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Medienwandel: Zeitungen sterben, Medienkonzerne verdienen

Mit dem Internet kam das Zeitungssterben: Wer bezahlt noch für Informationen, die im Netz umsonst zu haben sind? Die Medienkrise bedroht die Pressevielfalt, Qualitätsjournalismus entwickelt sich zum Auslaufmodell. Die großen Medienunternehmen allerdings machen nach wie vor Gewinn.
von wissen.de-Redakteurin Alexandra Mankarios, Dezember 2013

Zeitungen – Auslaufmodell unter den Medien
Fotolia.com/matttilda
Zeitung lesen im Internet? Vor 20 Jahren völlig unmöglich: Erst 1995 gingen die ersten Zeitungen in Deutschland online, gegen Jahresende waren es gerade einmal 13. Leser hatten die im Vergleich zu den gedruckten Ausgaben stark abgespeckten Online-Newsangebote kaum. Laut einer Studie von ARD und ZDF waren selbst 1997 gerade einmal 6,5 Prozent der Deutschen im Netz, die meisten von ihnen männlich, gebildet und betucht, schließlich mussten Internetsurfer damals noch im Minutentakt für die schleichend langsame Verbindung bezahlten, von der teuren Computerausstattung ganz zu schweigen. Damit mag es auch zusammenhängen, dass Informationen im Internet bis heute traditionell gratis zu haben sind. Aber die Kostenlos-Kultur der Online-Zeitungen, einst als Werbung für die gedruckten Ausgaben und als Lockmittel für ambitionierte Surfpioniere gedacht, hat die gesamte Medienlandschaft nachhaltig verändert.

 

Viel Information, wenig Pressevielfalt

Das Internet: Ein wirres, weltumspannendes Netzwerk aus Computern und Kabeln, das niemand so richtig überblicken kann – selbst fantasievolle Science-Fiction-Autoren haben nicht vorausgesehen, dass wir heute im Netz eigentlich alles tun: einkaufen, Freunde treffen, spielen, diskutieren und uns über das Weltgeschehen informieren. Um Letzteres zu tun, steht eine Fülle an Quellen zur Verfügung: Die Onlineangebote der Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine, Suchmaschinen, Blogs, soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook. Ob es um den neuen Koalitionsvertrag, den syrischen Bürgerkrieg oder die politische Lage in der fernen Zentralafrikanischen Republik geht – wer auf dem Laufenden bleiben will, kann verschiedene Nachrichtenquellen vergleichen, Augenzeugenberichte verfolgen, sich ein umfassendes Bild machen. Traumhafte Zeiten für die Informationsvielfalt.

Für die Pressevielfalt hingegen nicht – die nimmt in Deutschland seit Jahren kontinuierlich ab. Selbst etablierte Zeitungen – wie 2012 die Financial Times Deutschland – müssen schließen, die insolvent gegangene Frankfurter Rundschau ist zwar gerettet, allerdings mit einer 35-Prozent-Beteiligung des einstigen Konkurrenzblatts, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. In kaum noch einer Ecke Deutschlands können Zeitungsleser zwischen zwei verschiedenen Regionalzeitungen wählen, die noch bestehenden Tageszeitungen werden aus immer weniger Redaktionen mit größtenteils identischen Inhalten beliefert. Auch wenn man Hörfunk und Fernsehen hinzu nimmt, kann von Vielfalt kaum die Rede sein: Gerade einmal fünf Mediengruppen – ARD, Bertelsmann, Axel Springer, ProSiebenSat1 und das ZDF – teilten sich 60 Prozent der „Meinungsmacht“ in Deutschland, erklärte die Bayerische Landeszentrale für neue Medien im August.

 

Journalismus als Hobby

Überall online sein – heute ganz normal
shutterstock.com/Adam Radosavljevic
Erfahrungsbericht zum neuen Fernsehgerät, Buchbesprechung, Livebericht von der Demo, die persönliche Meinung zum NSU-Prozess – wer Informationen teilen oder seine Ansicht öffentlich verkünden möchte, kann das heute mit ein paar Mausklicks einfach tun. Blogger und Bürgerjournalisten arbeiten traditionell unentgeltlich, sie treibt politisches Engagement oder Interesse an einem bestimmten Thema an. Viele Blogs sind hochwertig und fest etabliert, etwa die Seite carta.info, die im Dezember 2013 ihr fünfjähriges Bestehen feiert, oder die seit 2004 betriebene Seite netzpolitik.org, die sich mit digitalen Bürgerrechten befasst. Ernähren müssen sich allerdings auch Blog-Autoren, und deshalb lässt sich diese Form des Journalismus nicht unendlich steigern. Wie viele Skandale kann jemand aufdecken, wie vielen Politikern auf die Finger schauen, wie viele Interviews führen oder Archive sichten, wenn er "nebenbei" noch im Vollzeitjob glänzen möchte?

