wissen.de Artikel

Pest, Pocken und Lepra

Millionen Menschen auf der ganzen Welt sind im Lauf der Jahrhunderte an den großen Seuchen Pest, Pocken und Lepra gestorben. Allein der Pest sind im 14. Jahrhundert fast ein Drittel der Bewohner Europas zum Opfer gefallen. Heute sind die historischen Seuchen größtenteils ausgerottet oder unter Kontrolle.
Alexandra Mankarios

 

Die Justinianische Pest sucht Südeuropa heim

Um 541 rollte von Konstantinopel aus die erste große Welle der Pest über Südeuropa. Nach dem damaligen byzantinischen Kaiser Justinian I. heißt diese erste bekannte Pandemie der Welt bis heute „Justinianische Pest“. Über zwei Jahrhunderte hatte die Seuche weite Teile Europas, Asiens und Afrikas fest in der Hand – mit bis zu 100 Millionen Todesopfern, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) heute vermutet. Ob die Seuche aus Asien oder Afrika kam, ist nicht sicher bekannt. Ebenso unbekannt ist, ob man den Schilderungen antiker Pestausbrüche lange vor Justinians Zeit Glauben schenken darf – möglicherweise wurden andere Krankheitsausbrüche auch zu Unrecht für die Pest gehalten. Sicher ist: Im 8. Jahrhundert ebbte die Justinianische Pest ab, mehrere Jahrhunderte lang hatte Europa Ruhe vor der Seuche.

 

Im Mittelalter bricht die zweite große Pestwelle aus

Die Ruhe währte bis etwa 1330 – da brach die Seuche, vermutlich durch Seefahrer über die Häfen der italienischen Küste eingeschleppt, noch massiver als zu Justinians Zeiten in ganz Europa aus. Unzählige Zeichnungen aus dem Mittelalter stellen die Pest als den schwarzen Tod mit der Sense in der Hand dar. Verwesungsgestank durchzog die Gassen, Infizierte wurden isoliert und starben qualvoll. Wenn die Haut dunkle Beulen zeigte, die Körpertemperatur der Kranken stieg und die Zunge anschwoll, kam meistens jede Hilfe zu spät: Die Lungenpest und die septische Pest verlaufen unbehandelt fast immer tödlich, an der dritten Variante, der Beulenpest starben rund 60 Prozent der Infizierten. Über ein Drittel der Bevölkerung in Europa fiel der Seuche während der zweiten großen Pestwelle zum Opfer. Bis ins 19. Jahrhundert hinein gelang es nicht mehr, den Erreger zu vertreiben.

Sieg über die Pest im 19. Jahrhundert

Erst in den 1890er Jahren halfen drei wichtige medizinische Entdeckungen, die Seuche einzudämmen. 1894 identifizierte der schweizerisch-französische Arzt Alexandre Yersin den Pesterreger, zwei Jahre später entwickelte der russische Bakteriologe Waldemar Haffkine einen Impfstoff. Und erst nach weiteren zwei Jahren erkannte der Franzose Paul-Louis Simond, dass der Rattenfloh der Hauptüberträger der Pest ist. Endgültig besiegt aber wurde die Pest erst mit der Erfindung geeigneter Antibiotika in den 1950er Jahren. Ausgerottet ist sie allerdings auch heute noch nicht: Etwa 1.000 bis 3.000 Pestfälle registriert die WHO jedes Jahr, die meisten davon in afrikanischen Ländern. Aber auch in den USA infizieren sich bis zu 20 Menschen jährlich. In Europa allerdings hat es schon lange keine Pest mehr gegeben – die letzten Infizierten gab es hier gegen Ende des zweiten Weltkriegs.

 

Lepra: Großer Schrecken – geringe Ansteckungsgefahr

Viel weniger ansteckend als die Pest ist die Lepra. Trotzdem gehörte sie viele Jahrhunderte lang zu den gefürchtetsten Krankheiten – schon in biblischen Zeiten ging die Angst vor „Aussatz“ um. Wer längere Zeit daran litt, war unschwer an den starken Schwellungen, vor allem im Gesicht, zu erkennen. Weil die Krankheit die Nervenzellen vernichtet, verloren die Infizierten mit der Zeit das Gefühl an Händen und Füßen, später auch am übrigen Körper. Wunden und Verletzungen konnten die Kranken nicht mehr spüren – das Klischeebild der verstümmelten Leprakranken rührt daher, dass sie sich unbeabsichtigt verletzten und die Wunden nicht ausreichend versorgten.

