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Männer: Haben die wilden Kerle ausgedient?

Sein langes, volles Haar weht im Wind, während er energischen Schritts Kampf und Abenteuer entgegengeht. Ausgeprägte Muskeln zeichnen sich unter der straffen Haut seiner starken Arme ab, als er sein Schwert greift und mit wütendem Kampfschrei und edlem Gemüt zum Sieg über das Böse schreitet. Wer ist dieser sagenhaft männliche Mann? Es könnte Siegfried oder Lancelot sein, der Skandinavier Beowulf, der biblische Samson oder der griechische Herkules, vielleicht auch Richard Löwenherz oder Zorro – die Liste der literarischen männlichen Superhelden und Weltenretter ist lang und zieht sich durch alle Kulturen und Epochen.
von wissen.de-Redakteurin Alexandra Mankarios, November 2013

Vater und Tochter
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Hand aufs Herz – welcher Mann möchte nicht ein bisschen wie Herkules oder Zorro sein? Und welche Frau hätte nicht gern einen Partner an ihrer Seite, den die charmant-wilde Aura eines Lancelot umgibt? Aber nur, wenn er sich neben der Karriere auch um Nachwuchs und Haushalt kümmert. Überhaupt sollte er nicht die erste Geige spielen wollen und als Ansprechpartner in Gefühlsfragen darf er auch nicht patzen. Aber ein Richard Löwenherz, der Elternzeit nimmt und das Klo putzt? Schwer vorstellbar.

Und damit sind wir mitten in der Realität des 21. Jahrhunderts angekommen. Die klassischen männlichen Tugenden – Stärke, Mut, Entschlossenheit – haben kein bisschen ihren Reiz verloren. Aber sie die Gesellschaft verlangt noch mehr von Männern. Sie sollen den selbstbewussten, modernen Frauen Platz in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einräumen und sich auch in klassischen Frauendomänen wie Haushaltsführung und Erziehung beweisen. Sie sollen, so könnte man es sehen, einen Platz an der Sonne aufgeben und sich auf Gebieten hervortun, die traditionell wenig Anerkennung finden. Es gibt aber auch eine andere Betrachtungsweise: Die einer gewaltigen Chance, dass Männer heute mehr denn je die Freiheit haben, so zu leben, wie es ihrer Persönlichkeit entspricht, anstatt sich im engen Rahmen eines Rollenklischees bewegen zu müssen.

 

Neue Männer hat das Land

Männer gehen in die Welt, beschützen und ernähren die Familie, treffen alle wichtigen Entscheidungen – an dieser gesellschaftlichen Regel hat jahrhundertelang kaum jemand gerüttelt, weder in Europa noch in den meisten anderen Kulturen auf der Welt. Sie galt als natürlich, und sie funktionierte. Bis die Aufklärung kam. Ende des 18. Jahrhunderts begannen die ersten Frauen, ihre „natürliche“ Stellung in der Gesellschaft anzuzweifeln. Im 19. Jahrhunderts nahm die Frauenbewegung an Fahrt auf, vor nicht einmal 100 Jahren durften Frauen das erste Mal in Deutschland wählen. Bis heute sind immer mehr gesetzliche und gesellschaftliche Hürden gefallen, die Frauen an Heim und Herd bannen sollten.

Und die Männer? Lange schien niemandem aufzufallen, dass der Aufbruch der Frauen auch am Sockel des Männerideals kratzte. Erst in den siebziger Jahren kamen Männerbewegungen auf, die Männerbild und -rolle hinterfragten.

Seitdem hat sich Einiges getan. Studien zeigen, dass sich Männer mehr denn je im Haushalt beteiligen, immerhin ein Viertel der Väter nimmt Elternzeit in Anspruch, auch Teilzeitbeschäftigungen sind unter Männern etwas beliebter geworden. Parallel dazu haben sich die Einstellungen der Männer verändert: Während die Familie immer wichtiger für sie wird, ist die Berufstätigkeit von Frauen selbst für traditionell denkende Männer mittlerweile ein alter Hut – ganz anders als noch vor 50 Jahren.

 

Zwischen Freiheit und Verunsicherung

Vladimir Putin beim Angeln
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Aber ganz so reibungslos, wie die statistischen Trends vermuten lassen, verläuft der Wandel des Männerbildes nicht. 2008 ordnete die vom Bundesfamilienministerium finanzierte Studie „Männer in Bewegung“ fast ein Drittel der 1500 befragten Männer der Kategorie „Die Suchenden“ zu. Gemeint waren Männer, „die mit den herkömmlichen Rollenbausteinen nichts mehr und mit den modernen noch nichts bzw. auch nichts anfangen können“. Deutlich weniger als die „teiltraditionellen“, „modernen“ oder „balancierten“ Typen stimmten sie der Aussage zu, dass sie stolz seien, Männer zu sein.

