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Robert Gernhardt

"Ich könnte mir vorstelln, / mich so zu empfehlen: / Die Zeit. Ich will sie euch / nicht länger stehlen. / Den Raum. Ich will ihn euch / nicht länger rauben. / Den Stuß. Ich will ihn euch / nicht länger glauben..." So beginnt das Gedicht „Abschied“, mit dem sich Robert Gernhardt, deutscher Schriftsteller, Satiriker, Cartoonist und Maler sowie Mitbegründer der „Neuen Frankfurter Schule“, kurz vor seinem Tod von seinem Publikum trennt.

von Ariane Greiner

Biografie und Werk

Robert Gernhardt wurde am 13.12.1937 in Tallinn (Estland) geboren und starb am 30.6.2006 in Frankfurt am Main nach langem Krebsleiden. Er gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Dichter deutscher Sprache. Sein Werk geht weit über die Nonsens-Gedichte und anderen humoristischen Formen, für die er vor allem berühmt ist, hinaus.

Nach Kriegsende flieht die Mutter (der Vater ist im Krieg gefallen) mit dem achtjährigen Robert und seinen beiden Brüdern nach Bissendorf bei Hannover. Nach der Schulzeit in Göttingen studiert er Malerei und Germanistik in Stuttgart und Berlin. Am Ende ist er „staatlich geprüfter Kunsterzieher mit Deutsch als Beifach“ – zumindest auf dem Papier.

Doch Gernhardt reizen andere Formate als die staatlichen, und so kommt die Gründung der Satirezeitschrift „Pardon“ 1962 wie gerufen. Noch im selben Jahr veröffentlicht er die erste Zeichnung und den ersten satirischen Text.

Seit 1964 lebt er als freiberuflicher Maler, Zeichner, Karikaturist und Schriftsteller in Frankfurt am Main. Anfänglich schreibt er zuweilen unter den Pseudonymen „Lützel Jeman“ und „Norbert Gamsbart“. Er begründet mit den „Pardon“-Kollegen die Rubrik „Welt im Spiegel“, die die neuere humoristische Literatur erheblich beeinflusst. Im selben Jahr (1964) wird die Comic-Serie „Schnuffi“ aus der Taufe gehoben: Elf Jahre lang erzählt Gernhardt hier Monat für Monat in einer heiter-ironischen Bilderkette aus dem Leben eines Nilpferds. Der Gernhardt’sche Humor zeigt schon hier sein Herz für die Schwachen und Vergessenen, für das Abseitige und Verstreute und spart nicht mit Hieben auf fragwürdige Autoritäten.

 

Im Jahr 1979 trennt sich ein Großteil der „Pardon“-Redaktion von der Verlagsleitung. Robert Gernhardt und seine Kollegen Chlodwig Poth, F.K. Wächter und Hans Traxler gründen ein eigenes Satire-Magazin: die „Titanic“. Gemeinsam mit F.W. Bernstein, Eckhard Henscheid, Peter Knorr und Bernd Eilert bilden sie die sog. „Neue Frankfurter Schule“. Der Name gilt zunächst einer gemeinsamen Ausstellung der berühmten Drei – Gernhardt, Waechter, Bernstein – im Jahr 1983, wird aber schnell zum Etikett für jene Gruppe fröhlicher Intellektueller, die sich durchaus in geistiger Nähe sieht zum philosophisch-soziologischen Kreis der „Frankfurter Schule“ um Max Horkheimer und Theodor W. Adorno.

 

Mit Robert Gernhardt und Kollegen tritt ein neuer Schriftsteller-Typus an die Öffentlichkeit. Er ist multitalentiert, dichtet, kritisiert und karikiert und oszilliert immer zwischen hoher Kunst und Lachnummer. Er entlarvt das Lächerliche eines versteinerten Literaturbegriffs und erobert auf die Weise auch Kreise, die bisher eher wenig für Literatur übrig hatten.