 

Ausschluss aus der Gesellschaft

Im Mittelalter mussten Leprakranke mit hölzernen Klappern auf sich aufmerksam machen – wer das charakteristische Hämmern hörte, war schon aus der Ferne gewarnt und konnte einen weiten Bogen um den Infizierten machen. Oder der Kranke wurde gleich isoliert, viele wurden in spezielle Lager, so genannte Leprosenhäuser transportiert – rund 19.000 gab es davon allein in Europa. Vor allem arme, unterernährte und geschwächte Menschen fielen der Krankheit zum Opfer – wer gesund ist und ein intaktes Immunsystem hat, hat ein geringes Ansteckungsrisiko. Trotzdem ist die Lepra auch heute noch relativ verbreitet. Die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) ging 2011 von 250.000 Infizierten weltweit aus, viele davon in Indien, Afrika und Brasilien. Mit der richtigen medizinischen Versorgung ist Lepra heute allerdings heilbar – eine Kombination der Antibiotika Rifampicin, Chlofazimi und Dapson tötet den Lepra-Erreger im Körper vollständig ab.

 

Pocken – die besiegte Seuche

Wie erfolgreich flächendeckende Impfungen sein können, zeigt sich am Beispiel der Pocken. Im 16. und 17. Jahrhundert starb ein Drittel der europäischen Bevölkerung an der Virusinfektion. Darüber hinaus schleppten die spanischen Eroberer die gefürchtete Krankheit auch in Mittelamerika ein und brachten damit in wenigen Jahren einem großen Teil der dortigen Bevölkerung den Tod – 25 bis 40 Prozent der Infizierten sterben an den Blattern, wie die Pocken auch genannt werden. Wer das hohe Fieber und den charakteristischen Hautausschlag überlebte, war häufig ein Leben lang von tiefen Narben entstellt.

 

Die erste Impfung der Welt

Der Durchbruch im Kampf gegen die Pocken gelang 1796 dem britischen Arzt Edward Jenner – mit einem ethisch heute völlig undenkbaren „Experiment“. Jenner hatte beobachtet, dass Kuhhirten und Melkerinnen, die sich mit Kuhpocken infiziert hatten, anscheinend immun gegen die gefährlicheren menschlichen Pocken waren. Um dieser Beobachtung auf den Grund zu gehen, entnahm er etwas Flüssigkeit aus einer Kuhpockenblase und impfte sie einem achtjährigen Jungen ein. Einige Wochen später tat er das Gleiche mit der Flüssigkeit aus einer menschlichen Pocke. Der Junge hatte Glück: Er erkrankte nicht, denn er war immunisiert. Jenner hatte wahrscheinlich die erste Impfung in der Geschichte durchgeführt.

 

1967: Weltweite Impfkampagne der WHO

Obwohl es bis heute kein Heilmittel gegen die Virusinfektion gibt, gehören die Pocken inzwischen der Vergangenheit an. 1967 hatte die Weltgesundheitsorganisation eine weltweite Impfkampagne gegen die Pocken initiiert – mit durchschlagendem Erfolg. Der letzte Pockenfall weltweit trat 1977 in Somalia auf, 1980 erklärte die WHO die Pocken für ausgerottet. In zwei Laboren in den USA und Russland werden allerdings noch Pockenerreger tiefgefroren aufbewahrt, damit die Wissenschaftler im Fall eines – sehr unwahrscheinlichen – neuen Ausbruchs ein Heilmittel entwickeln können. Die Lagerung dieser letzten Pockenviren ist allerdings umstritten, schließlich geht von ihnen auch ein gewisses Risiko aus. 2014 will die World Health Assemby, das höchste Entscheidungsorgan der WHO, beschließen, ob die letzten Pockenerreger vernichtet werden sollen.

Weitere Lexikon Artikel

Mehr Artikel zu diesem Thema

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Bereich Gesundheit A-Z

Weitere Artikel aus dem Großes Wörterbuch der deutschen Sprache

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch