Audio

Kuba-Krise (Podcast 208)

0:00

Nie war der Kalte Krieg zwischen den beiden Supermächten USA und Sowjetunion so heiß, wie in den dramatischen 13 Tagen im Oktober 1962. Als US-amerikanische Flugaufklärer am 15. Oktober den Bau von Abschussrampen für sowjetische Mittelstreckenraketen auf Kuba nachweisen konnten, war der Schock in der Führungselite um US-Präsident John F. Kennedy groß: Der Feind stand im „Hinterhof Amerikas“; insbesondere die Hardliner drängten auf eine entschiedene militärische Reaktion. Machtpolitisches Muskelspiel und Imponiergehabe auf beiden Seiten entwickelten in den folgenden Tagen eine gefährliche Eigendynamik, die die Welt so nah wie niemals zuvor und niemals danach an den Rand eines selbstmörderischen Atomkrieges brachte. wissen.de-Autor Christoph Marx beschreibt Vorgeschichte und Ablauf der Ereignisse und zeigt auf, wie letztlich ein politischer Ausweg gefunden wurde und welche Lehren in den beiden Lagern aus der Krise gezogen wurden.

 

Für die USA begann die Krise in Kuba schon 1959, als am Neujahrstag die Sozialrevolutionäre um den charismatischen Fidel Castro Diktator Fulgencio Batista endgültig stürzten und die Macht an sich rissen. Die Insel, wenige hundert Kilometer vor der Küste Floridas gelegen, war seit Anfang des 20. Jahrhunderts von den USA faktisch als politisches Protektorat behandelt worden. Doch als Castro 1960 mit der Ermordung politischer Gegner seine Macht zu konsolidieren begann und mit der Enteignung von US-Unternehmen und der Verstaatlichung von Banken, US-Interessen massiv verletzt wurden, stand die Organisation eines „Regimewechsels“ in Regierungs- und Geheimdienstkreisen auf der Agenda - mit allen Mitteln und ohne jeden Erfolg. Bis 1965 gab es offiziell acht Mordversuche der CIA gegen Castro, inoffiziell wohl um das Zehnfache mehr. Der Versuch, im April 1961 durch eine Kurzinvasion an der kubanischen „Schweinebucht“ eine von Exilkubanern gebildete Marionettenregierung zu installieren, scheiterte kläglich, weil Motivation und Durchschlagskraft von Castros Truppen sträflich unterschätzt wurden. Vor aller Welt waren die USA politisch gedemütigt, was den Hass der politischen US-Elite gegen das Castro-Regime noch weiter anstachelte. Kuba wurde wie Berlin zu einem Symbol-Ort für den Kalten Krieg der Supermächte, denn auch der sowjetische Staatschef Chruschtschow sah Kuba inzwischen als wichtiges Faustpfand im Kampf der Systeme. Ein „Verlust Kubas“ würde das sowjetische Ansehen in der ganzen Welt beschädigen. Von Anfang an unterstützte er Castro mit Lebensmitteln- und vor allem mit Waffen. Der Konflikt loderte also längst, als Chruschtschows Entscheidung, sowjetische Mittelstreckenraketen auf Kuba zu stationieren, im Oktober 1962 die gefährlichste Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs heraufbeschwor.



Angreifen oder abwarten

[[{"type":"media","view_mode":"media_small","fid":"23144","attributes":{"alt":"","class":"media-image","typeof":"foaf:Image"}}]]Mit den Raketen direkt vor der amerikanischen Haustür wollte Chruschtschow erreichen, dass die militärisch weit unterlegene Sowjetunion von den USA wenigstens politisch-symbolisch als gleichrangige Weltmacht anerkannt wird. Doch der Plan, im Geheimen die Insel aufzurüsten und die USA vor vollendete Tatsachen zu stellen, war angesichts der besonderen Beziehung der USA zu Kuba von Anfang an illusionär. Als am 16. Oktober 1962 zum ersten Mal der Krisenstab in Washington wegen der bekanntgewordenen Raketenbasen zusammentrat, war sich die absolute Mehrheit der Beteiligten einig: Die Provokation könne nicht hingenommen werden. Aber wie reagieren? Zerstörung der Basen aus der Luft, eine militärische Invasion oder eine Blockade der Seewege, wurden diskutiert. Die Hardliner, insbesondere unter den Militärs im Verteidigungsministerium zu finden, plädierten für einen schnellen militärischen Angriff und trieben teilweise eigenmächtig entsprechende Vorbereitungen voran. Dagegen setzten sich vorsichtigere Stimmen für eine Seeblockade Kubas ein, um den Sowjets Zeit für einen Rückzug zu geben. Nach langem Ringen entschied sich Präsident Kennedy schließlich für Letzteres, wobei er sich bewusst alle militärischen Optionen offen hielt.

