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Nur mit der Chemie werden wir neue Energiequellen erschließen können

© CWFG/CID

Professor Ferdi Schüth, die Sorge um das Klima und die Verknappung der Rohstoffe haben eine weltweite Diskussion über die zukünftige Energieversorgung unseres Planeten in Gang gesetzt. Was können Chemie und Katalyse beitragen?

In den kommenden Jahrzehnten müssen wir unser gesamtes Energiesystem umgestalten. Das ist eines der vielschichtigsten Probleme, vor denen die Gesellschaft derzeit steht. Ohne neue chemische Verfahren wird man es nicht lösen können. Schon ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Energiesysteme immer chemischer geworden sind. Früher pumpte man das Öl aus dem Boden und hat es bestenfalls destilliert. Heute sind Raffinerien chemische Fabriken, in denen die Katalyse eine Schlüsselrolle spielt. Durch den Einsatz von Katalysatoren, die chemische Umwandlungen beschleunigen und in ihrem Ablauf steuern, wird zum Beispiel die Herstellung von Hochleistungskraftstoffen für moderne Motoren überhaupt erst möglich.

 

Brauchen wir in allen Bereichen der Energieversorgung Chemie?

Auf jeden Fall. Ein zukünftiges Energiesystem wird sicherlich auf einem breiteren Energie-Mix beruhen. Die konventionellen Energiesysteme lassen sich noch enorm verbessern, aber auch für die Entwicklung und Anwendung von neuen Technologien ist Chemieforschung zwingend erforderlich. Biodiesel, den jeder kennt, wird aus Rapsöl durch eine chemische Umwandlung gewonnen. Biokraftstoffe zukünftiger Generationen muss man durch noch aufwendigere chemische Umsetzungen erzeugen, um sie an die Verbrennungscharakteristik der Motoren anzupassen. Organische Solarzellen erfordern neue Polymere und kostengünstige Dünnschichttechnologien, und wenn Wasserstoff-Brennstoffzellen in Zukunft Autos antreiben oder Batterien in Geräten ersetzen sollen, sind wir auf geeignete Speichermaterialien angewiesen.

 

Was hat den Wasserstoff eigentlich in den Mittelpunkt der Diskussion um zukünftige Energiesysteme gerückt?

Fossile Rohstoffe sind heute nicht nur unsere Hauptenergiequellen, sondern auch unsere wichtigste Speicher- und Transportform von Energie. Neben neuen Quellen benötigen wir deshalb ebenso dringend eine alternative Energieinfrastruktur. Hier kommt der Wasserstoff als möglicher universeller Energieträger ins Spiel. Sein Energieinhalt ist recht hoch und vor allem reagiert er am Ort der Energieumwandlung, beispielsweise in einer Brennstoffzelle, zu reinem Wasser. Er verursacht somit bei der Energieumwandlung keine umweltbelastenden Emissionen. Das macht seinen großen Charme aus.

 

Viel Charme ohne einen Haken?

Leider nein. Wasserstoff kommt in molekularer Form in der freien Natur fast nicht vor und muss unter Energieaufwand hergestellt werden, zum Beispiel durch die Nutzung von Sonnenenergie. Außerdem ist Wasserstoff ein sehr leichtes und flüchtiges Gas, das sich nur mit Mühe in hoher Dichte speichern lässt. Auf beiden Problemfeldern wird intensiv geforscht.

 

Wie versucht man das Speicherproblem zu lösen?

Physikalisch mit Tieftemperaturbehältern, in denen Wasserstoff bei minus 254 Grad Celsius flüssig gelagert wird, oder in Form sogenannter hochfester Komposittanks, in die er mit enormem Druck als Gas eingepresst wird. Beide Speicherformen benötigen jedoch viel Gewicht und Platz und sind deshalb gerade im Automobilbau weder technisch noch wirtschaftlich wirklich befriedigend. Ich favorisiere eine chemische Lösung.

 

Wie sieht diese chemische Lösung aus?

Man kann den Wasserstoff in Form einer flüssigen Verbindung speichern, zum Beispiel als Methanol, oder man bindet ihn an einen chemischen Adsorptionsspeicher wie Aktivkohle, ein Kohlenstoff mit großer innerer Oberfläche. Ein dritter chemischer Weg ist die Speicherung in sogenannten Hydriden. Das sind vorzugsweise leichte Metalle, die mit dem Wasserstoff eine Verbindung, ein Metallhydrid, bilden. Auf dieser Entwicklungslinie sind wir in Mülheim aktiv. Im Moment haben wir weltweit das beste Hydridspeichersystem, doch es ist leider noch nicht gut genug für die technische Implementierung. Alle diese drei Technologien benötigen erhebliche Fortschritte in der Chemie, speziell der Katalyse.

