In der Vorbereitung auf die WM setzten Innenministerium und Polizei in Südafrika auf ein kompromissloses Vorgehen - selbst gegen kleinere Delikte. Südafrika passieren immer noch 50 Morde am Tag. Die Polizei reagiert mit harter Hand. Damit erreicht man nicht immer sein Ziel, wie auch wissen.de-Autorin Tina Bucek bei einem Testspiel in Kapstadt erleben konnte. Hören Sie ihre Reportage.
Hochsicherheitsaufgebot mit System
Es ist drei Uhr nachmittags und der Platz vor dem Greenpoint-Stadion in Kapstadt füllt sich mit jeden weiteren fünf Minuten um gefühlte mindestens 300 Menschen. Frauen und Männer aller Hautfarben strömen von den angrenzenden Parkplätzen, aus Bussen und Taxis, Kinder und Hunde rennen durch die Menge der mit bunten T-Shirts, Fahnen und Fantrompeten ausgestatteten Fußballfans.
Doch nicht nur die: Gut sichtbar hoch zu Ross, auf elektrischen Rollern oder schlicht per pedes kontrollieren uniformierte Sicherheitsleute die Ansammlung. Keine Ecke, kein Zaun, keine Verkehrsinsel, wo nicht mindestens ein halbes Dutzend Polizisten postiert sind. Das Hochsicherheitsaufgebot an diesem Tag hat System: Am heutigen Samstag findet in Kapstadts nagelneuem Stadion der zweite Testlauf für die Weltmeisterschaft im Juni statt. 65.000 Menschen werden hier im Juli zu einem der beiden Halbfinale erwartet, und auch wenn es heute zu diesem Freundschaftsspiel zweier führender nationaler Ligaclubs am Ende wohl nicht einmal die Hälfte sein werden: Sicherheit ist das A und O bei der Planung und Konzeption des Großereignisses. "Ob die WM ein Erfolg wird, hängt entscheidend davon ab, ob die Südafrikaner ihr Kriminalitätsproblem in den Griff bekommen", betonte schon vor Monaten Sepp Blatter, Präsident des Fußballweltverbandes (Fifa).
50 Morde am Tag
Auch im Zeichen des Anschlages auf das Fußballteam aus Togo beim Afrikanischen Confederations-Cup in Angola im Januar dieses Jahres waren Stimmen laut geworden, die ein ähnliches Szenario für die bevorstehende WM prognostizierten. Und die Verantwortlichen im Lande haben den Warnschuss vernommen. 50 Morde verzeichnet die Kriminalitätsstatistik für das Kap täglich, fünf Vergewaltigungen und unzählige Raubüberfälle und Einbrüche. Die Gesellschaft des Nach-Apartheids-Südafrika ist auch nach 16 Jahren eine tief gespaltene.
In kaum einem Land dieser Erde klafft die Schere zwischen Arm und Reich so weit auseinander, und auch wenn 1994 auf dem Papier eine demokratische Verfassung verabschiedet wurde: Die Ungleichheit im Lande verläuft nach wie vor entlang der ehemaligen Rassenunterscheidungen und ist Ursache für extreme Kriminalität, die ihresgleichen sucht.
Unter ausländischer Beobachtung
"Wir wissen, dass wir im Ausland besonders wegen dieser Zahlen berüchtigt sind und beobachtet werden", erklärt Polizeipräsident Bheki Cele. Darum setzten Polizei und Innenministerium schon vor Monaten auf eine Strategie, die dem amerikanischen "No-tolerance-Prinzip" (Keine-Toleranz-Prinzip) ähnelt. "Wenn wir hier einen Raubüberfall oder einen Einbruch beobachten, dann wird sofort geschossen", betont Cele. Schon deswegen, weil man es mit hochgefährlichen Elementen zu tun habe, die zu allem bereitseien. "Die kriminellen Kräfte in diesem Land müssen verstehen, dass es für sie nicht den geringsten Spielraum gibt. Jede kriminelle Handlung ist ein massives Risiko für sie."
Auch Südafrikas Präsident Jacob Zuma hatte das Thema Sicherheit in den letzten Monaten immer wieder zur Chefsache erklärt. "Ja, wir haben es in unserem Land immer noch mit einer viel zu hohen Rate an Verbrechen zu tun", räumte Zuma ein. Aber man könne es sich nicht leisten, ein prestigeträchtiges Ereignis wie die erste Fußball-Weltmeisterschaft auf dem afrikanischen Kontinent von kriminellen Kräften zerstören zu lassen. "Jedem Fan, der uns zur WM besucht, garantieren wir absolute Sicherheit mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen."
Schwarze Schafe unter den WM-Fans
An diesem Nachmittag rund um Kapstadts Greenpoint-Stadion sind das, wie überall im modernen Südafrika, Zäune, Verbotsschilder und natürlich Pistolen und Schlagstöcke, mit denen hier jeder Polizist ausgestattet ist. In der Praxis finden vor allem Taschenkontrollen statt: Thabo Matashe, der heute einer der diensthabenden Polizisten ist, durchsucht gerade einen roten Lederbeutel einer Besucherin. "Die meisten Fans sind ja harmlos und auch geduldig", erzählt er. Aber es gebe eben auch die schwarzen Schafe, die gerade solche Ereignisse für Diebstähle, auch Raubüberfälle nutzen würden. "Dass wir hier so viele sind, ist nicht übertrieben, glauben Sie mir!"
Am Ende behält Matashe recht: Der Testlauf geht ohne besondere Zwischenfälle über die Bühne, ein paar Betrunkene, ein Diebstahl in einem Lebensmittelgeschäft nahe der Anlage, bilanziert die Polizei nach dem Ereignis. "Zurzeit gibt es keine uns bekannte Bedrohung, die die WM-Besucher fürchten müsste", versicherte Polizeipräsident Cele dieser Tage nochmals in einer Pressekonferenz. Alle neuralgischen Punkte – Flughäfen, der öffentliche Nahverkehr, die Hauptverkehrsadern, die Stadien - "unterliegen schon seit Monaten strengsten Sicherheitskontrollen". Das gelte auch für einen möglichen terroristischen Anschlag. "Die Teams aus den USA und aus Großbritannien stehen unter besonderem Schutz." Am nächsten Morgen wird Cele mit dieser Aussage in der hiesigen Tageszeitung zitiert. Direkt daneben: eine Meldung über einen bewaffneten Überfall auf einen Zeitungskiosk, bei dem drei Menschen schwer verletzt wurden.