Woher rührt die Unsicherheit? Vielleicht daher, dass niemand so genau weiß, welche Erwartungen Männer heute erfüllen müssen. Das legt eine im September 2013 veröffentliche Studie nahe. Männer und Frauen sind sich danach zwar einig darin, dass Männer Entscheidungen heute nur zusammen mit ihrer Partnerin treffen sollten. Ansonsten geht die Sicht der Geschlechter weit auseinander. Männer sehen sich vor allem der – klassischen – Erwartung ausgesetzt, selbstbewusst durchs Leben zu gehen und für den Familienunterhalt zu sorgen. Das ist Frauen zwar nicht unwichtig, noch wichtiger finden sie aber, dass Männer humorvoll, einfühlsam und gepflegt auftreten. Kein Wunder, dass 35 Prozent der befragten Männer beim Erfüllen der Rollenerwartungen mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben.

„Das Männerbild, das die heutigen Männer von ihren Vätern und Großvätern vorgelebt bekommen haben, stimmt nicht mehr“, erklärt Dieter Teschke. Der Hamburger Psychologe leitet seit über 25 Jahren Männergruppen und -seminare, er kennt die Schwierigkeiten, mit denen viele Männer heute kämpfen. „Früher war in Beziehungen Verlässlichkeit und Sicherheit gefragt, die Frauen waren ja materiell von den Männern abhängig. Heute gibt es viele unterschiedliche Formen von Partnerschaft, man bleibt nicht mehr wegen des Geldes oder der Kinder zusammen.“ Dafür hätten die emotionalen Seiten an Bedeutung gewonnen: „Heute ist man in Liebe verbunden. Aber diese Liebe zu halten, haben viele von ihren Eltern und Großeltern nicht gelernt.“ Männern falle es häufig schwerer als Frauen, über ihre Gefühle zu sprechen, so Teschke. „Es ist noch immer der schwierigste Satz für Männer, ihrer Frau zu sagen ‚Ich kann das nicht’.“

 

Gegensätze müssen sein

Eins steht fest: So wenig, wie die Frauenbewegung das Männerbild unverändert stehen lassen konnte, so wenig können sich heute auch die Männer verändern, ohne dass die Frauen mitziehen. Und die, erklärt Teschke, seien auch mit neuen Herausforderungen konfrontiert. „Frauen müssen heute mehr denn selbst für ihr Einkommen sorgen. Diese Umstellung fällt ihnen nicht immer leicht.“ Die Statistik gibt ihm recht: Nur knapp zwei Prozent der Väter nahmen 2011 mehr als die zwei „Vatermonate“ lang Elternzeit. Das hat ein wenig mit den in der Regel höheren Einkommen der Väter zu tun, häufig sind es aber auch die Frauen, die gern zu Hause bleiben und ihre Kinder versorgen möchten.

Dass sich Frauen schwer tun, Männern ihre eigenen klassischen Zuständigkeitsbereiche zu öffnen, zeigt sich zum Beispiel auch beim Thema Sorgerecht. Ein 2010 vorgeschlagenes Gesetz, das ledigen Vätern automatisch das Sorgerecht für ihre Kinder einräumen sollte, stieß auf heftige Widerstände. Seit 2013 gilt nun eine Art Kompromiss: Ledige Väter können das Sorgerecht ohne die Zustimmung der Mutter beantragen und bekommen es zugesprochen, sofern die Mutter nicht konkrete, gerichtlich anerkannte Einwände vorbringen kann.

Gesetzlich ist also immer mehr der Weg frei, dass Männer und Frauen die alten Rollenbilder verlassen. Gibt es irgendwann keinen Unterschied mehr zwischen Männern und Frauen? „Es ist sinnvoll, dass es Polaritäten und Gegensätze gibt“, meint der Psychologe Dieter Teschke. „Die Frage ist aber, ob die starke Seite immer bei den Männern und die schwache bei den Frauen liegen muss. Warum nicht auch mal umgekehrt?“ Die Polaritäten entstünden in Zukunft eher individuell in der Beziehung, vermutet er. Wichtig seien sie aber noch immer: „Dadurch entsteht Spannung. Sonst wäre das Zusammenleben ja ziemlich langweilig.“

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