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Politischer Aschermittwoch: der größte Stammtisch Deutschlands

Am Aschermittwoch ist noch lange nicht alles vorbei. Insbesondere nicht in Niederbayern. Wenn andernorts schon Katerstimmung herrscht, steigen im Südosten der Republik Politikgrößen in die Bütt und suchen mit markigen Sprüchen und verbalen Attacken gegen den politischen Gegner die Nähe zur Basis.

von Iris Hilberth

Der Politische Aschermittwoch hat vor allem in Vilshofen und Passau Tradition. Andernorts werden diese häufig gut besuchten Veranstaltungen mit Volksfestcharakter aber längst kopiert. Die Deutsche Presseagentur zählt bundesweit 27 solcher Treffen, veranstaltet von allen politischen Parteien. Denn nicht mehr nur die CSU, die von sich behauptet zum "Original" zu laden, versucht durch derartige meist feucht-fröhliche Zusammenkünfte mit politischer Ansprache bei ihren Anhängern zu punkten.

Hervorgegangen ist der Politische Aschermittwoch aus einem Vieh- und Rossmarkt in Vilshofen an der Donau. Schon seit 1580 trafen sich hier die Bauern und nutzten die Gelegenheit, um nicht nur über die Viehpreise zu feilschen, sondern auch aktuelle Themen zu diskutieren. Seit dem 19. Jahrhundert freilich über die königlich-bayerische Politik. Dieser Meinungsaustausch lief so nebenher, bis 1919 der Bauernbund auf dem Markt erstmals eine Kundgebung veranstaltete, die eigentliche Geburtsstunde des Politischen Aschermittwochs. 1948 setzte die Bayernpartei diese Tradition fort. Bundesweit Beachtung fand das Spektakel aber erst 1953, als Franz Josef Strauß mit seiner CSU zum ersten Mal in den Wolferstetter Keller nach Vilshofen lud.

Strauß` Reden sind legendär, sein rhetorisches Talent verlieh der Versammlung großen Unterhaltungswert und der frühe Bierausschank tat sein Übriges zur stimmungsgeladenen Atmosphäre dieser folkloristischen Veranstaltung. Zu Hunderten standen die Strauß-Anhänger auf den Bierbänken, prosteten ihrem Idol zu und johlten wenn der große Vorsitzende Sätze in den Raum schmetterte wie: "Es stimmt nicht, dass ich jeden Tag zum Frühstück einen Sozi esse. Ich esse nur, was ich mag!" Für langatmige Erklärungen von Parteiprogrammen, Aneinanderreihungen von Zahlen oder sachpolitische Argumentation war hier im Prinzip kein Platz, obgleich Strauß versuchte, in seinen langen Reden auch einige analytische Passagen einzustreuen, um das eine oder andere Wegweisende für die kommenden Monate unter die Leute zu bringen. Wobei die am Aschermittwoch damals wie heute vor allem der deftigen Wortwahl wegen zu dem nach CSU-Angaben "größten Stammtisch Deutschlands" kommen.

Bald war es den Christsozialen im Wolferstetter Keller zu eng geworden und so zog Strauß mit seinen Anhängern 1975 in die Nibelungenhalle nach Passau um. Die wurde 2003 abgerissen, seitdem trifft sich die CSU in der neuen Dreiländerhalle. 7000 Leute haben hier Platz. Den Keller in Vilshofen hat seit dem Weggang der CSU die SPD übernommen. Meist entwickeln sich zwischen den Veranstaltungen regelrechte Wortgefechte. Strauß hat sich regelmäßig während seiner Rede mit Zitaten des Gegners versorgen lassen, um prompt darauf zu reagieren. Zwischendurch nahm er immer wieder einen Schluck aus dem Maßkrug und prostete den feiernden Massen zu. Es wird übrigens gemunkelt, dass er kein Bier, sondern Champagner in seinem Krug hatte. Über den ehemaligen CSU-Chef Edmund Stoiber heißt es, dass er seine Aschermittwoch-Reden mit Salbeitee bestritt. Ein einziges Mal sei das so gewesen, sagte Stoiber selbst zu diesem hartnäckigen Gerücht, als nämlich wegen einer Erkältung seine Stimme zu versagen drohte. Ansonsten hätte er selbstverständlich mit Bier zugeprostet.

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