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Salvador Dalì - Sichtbarmachung des Unsichtbaren (Podcast 32)

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Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich vor, Sie sehen Gemälde mit brennenden Giraffen, mit weichen, zerfließenden Uhren, mit Schubladenmenschen. Salvador Dalí, der Maler dieser eindringlichen Motive, war einer der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Er gab seiner Kunst einen klaren Auftrag: Das Sichtbarmachen von Unsichtbarem, das Bewusstmachen von Unbewusstem. Im Laufe seines Lebens hat er sich vielfach zu seiner vieldeutigen und zum Teil widersprüchlichen Lebensphilosophie zwischen Kunst, Mystik und Wissenschaft geäußert. Folgen Sie mir heute auf eine faszinierende Reise zu Salvador Dalì, der am 23. Januar 1989, also vor 20 Jahren starb. Übrigens, die Idee mit den zerfließenden Uhren kam Dalì beim Anblick eines sehr reifen Camemberts. Sie dürfen die Augen jetzt wieder öffnen. 
 

Behütete Kindheit und erste Erfolge
 

Salvador Dalí wurde als zweiter Sohn des Notars Salvador Dalí am 11. Mai 1904 in der kleinen katalonischen Stadt Figueras geboren. Neun Monate zuvor war der erstgeborene Sohn gestorben. In Erinnerung an ihn ging dessen Name auch auf den zweiten Sohn über, und Dalí hat sein ganzes Leben das Trauma nicht abgelegt, lediglich der "Ersatz" für seinen Bruder zu sein. Diese Kränkung machte ihn süchtig nach Aufmerksamkeit und Anerkennung, so träumte er mit acht Jahren davon, Napoleon zu sein. Zugleich blieb er ein schüchterner Mensch, der von hysterischen Lachanfällen geplagt war. Seine schulischen Leistungen waren mangelhaft, und er wurde auf Privatschulen geschickt. Seine Kindheit erscheint behütet, vor allem zu seiner Mutter hatte er ein inniges Verhältnis. Mit zehn Jahren begann er zu malen und mit 14 besuchte er die Kunstschule in Figueras unter der Leitung des Malers Juan Nuñez, wurde dessen Meisterschüler und stellte im Stadttheater mit Erfolg mehrere Ölgemälde aus. Ein Jahr später veröffentlichte er Aufsätze über "Die großen Meister der Malerei", die zeitlebens seine Vorbilder blieben: Dürer, Michelangelo, da Vinci, Velàzquez, Goya, El Greco. 1921 starb unerwartet seine Mutter, mit ihr verlor er den Menschen, der ihn am bedingungslosesten geliebt hatte.
 

Studium in Madrid
 

Nach dem Abitur 1922 absolvierte der 18-Jährige erfolgreich die Aufnahmeprüfung an der Königlichen Akademie der Schönen Künste von San Fernando in Madrid. Dalí eignete sich im Alleingang den Stil der avantgardistischen Vorbilder - von Picasso über Gris, Matisse bis Braque und Léger - an. In Madrid verband ihn mit Luis Buñuel und Federico García Lorca eine enge Freundschaft. 1924 fand in Barcelona seine erste Einzelausstellung statt. 1926 wurde Dalí während der Abschlussprüfung von der Hochschule verwiesen, denn er erklärte die Prüfungskommission für unfähig. Es folgte 1927 der Militärdienst, in dieser Zeit malte er nur ein einziges Bild.
 

Durchbruch in Paris
 

1929 war das entscheidende Jahr für Dalí. Zusammen mit Luis Buñuel drehte er den ersten surrealistischen Film mit dem Titel " Ein andalusischer Hund", dessen zum Teil schockierende Szenen auf Traumbildern basieren und der auf logische Verknüpfungen und Bedeutungen verzichtet. Die Folge: ein Riesen-Skandal. So gelang Dalí endgültig der Sprung in den Kreis der Surrealisten. Die Künstler um André Breton bildeten die Avantgarde jener Zeit und versuchten, unbewusste psychische Zustände wie Rausch, Traum, Raserei etc. künstlerisch fruchtbar zu machen, um die engen Grenzen der bürgerlichen Moral zu sprengen.
 