 

Tanz auf dem Vulkan

In einer Fernsehrede am 22. Oktober kündigte Kennedy einen Blockadering von 500 Meilen um Kuba an, rief die Sowjets zum Abzug der Raketen aus Kuba auf und drohte unverhohlen mit der Möglichkeit eines Atomkrieges: „Wir werden nicht verfrüht einen Nuklearkrieg riskieren, […]werden aber vor diesem Risiko auch nicht zurückschrecken, wenn wir ihm gegenüberstehen“. Die Streitkräfte wurden auf beiden Seiten in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Obwohl Chruschtschow in einer ersten Reaktion angab, die Seeblockade zu ignorieren, scheute er doch vor einer Eskalation zurück und rief alle mit Sprengköpfen oder Raketen beladenen Frachter auf dem Weg nach Kuba zurück. Doch noch war die Krise nicht vorbei, denn auf Kuba ging die Stationierung der bereits gelieferten Raketen weiter. Die US-Hardliner drängten massiv auf eine militärische Intervention, erst recht, als am 27. Oktober ein US-Aufklärungsflugzeug von einer sowjetischen Flugabwehrrakete abgeschossen wurde – ohne Kenntnis des sowjetischen Hauptquartiers. Die Nerven lagen blank. Fidel Castro forderte in der Nacht des gleichen Tages offen den atomaren Erstschlag der Sowjetunion, im Fall eines Angriffs der USA auf Kuba. Dies lehnte Chruschtschow entschieden ab. Die Gefahr, dass die Situation durch Aktionen Einzelner eskalieren könnte, wuchs stündlich. Die Welt blickte in den Abgrund. Am Abend des 27. Oktober kam es nach tagelangen Geheimverhandlungen zwischen Kennedy und Chruschtschow doch zu einer Lösung. Die Sowjetunion erklärte sich bereit, die Raketen von der Insel abzuziehen. Im Gegenzug verzichteten die USA auf eine Intervention in Kuba und erklärten sich ihrerseits bereit, ihre Raketenbasen in der Türkei abzubauen.

 

Die Folgen der Krise

Die Kuba-Krise 1962 stellte eine weltpolitische Zäsur im Kampf der Systeme nach dem Zweiten Weltkrieg dar. Sie war, wenn auch nicht der Wendepunkt, so doch der Höhepunkt des Kalten Krieges. Der Schock der Ereignisse saß bei beiden Parteien tief. Um bei ähnlichen Konflikten in Zukunft im Vorfeld zu deeskalieren und Spontanreaktionen auszuschließen, wurde im Sommer 1963 der „heiße Draht“, eine telefonische Direktverbindung vom Weißen Haus zum Kreml, eingerichtet. Vorsichtig wurden auch erste Schritte zu Verhandlungen über atomare Waffenarsenale eingeleitet. So wurde am 5. August 1963 ein Abkommen über das Verbot von Atomwaffentests zwischen den USA, Großbritannien und der Sowjetunion unterzeichnet. Von Abrüstung war aber noch keine Rede. Im Gegenteil: Um mit den USA gleichzuziehen, begann in der Sowjetunion eine massive Aufrüstung – zu Lasten der Konsumproduktion. Jedoch setzten die beiden Supermächte nach den Erfahrungen der Kuba-Krise bei ihren Verbündeten durch, dass allein sie die Kontrolle über Atomwaffen jedweder Art ausübten. In den USA wie der Sowjetunion hatte von nun an allein der Präsident bzw. Generalsekretär die Möglichkeit, die Atomwaffen zu entsichern. Auch kam es in der Folge zu keiner direkten Konfrontation der Supermächte mehr. Die Auseinandersetzungen wurden nun in regional begrenzten „Stellvertreterkriegen“ geführt, so in Vietnam oder später in Afghanistan. Nach der Kuba-Krise stand der Erhalt des Weltfriedens an oberster Stelle. Auch wenn der Kalte Krieg noch lange nicht zu Ende war, ging die Politik des „Alles oder nichts“ auf beiden Seiten zu Ende. Realitäten wurden anerkannt und der Weg zu einer friedlichen Koexistenz im Schatten gegenseitiger atomarer Abschreckung eingeschlagen. Die USA akzeptierten nolens volens die Sowjetunion faktisch als gleichrangige Macht.

 

von wissen.de-Autor Christoph Marx

Mehr Artikel zu diesem Thema

Weitere Lexikon Artikel

Weitere Artikel aus der Wissensbibliothek

Weitere Artikel aus dem Wahrig Synonymwörterbuch

Weitere Artikel aus dem Wahrig Fremdwörterlexikon

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Vornamenlexikon