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Päpstin Johanna – die Unbekannte im Vatikan

Es klingt unglaublich: Eine kluge Frau täuscht mit ihrer Gelehrsamkeit die Kirchenvertreter, lässt sich zum Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche wählen, wird von einem Diener schwanger und kommt während einer Prozession nieder. Was auch heute noch skandalös klingt, war bis ins 15. Jahrhundert weitgehend unbestrittener Teil der Lehrmeinung. Hat es die Päpstin also tatsächlich gegeben?
Kai U. Jürgens

Knapp über dreihundert Päpste kennt die katholische Kirche – darunter aber auch Gegenpäpste und unsichere Zuschreibungen, die eine zweifelsfreie Auflistung bis heute unmöglich machen. Immerhin umfasst der betreffende Zeitraum rund zweitausend Jahre; da verlieren sich nicht nur Details im Dunkeln. Über viele Päpste liegen nur sehr spärliche Informationen vor; das gilt insbesondere für die der ersten zweihundert Jahre. Eins jedoch scheint gewiss: dass ausschließlich Männer auf dem Stuhl Petri Platz genommen haben. Schließlich bleibt allein ihnen dieses Amt vorbehalten – ganz so, wie es auch bei dem des Priesters und des Bischofs der Fall ist. Entsprechend erscheint es wenig glaubwürdig, dass es eine Päpstin gegeben haben soll.

Eine Spurensuche führt zurück ins Hochmittelalter. Im späten 13. Jahrhundert belegt die Chronik des Martin von Troppau, dass sich eine Frau als Mann verkleidet habe, in Athen studieren konnte und schließlich wegen ihrer großen Gelehrsamkeit 855 zum Papst gewählt wurde. Damit wäre Johanna die Nachfolgerin von Papst Leo IV. gewesen. Immerhin konnte sie ihre wahre Identität auch während einer Schwangerschaft geheim halten. Angeblich wurde ihr Kind während einer Prozession geboren; die Päpstin starb im Verlauf der Niederkunft. Auch in der berühmten Weltchronik von Hartmann Schedel aus dem Jahr 1493 wird Johannas Geschichte erzählt. Angeblich, so heißt es dort, soll sie von einem Diener geschwängert worden sein.

Also ist Johannas Existenz bewiesen, weil sie in mehreren Quellen aufgeführt wird? Ganz so einfach sollte man es sich nicht machen, denn Wahrheit und Fiktion liegen in mittelalterlichen Dokumenten bisweilen nah beieinander. Während bis zum 15. Jahrhundert die Päpstin als historisches Faktum allgemein akzeptiert war, sollte sich dies in der Zeit nach der Reformation grundlegend ändern. Zu unglaubwürdig erschien das Bild einer Frau auf dem Heiligen Stuhl, die die sie umgebenden Männer über längere Zeit zu täuschen vermochte. Dazu kam, dass im Jahr 855 Papst Benedikt III. gewählt worden war, von dem zwar nur wenige Zeugnisse vorliegen, den es aber tatsächlich gegeben hat. Ganz im Unterschied zu Johanna offenbar, bei der es erstaunlicherweise einige hundert Jahre brauchte, bis sie überhaupt zum ersten Mal in einer Chronik erwähnt wurde.

Tatsächlich ist die Herkunft der Legende nicht minder unklar wie die Figur der Päpstin selbst. Immerhin fällt Johannas angebliche Amtszeit in jene Phase, die später als „saeculum obscurum“ bezeichnet wurde, als ein dunkler Abschnitt innerhalb der Papstgeschichte. Er währte von 882 bis 1046 und beinhaltet auch jene Mätressenherrschaft im frühen 10. Jahrhundert, die noch heute mit der Figur der Marozia in Verbindung gebracht wird – einer Frau, von der mehrere Päpste abhängig gewesen sein sollen. Ist Johanna also eine Verkörperung von Marozia, obwohl diese nachweislich nie auf dem Papstthron gesessen hat? Das Rätsel wird sich nicht lösen lassen, zumal noch andere Thesen existieren. Tatsache aber ist, dass die Figur der Johanna immer wieder literarisch bearbeitet wurde und bis heute die Menschen fasziniert. Ob hingegen in Zukunft jemals eine Päpstin auf dem Heiligen Stuhl sitzen wird, kann allein die Zeit zeigen.  

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