Gala tritt in sein Leben
 

Bei den Surrealisten lernte Dalí auch die Frau seines Lebens kennen, Gala. Ihr bürgerlicher Name war Helena Diakonova, sie stammte aus Russland. Dalí sah in ihr seine Retterin, die ihn von Hysterie und Angstzuständen befreit und als Muse die Umsetzung seiner psychischen Konflikte in Kunst überhaupt erst möglich gemacht hat. Zugleich war sie eine erfolgreiche Vermarkterin ihres Mannes und kümmerte sich mit viel Geschick um den Verkauf seiner Bilder. Gala löste alle anderen Frauenfiguren in Dalís Leben ab. In vielen Bildern stilisierte er sie zu einer mythischen Gestalt, etwa zur "Leda atomica" (1949) oder zur "Madonna von Port Lligat" (1950).
 

Die paranoisch-kritische Methode
 

Dalí war wie alle Surrealisten stark von der Psychoanalyse beeinflusst, schon als Student hat er Freuds "Traumdeutung" gelesen. Grundlage seiner eigenen Kunsttheorie war die von ihm entwickelte paranoisch-kritische Methode. Für ihn war das Unbewusste die Triebkraft der Kreativität, und Kunst bot seiner Ansicht nach eine Möglichkeit, wahnhafte Zustände objektiv zu vermitteln. Dalí empfand seine Malerei als kritisch-paranoische Aktivität, als einen Ausdruck der "symbolischen Geheimsprache des Unbewussten", wie er es selbst nannte. Seine Bildkompositionen waren so arrangiert, dass verschiedene Sichtweisen möglich waren und verschiedene Bedeutungsebenen ineinander fließen konnten.
 

Bruch mit der Familie
 

Nach seinem Erfolg in Frankreich kaufte Dalí 1930 eine winzige Fischerhütte in Port Lligat bei Cadaqués, einem kleinen Hafen an der Felsenküste seiner Kindheit. Diese ausgestorbene, abweisend schroffe und melancholische Gegend war immer ein bestimmendes Motiv in seinen Bildern. Seine Familie war jedoch mit Dalís Frauenwahl nicht einverstanden, immerhin war Gala noch verheiratet und Spanien ein streng katholisches Land. Schon zuvor hatte sich Dalí mit seinem Vater überworfen; zum endgültigen Bruch kam es, als er unter eine Zeichnung den Titel "Manchmal spucke ich mit Vergnügen auf das Portrait meiner Mutter" setzte.
 

Spanischer Bürgerkrieg und zweiter Weltkrieg
 

Die Krisensituation Europas in den 30er-Jahren hat Dalí in vielen Bildern thematisiert, todesähnliche Wüstenszenarien bestimmen diese Bilder. Im Winter 1936 hat er schon in den beiden Gemälden "Herbstlicher Kannibalismus" und "Weiche Konstruktion mit gekochten Bohnen - Vorahnung des Bürgerkriegs" die bevorstehende Selbstzerfleischung Spaniens thematisiert. Allerdings ging es Dalí nicht um die ideologische Ebene, der aktuelle Anlass taucht in seiner Verarbeitung nicht auf. Er stellte viel mehr eine psychoanalytische Sicht auf den Krieg überhaupt dar und beschrieb ihn als Regression auf kannibalische Fantasien, auf Zerstörungslust und Todestrieb. Dabei schwingt auch immer eine orgiastisch-triebhafte sexuelle Ekstase in den Bildern mit.  Nach dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges gingen Dalí und seine Frau 1940 ins Exil in die USA.
 

„Mister Surrealism“
 

1934 fuhr Dalí zum ersten Mal in die USA. Als Maler war er dort schon lange bekannt, zwei Jahre zuvor hatte das Museum of Modern Art in New York eines seiner Hauptwerke, "Beständigkeit der Erinnerung" (Weiche Uhren), erworben. Und als er 1936 zum nächsten Besuch kam, empfing ihn sein Konterfei auf der Titelseite des "Time Magazine". Er war für die Nordamerikaner "Mister Surrealism", die ganze Avantgardebewegung wurde mit ihm identifiziert und er erlebte eine ungeahnte Popularität. Dalí stieg nicht zuletzt durch die Vermarktung seiner künstlerischer Ideen mit Hilfe kommerzieller Produkte zum reichsten Maler seiner Zeit auf. Das brachte ihm die erbitterte Feindschaft anderer Surrealisten ein, und André Breton setzte 1942 Dalís Namen neu zusammen, um die angebliche Geldbesessenheit bloßzustellen: "Avida Dollar" (etwa mit "Dollargierig" zu übersetzen). In den Jahren von 1943 bis 1948 malte Dalí verhältnismäßig wenig, dafür nahm er lukrative Angebote an und entwarf Schmuck, Werbung, Bühnendekorationen. Er schrieb seine Autobiografie "Das geheime Leben des Salvador Dalí", auch Auftragsportraits für die High Society entstanden in dieser Zeit. Mit diesen Arbeiten finanzierte Dalí seinen aufwändigen Lebensstil.
 