 

Die zentrale Bedeutung der Katalyse in der Chemie wurde ja im Oktober 2007 mit der Vergabe des Nobelpreises an den Berliner Gerhard Ertl deutlich. Welche Rolle spielt sie jetzt bei der Wasserstoffspeicherung?

An Bord des Fahrzeugs muss der Wasserstoff wieder aus dem Speicher herausgelöst werden, damit man ihn der Brennstoffzelle zuführen kann. Und an einer Tankstelle sollte sich der Speicher zügig füllen lassen. Bei Hydriden beispielsweise schafft man das nur, wenn der Metalllegierung ein Katalysator zugesetzt wird, etwa feinst verteiltes Titan. Ein solcher Katalysator beschleunigt sowohl den Ein- wie auch den Ausbau des Wasserstoffs in und aus dem Metallgerüst. Auch die meisten Prozesse, die Wasserstoff erzeugen, sei es aus Biomasse oder durch photokatalytische Wasserspaltung, sind katalytische Prozesse. Ein Wasserstoff-Energiesystem wird fast an jeder Stelle von katalytischen Schritten abhängen.

 

Wo sonst im Alltag könnten wir Wasserstoff nutzen?

In Laptops oder Mobiltelefonen. Die Effizienz und Energiespeicherdichte eines guten Brennstoffzellensystems sind besser als die einer Batterie. Dass wir unsere portablen Elektronikgeräte, in denen sozusagen eine Minichemiefabrik integriert ist, künftig mit Methanol füllen wie Feuerzeuge mit Benzin, dürfte im großen Stil als Erstes marktreif werden. Elektrizität für Wohnwagen oder Boote wird schon heute teilweise durch Brennstoffzellen-Systeme erzeugt.

 

In Zukunft müssten wir keine elektrische Energie mehr aus der Steckdose beziehen?

Theoretisch nicht, aber man würde es wohl immer noch tun, denn die elektrische Energie ist fürchterlich bequem. Man kann sich aber schon denken, dass jedes Haus an ein Wasserstoff Verteilsystem angeschlossen ist und im Keller eine Brennstoffzelle stehen hat, die aus dem Wasserstoff Elektrizität und Wärme erzeugt. Wie sinnvoll das ist, müsste eine Gesamtenergie-Betrachtung zeigen. Ich glaube nicht, dass das überhaupt schon jemand durchgerechnet hat.

 

Eine andere Option ist es, den Strom für jedes Haus autonom mittels Solarzellen zu erzeugen. Wie kann uns die Chemie bei der Verwirklichung dieser Vision voranbringen?

Mit Solarzellen, deren Herstellung günstiger ist als die von Silicium-Solarzellen, die auf hochreines Material angewiesen sind. Man arbeitet etwa an Solarzellen, in denen das Sonnenlicht mithilfe von farbstoffsensibilisiertem Titandioxid in elektrische Energie umgewandelt wird. Von hohem Interesse sind auch organische Solarzellen, die auf polymere Materialien setzen, also letztlich auf elektrisch leitende Kunststoffe, mit denen man Hausfassaden zu Lieferanten von elektrischer Energie machen kann.

 

Wie gelangt die Elektrizität von der Fassade dann in die Kaffeemaschine?

Indem man die Fassade mit Solar-Modulen verkleidet, in denen Leiterbahnen und Anschlüsse integriert sind. Oder man trägt sie als Polymerschichten auf, die organische Elektronik enthalten. Die richtige Technologie wird sich weisen. Das klingt nach Science-Fiction, wird dann jedoch realistisch, wenn es gelingt, den Wirkungsgrad zu verbessern und die Haltbarkeit der organischen Materialien auf den Stand jetziger Solarzellen zu bringen.

 

Es sind Weichenstellungen für unser Energiesystem notwendig. Wer ist da gefordert?

Wir alle zusammen. Die Aufgabe von uns Forschern ist es, alle Technologieoptionen verfügbar zu machen, damit eine optimale Auswahlmöglichkeit besteht. Die entscheidenden Impulse und Weichenstellungen freilich müssen von der Politik kommen, denn ein Energiesystem wird auf einer Zeitskala von 20 bis 50 Jahren geplant, was über solche Zeiträume nicht allein aufgrund marktwirtschaftlicher Kräfte funktioniert. In Deutschland haben sich die wichtigsten Akteure ja auf den Wasserstoff als Zukunftstechnologie geeinigt, allerdings sehe ich nicht, dass diese Vision auch mit großer Kraft und Konsequenz vorangetrieben wird. Immerhin geschehen spannende Dinge und viele Firmen sind aktiv geworden. Etwa ein Zehntausendstel des täglichen Sonnenlichts würde heute genügen, um die Welt mit Energie zu versorgen. Ich bin überzeugt, dass wir Menschen intelligent genug sind, dieses Potenzial mit guten Technologien anzuzapfen. Das werden wir schaffen.

Das Interview als Podcast auf Forum Chemie macht Zukunft


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