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Original und Fälschung

Die Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher geht als eine der größten journalistischen Fehlleistungen in die Pressegeschichte ein.

Chronik Verlag

Auf einer Pressekonferenz präsentiert das Magazin "Stern"die angeblichen Tagebücher Adolf Hitlers und beginnt am 28. April mit deren auszugsweisem Abdruck. Die Tagebücher, deren Echtheit Historiker von Anfang an bezweifelt hatten, erweisen sich bald als plumpe Fälschung. Die voreilige Veröffentlichung schadet dem Ansehen des "Stern" und der gesamten Presselandschaft.

Bei der Präsentation der Hitler-Tagebücher erklärt "Stern"-Chefredakteur Peter Koch, die Geschichte des Dritten Reiches müsse nun in großen Teilen neu geschrieben werden. Nach Angaben der Illustrierten hat ihr Reporter Gerd Heidemann drei Jahre lang in der Bundesrepublik, in der DDR, in Spanien und Südamerika recherchiert und insgesamt 60 Tagebücher sowie zwei Sonderbände über den England- Flug des Hitler-Stellvertreters Heß und das Attentat vom 20. Juli 1944 ausfindig gemacht.

Um etwaigen Zweifeln an der Echtheit der Dokumente zuvorzukommen, legte der "Stern" namhaften Wissenschaftlern Textauszüge und Schriftproben zur Begutachtung vor. Mehrere Experten, insbesondere der britische Historiker und Hitler-Biograph Hugh Trevor-Roper, erklärten die Authentizität der Dokumente für unstrittig. Zweifler führen gegen die These von Hitler als methodischem Tagebuchschreiber u.a. dessen ausgeprägte Abneigung an, persönliche Gedanken und Gefühle preiszugeben. Zudem weisen Kenner darauf hin, dass Hitler in der zweiten Kriegshälfte zunehmend an Schüttellähmung litt, die ihn beim Schreiben erheblich behindern musste. Am 5. Mai teilt das Bundesinnenministerium unter Berufung auf das Bundesarchiv mit, dass die Hitler-Tagebücher eine Fälschung sind. Eine historische und kriminaltechnische Untersuchung hat zweifelsfrei ergeben, dass die Bücher erst in der Nachkriegszeit angefertigt wurden.

Am 26. Mai wird Heidemann wegen Betrugsverdachts verhaftet. Nach der Festnahme Heidemanns gesteht der Militaria-Händler Konrad Kujau die Fälschung. Entgegen der Aussage Heidemanns, der für die Tagebücher 9,34 Mio. DM gezahlt haben will, behauptet dieser, nur 2,5 Mio. DM erhalten zu haben.

In der internationalen Presse wird das verantwortungslose Verhalten der »Stern«-Macher scharf kritisiert. Zwei der drei Chefredakteure erklären ihren Rücktritt.

 

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