Rückkehr nach Spanien
 

1948 ließen sich Dalí und Gala wieder in ihrem in Port Lligat nieder. Es begann eine Rückbesinnung auf religiöse Motive in der Malerei Dalís, die eine mystische Verbundenheit mit dem Katholizismus ausstrahlten. Der Surrealismus war in dieser Phase schon offiziell Vergangenheit, Dalí wurde aus dem Kreis ausgeschlossen. Er wollte sich kirchlich trauen lassen und bedurfte dazu einer päpstliche Erlaubnis, schließlich war Gala zuvor schon verheiratet gewesen. 1949 wurde ihm eine Audienz bei Papst Pius XII. gewährt und er erhielt die Erlaubnis, seine langjährige Lebensgefährtin nach dem Tod ihres Mannes Paul Éluard zu heiraten. Éluard starb 1952, sieben Jahre später heiraten Dalí und Gala.
 

Dalí und General Franco
 

Ein Streitpunkt zwischen Dalí und den Surrealisten war seit Anfang der 30er-Jahre die unklare politische Haltung des Spaniers. Während des spanischen Bürgerkrieges hatte Dalí in Briefen gegenüber dem Regisseur Luis Buñuel seine Sympathie für das faschistische Lager unter General Franco erklärt. Als er 1948 nach Spanien zurückkehrte, suchte er gleich die Nähe zum Diktator. Die Rückkehr eines weltbekannten Künstlers bedeutete eine ungemeine Aufwertung des international isolierten Landes und 1956 wurde Dalí offiziell von Franco, den er als "Freund" bezeichnete, empfangen. Der Maler hatte auch ein persönliches Anliegen, er wollte vom Staat ein eigenes Museum gebaut haben. 1970 besuchte der Diktator Dalí in Cadaqués und vier Jahre später war der Maler am Ziel seiner Träume: Am 23. September 1974 wurde in Figueras das Teatro-Museo Dalí eingeweiht. Es ist ein surrealistisches Gesamtkunstwerk ganz nach dem Geschmack Dalís.
 

Einfluss der Naturwissenschaften
 

War die kritisch-paranoische Theorie schon beeinflusst durch Sigmund Freuds psychoanalytische Forschung, so hat sich Dalí auch mit naturwissenschaftlichen Entdeckungen befasst und deren Ergebnisse in der Malerei verarbeitet. Seine berühmten "Weichen Uhren" waren eine Reaktion auf die Relativitätstheorie Einsteins. Aber auch die Entdeckung der DNS als Träger der Erbinformationen floss in Dalís Bildkompositionen ein, ebenso wie der Schock nach der Zündung der ersten Atombomben. Ein wirklich neuer Versuch in der Malerei war allerdings in den 70er-Jahren die Umsetzung neuester optischer Erkenntnisse durch die stereoskopische Forschung. Der Versuch, die Zweidimensionalität der Malerei zu überwinden und ein räumliches Wahrnehmen mit Hilfe stereoskopischer Geräte zu ermöglichen, führte zu einer Reihe von Doppelbildern. Allerdings brachten diese Versuche, die Dalí durch die komplizierte Technik der Holografie noch ausbaute, der Malerei keine neuen Impulse, sie zeigen vielmehr die enorme Kunstfertigkeit des Malers.
 

Galas Tod und Dalís letzte Jahre
 

Am 10. Juni 1982 starb Gala. Dalí war zutiefst erschüttert und verfiel in eine hektische Schaffensphase. Seine letzten Lebensjahre waren von tiefer Trauer gekennzeichnet, zumal seine Arbeitsfähigkeit seit Anfang der 80er-Jahre durch die Parkinson'sche Krankheit stark eingeschränkt war. Im April 1983 fand eine große Retrospektive seiner Werke in Madrid statt, an der er selbst nicht mehr teilnehmen konnte. Bei einem Feuer erlitt Dalí lebensgefährliche Brandverletzungen, doch er lebte noch weitere fünf Jahre und starb schließlich am 23. Januar 1989 an Herzversagen.
 

Jörg Peter Urbach, wissen.de-Redaktion

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