, doch auch Blytons Bücher erreichen nach wie vor eine breite Leserschaft. Um dies auch für die Zukunft sicherzustellen, wurden ihre Veröffentlichungen im Laufe der Zeit immer wieder massiv überarbeitet. Neben sprachlichen Änderungen wurden die Geschichten auch an moderne Konventionen angepasst. (Bei den Fünf Freunden schmieren nun Jungs und Mädchen gemeinsam die Picknick-Brote.)

Doch aller Modernisierungen zum Trotz ist die Welt von Hanni, Nanni, Dolly und George auch heute noch ein geschützter Bereich: Mädchenschlafsaal statt Teenie-Schwangerschaft. Handballturnier statt Ballerspiele. Niespulver statt Waffen im Klassenzimmer. Kondensmilch statt Komasaufen. Vielleicht liegt auch darin eine Erklärung für Blytons anhaltenden Erfolg.

Über das Dosenobst und die Sardinen staunt übrigens nicht nur der moderne Leser. Auch so manche Schülerin von Lindenhof musste nach einer der berühmten Mitternachtspartys der Hausmutter wegen Bauchschmerzen einen Besuch abstatten. Trotzdem wäre ich zu gerne einmal mit dabei gewesen!

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