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Mit der Kamera für die Forschung unterwegs
Ein Sturm tobt über die Nordsee: Stahl knarzt, Tischbeine scharren, in den Schränken poltert hörbar alles, was nicht fixiert ist – sechs Meter hohe Wellen lassen nichts und niemanden kalt. Auch das Forschungsschiff "Heincke" vom Alfred-Wegener-Institut wurde von diesem Sturm erwischt und musste trotz seiner stattlichen Länge von 55 Metern mit den Wellen kämpfen. An Bord des Schiffs war ein internationales Forschungsteams, das im Rahmen des Projekts "North Sea Wrecks" nach versunkener Munition in der Nordsee sucht.
Ziel der Fahrt im April 2021 war das westlich von Helgoland liegende Schiffswrack "SMS Mainz", das im Zweiten Weltkrieg sank. Das internationale Team wollte wissen, ob von der Munition des Kriegsschiffes Gefahren für Mensch, Meer und Tier ausgehen. Mit an Bord war auch Cornelia Riml, eine Österreicherin, die die Expedition für das Deutsche Schifffahrtsmuseum filmisch und fotografisch begleitete.
Die Familiengeschichte führt nach Grönland
Die Sehnsucht nach Meer und Schiffen mag für eine Tirolerin ungewöhnlich anmuten, doch die Seefahrt und die Faszination für nördliche Gefilde sind ihr quasi in die Wiege gelegt: Ihr Großvater war Walter Riml, ein berühmter österreichischer Kameramann und Experte für Berg- und Schneeaufnahmen, der oft im hohen Norden unterwegs war. Schon 1932 verschlug es ihn zum ersten Mal nach Grönland. Für den Film „SOS Eisberg“ stand der 2,05 Meter große Tiroler in Fellanzug und mit Walfett eingeschmiert als Schauspieler vor der Kamera. Während des damaligen siebenmonatigen Aufenthalts in Grönland barg Riml sogar die Signalflagge Alfred Wegeners aus dem Eis.
1935 kämpfte sich Riml erneut durch Grönland, um Ergänzungsaufnahmen für den Alfred Wegener-Gedenkfilm „Das große Eis“ zu drehen. Dabei schrieb Riml in doppelter Hinsicht Geschichte: Er brach zur ersten Zwei-Mann-Expedition nach Grönland auf, um die Aufnahmen für den Film zu drehen. Bei den Dreharbeiten im ewigen Eis arbeitete Riml mit den Polarforschern Ernst Sorge und Fritz Loewe zusammen und bewies sein Können später mehrfach als Bergfilmspezialist - unter anderem im James Bond-Streifen „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“.
Auf dem rund fünf Kilometer langen Filmmaterial aus Grönland verewigte Riml zudem einzigartige Aufnahmen von Gletscherkalbungen, der Lebensweise der Indigenen und verschiedenen damals unbekannte Naturphänomenen. Die Gletscher-Sequenzen sind heute wichtige Zeugnisse für die Wissenschaft, denn sie zeigen die Eisflächen der 1930er Jahre, als diese noch nicht so rasant geschrumpft waren wie heute. Der Vergleich macht den Klimawandel deutlich. Als kreativer Kopf und gelernter Zimmermann baute Riml zudem Konstruktionen, die später Forschenden bei der Entnahme von Proben dienlich wurden.
Mit der Kamera auf den Spuren des Großvaters
Knapp 90 Jahre später folgt seine Enkelin nun ihrer Liebe zum Meer, zieht in den Norden, studiert an der Universität Bremen und steht an Bord des Forschungsschiffs "Heincke". „Natürlich kannte ich die Vergangenheit meines Großvaters – meine Eltern gründeten auf Basis seines Nachlasses das WaRis – Tiroler Filmarchiv samt kleinem Film-Museum", sagt Riml. "Mein Großvater starb aber, als ich noch ein kleines Kind war. Daher erfahre ich vieles über sein Leben erst jetzt neu und lerne ihn auf eine andere Art und Weise kennen – es eröffnen sich neue Verbindungen und Perspektiven für mich und das ist besonders wertvoll."
Wie ihr Großvater ist auch Riml ist überall dabei: Sie hält in Video und Bild fest, wie das Beiboot der Forschungstaucher ins Wasser abgelassen wird, wie Wasser-, Sediment- und biologische Proben genommen und Muscheln ausgesetzt werden. Kein leichter Job: Die Filmerin muss auf allen Decks gleichzeitig sein und diverse Perspektiven des Geschehens einfangen. Die Zeit ist knapp und Abläufe sind nicht wiederholbar.
„NSW ist ein internationales Pionierprojekt, in dem Grundlagenarbeit für den Meeres- und Umweltschutz in der Nordsee geleistet wird“, sagt Riml. Gleichzeitig reizt die junge Filmerin und Fotografin auch das Eintauchen in die Vergangenheit: und „Für mich ist Geschichte eine Brücke, die aus der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft führt.“ Eine Fortsetzung der Nordseefahrten kann sie schon bald erleben: Die Projekt-Crew sticht bald wieder in See: „Ende September, zum Geburtstag meines Großvaters“, berichtet Riml.
Quelle: Deutsches Schifffahrtsmuseum - Leibniz-Institut für Maritime Geschichte