Eben diese Frage schert Medienmacher allerdings zusehends weniger – so lässt sich jedenfalls das Geschäftsmodell der Huffington Post deuten, die im Oktober 2013 auch in Deutschland startete: Für die Betreiber – AOL als Inhaber und die Burda-Tochter Tomorrow Focus als deutscher Partner – geht es nicht um Engagement, sondern schlicht um Gewinne. Die Autoren, Blogger genannt, schreiben allerdings umsonst – ihnen winkt Immaterielles. "Was wir Ihnen bieten können: Durch die Starthilfe von FOCUS Online sicher eine schöne Reichweite Ihrer Texte – und dadurch auch eine Erhöhung der Visits Ihres Blogs", versuchte die "HuffPo"-Redaktion zum Start ihrer Seite etwa den Blogger Kai Petermann zu gewinnen. "Was wir leider nicht bieten können: Geld für die Beiträge." Petermanns Antwort: "Ich gebe Ihren Vorschlag gern an meinen Vermieter, den Lebensmittelhändler, den Tankwart und die Telekom weiter. Vielleicht kann ich in Zukunft dort ja ebenfalls ohne Bezahlung alle nötigen Dinge bekommen."

 

Das Ende des Qualitätsjournalismus?

Von bequemen Zahlungen an Tankwart oder Vermieter sind nicht nur Blogger, sondern auch immer mehr Profi-Journalisten in Deutschland weit entfernt. Von April 2012 bis April 2013 sei die Zahl der arbeitslosen Journalisten um 12,9 Prozent gestiegen, meldete die Bundesagentur für Arbeit im Mai – im Vergleich zu einem Anstieg der Arbeitslosenquote insgesamt um zwei Prozent. Auf die rund 4.300 arbeitsuchenden Medienprofis kamen gerade einmal 400 freie Stellen. Wer keine der begehrten Festanstellungen ergattern kann, wählt häufig den Weg in die Freiberuflichkeit – aber auch da ist selbst bei guter Auftragslage nicht viel zu holen. Auf durchschnittlich 17.600 € schätzen die in der Künstlersozialkasse versicherten freien Journalisten ihren Jahresumsatz, der Gewinn liegt noch einmal darunter. Der Grund für das im Vergleich zu anderen akademischen Berufen extrem niedrige Einkommen: Der Wert professioneller journalistischer Arbeit ist rapide gesunken. In der wirtschaftlichen Gesamtrechnung der Medienunternehmen ist inhaltliche Qualität nur noch eins von mehreren Kriterien. Im Internet zählt vor allem, was viele Klicks bringt, denn die wiederum bringen höhere Werbeeinnahmen, die Haupteinnahmequelle der meist kostenlos verfügbaren Onlinemedien. Und Klicks lassen sich eben auch mit weniger aufwändig recherchierten Beiträgen beschaffen. Zumindest so lange, bis die Verlage ein Bezahlsystem für ihre Inhalte entwickelt haben, das auch von den Nutzern angenommen wird, und das steckt derzeit noch in den Kinderschuhen.

Dass das Internet den Medienunternehmen das Leben schwer macht, lässt sich allerdings kaum behaupten: Auch wenn Zeitungen eingestellt und Redaktionen eingedampft werden, auch wenn Abonnenten wegfallen, machen die großen Medienkonzerne weiter Gewinne. So äußert sich etwa der Axel-Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner im Geschäftsbericht 2012 geradezu enthusiasisch: "Das Internet ist die größte Erfindung der Kulturgeschichte nach Sprache, Schrift und Buchdruck. Und die größte unternehmerische Chance unserer Zeit. (...) Ich bin überzeugt, dass die Axel Springer AG erheblich von diesen Veränderungen profitieren und den Unternehmenswert nachhaltig steigern kann."

Es bleibt abzuwarten, ob auch langfristig auch der Qualitätsjournalismus wieder von dieser Entwicklung profitieren wird.

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