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Marsrätsel

Dr. Dirk Soltau

Die Monde

Zu den Besonderheiten des Mars gehören seine beiden seltsamen Monde, die bereits 150 Jahre bevor sie ein Mensch zu Gesicht bekommen hatte, beschrieben worden waren:

1726 erschien in England Jonathan Swifts fantastischer Reiseroman “Gullivers Reisen“. In seinem dritten Teil, der in der Kinderbuchfassung meist weggelassen wird, besucht Gulliver die fliegende Insel Laputa. Deren Bewohner sind begeisterte Anhänger der Naturwissenschaften und berichten Gulliver von zwei Monden, die den Mars umkreisen. Der Abstand vom Mars sei sehr gering: Im einen Fall fünf, im anderen Fall sogar nur drei Marsdurchmesser.

Für die irdische Astronomie dauerte es aber noch bis zum 11. August 1877. In dieser Nacht beobachtete der amerikanische Astronom Asaph Hall in Washington den Mars. Während zur selben Zeit Schiaparelli in Mailand nach Canali suchte, nutzte der Amerikaner die Gelegenheit der Großen Opposition, um nach Monden Ausschau zu halten. Und tatsächlich: Ganz dicht neben dem Planeten entdeckte er ein schwaches Lichtpünktchen, das sich als Marsmond entpuppte. Wenige Tage später entdeckte Hall sogar noch einen zweiten Mond, der dem Planeten noch näher stand. Welche Namen sollten die Begleiter des Kriegsgottes bekommen? Hall entschied sich für Phobos (Angst) für den inneren Mond. Den Äußeren nannte Hall Deimos (Schrecken). Ihr Abstand vom Mars: 1,4 und 3,5 Marsdurchmesser.

Frage: Woher hatte Swift 150 Jahre vorher von den Monden wissen können? - Antwort: Wahrscheinlich hatte er eine alte Vermutung von Kepler aufgegriffen und mit gesundem Menschenverstand aus der Tatsache, dass man noch keine Monde gesehen hatte, geschlossen, dass sie den Mars sehr eng umkreisen müssen.

Die sehr niedrige Umlaufbahn von Phobos bewirkt eine Umlaufzeit, die kürzer als ein Marstag ist und führt damit zu einem im Planetensystem einmaligen Effekt: Phobos geht im Westen auf und läuft den Sternen und auch seinem Mitmond Deimos am Himmel entgegen!

Phobos und Deimos gehören zu den dunkelsten Körpern des Planetensystems: Sie sind so schwarz wie Kohle. Ihre chemische Zusammensetzung ähnelt der eines Meteoriten mehr als der des Mars. Außerdem ist ihre Dichte sehr gering. Diese und andere Befunde lassen vermuten, dass sie mit den Asteroiden verwandt sind. Wenn dies zutrifft, dann hätte uns die Natur zwei Asteroiden, die normalerweise jenseits des Mars zu finden sind, quasi vor die Haustür gelegt. Grund genug, die beiden schwarzen Zwerge, deren längste Durchmesser nur 21 Kilometer (Phobos) und 12 Kilometer (Deimos) betragen, genauer zu untersuchen. Sie wären übrigens auch als Orbitalstationen für zukünftige Marsmissionen interessant: Wegen ihrer geringen Schwerkraft könnte ein Raumschiff an den Monden ohne viel Energieaufwand andocken. Vielleicht könnte man das Mondmaterial sogar verwenden, um an Ort und Stelle Treibstoff herzustellen.

Die bisher ehrgeizigsten Versuche, den kartoffelförmigen Phobos zu untersuchen, sind gescheitert. Phobos 1 und Phobos 2 hießen die sowjetischen Sonden, die nicht nur ganz dicht an Phobos vorbeifliegen sollten, sondern auch Landemodule an Bord hatten. 1988 ging Phobos 1 durch ein falsches Steuerkommando verloren, und im März 1989, nachdem der Mars schon erreicht war, stellte Phobos 2 seine Funksignale ein, nicht ohne vorher noch eine Serie von Bildern an die Erde gefunkt zu haben.

Zur Marsforschung gehören seit dem „Krieg der Welten“ auch die Verschwörungstheorien. Und so rankten sich um den Verlust von Phobos 2 diverse Gerüchte: Hatte Phobos 2 auf dem Mars und auf Phobos selbst merkwürdige Dinge gesehen? Im sowjetischen Fernsehen waren (mal wieder ...) geometrische Muster auf dem Mars zu erkennen. Und warum haben die Sowjets nicht das berühmte „letzte Bild“ vor der Funkstille veröffentlicht?

Auch ohne solche Merkwürdigkeiten bleiben die Marsmonde spannend. Wie konnten die riesigen Krater entstehen ohne dass die Monde zerstört wurden? Woher stammen die Rillen, die zwar auf Erosion hindeuten aber bei einem Mond ohne Atmosphäre schwer erklärbar sind?

Wir haben übrigens Glück, dass wir die beiden Monde überhaupt noch angetroffen haben. Phobos nähert sich allmählich in einer spiralförmigen Bahn seinem Mutterplaneten. In „nur“ 50 Millionen Jahren wird er entweder von den Gezeitenkräften zerrissen werden oder als Ganzes auf den Mars stürzen. Und Deimos? Ihm blüht das gegenteilige Schicksal: Allmählich entfernt er sich vom Mars und wird ihn einst verlassen. Dann wird er als Asteroid - der er ja vielleicht schon einmal war - das Planetensystem durchstreifen.

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