 

In den 1980er Jahren arbeitet er gemeinsam mit Bernd Eilert und Peter Knorr als Co-Autor diverser Shows, Bücher und Filme von Otto Waalkes.

 

Robert Gernhardt war ein Meister des spielerischen Umgangs mit traditionellen Formen und Gattungen: Anekdote, Bildgeschichte, Cartoon, Interpretation, Kritik, vor allem Humorkritik. In den Gedichten herrscht die traditionelle Liedstrophe vor, aber man findet in seinem lyrischen Werk auch Formen wie Blues, Couplet, Litanei, Ballade, Dialoggedicht, Terzine und natürlich das Sonett, dem seine besondere Leidenschaft galt. Sein berühmtestes beginnt mit den Zeilen: "Sonette find ich so was von beschissen". Das ist typisch Gernhardt: Der Inhalt sprengt die Form, ohne sie jedoch nach außen hin zu beschädigen.

 

Bedichtenswert ist für ihn aber nicht nur das Komische und Lächerliche, sondern auch das Banale und Alltägliche wie etwa der Fußball, Sprachschwierigkeiten im ICE, Diät-Leiden, die Begegnung mit dem Bettler in der Fußgängerzone oder die ungeliebten 'Potenzstörungen'. Überhaupt nimmt mit zunehmendem Alter und der spürbar werdenden Krankheit der Körper und dessen ganz eigene Banalität des Bösen immer mehr Raum ein. Gipfelpunkt dieser Entwicklung sind die 2004 erschienenen K-Gedichte, die versuchen, auch dem Krebsleiden noch eine humoristische Seite abzutrotzen. Im Juni 2006 hat der Krebs den Körper besiegt. Und doch hat Gernhardt das letzte Wort. Denn: „Wer schreibt, bleibt. Wer spricht, nicht.“

 

 

Werke:

 

- Die Wahrheit über Arnold Hau, Frankfurt am Main 1966 (zusammen mit F. W. Bernstein und F.K. Waechter)

- Besternte Ernte. Gedichte aus fünfzehn Jahren, Frankfurt am Main 1976 (zusammen mit F. W. Bernstein)

- Die Blusen des Böhmen, Frankfurt am Main 1977

- Welt im Spiegel, 1979

- Die Magadaskar-Reise. Ein Bericht, Frankfurt am Main 1980

- Wörtersee (Gedichte), Frankfurt am Main 1981

- Ich Ich Ich (Roman), Zürich 1982

- Glück Glanz Ruhm (Essays), 1983

- Gernhardts Erzählungen (Bildergeschichten), 1983

- Letzte Ölung. Ausgesuchte Satiren, 1984

- Hier spricht der Dichter. 120 Bildgedichte, Zürich 1985

- Was bleibt (Gedanken zur Literatur), 1985

- Schnuffis sämtliche Abenteuer (Bildergeschichten), 1986

- Die Toscana-Therapie (Schauspiel), 1986

- Kippfigur (Erzählungen), 1986

- Es gibt kein richtiges Leben im valschen (Humoresken), 1987

- Körper in Cafés (Gedichte), 1987

- Was gibt's denn da zu lachen? - Kritik der Komiker, Kritik der Kritiker, Kritik der Komik (Essay), 1988

- Hört, hört! - Das WimS-Vorlesebuch (zusammen mit F. W. Bernstein), 1989

- Die Toscana-Therapie, (Hörspiel), DeutschlandRadio 1989

- Reim und Zeit (Gedichte), Stuttgart 1990

- Lug und Trug (Erzählungen), 1991

- Weiche Ziele, 1994

- Gedichte 1954 – 94, Zürich 1996

- Hier spricht der Zeichner, 1996

- Lichte Gedichte, 1997

- Vom Schönen, Guten, Baren. Bildergeschichten und Bildgedichte, Zürich 1997

- In Zungen reden. Stimmimitationen von Gott bis Jandl, Frankfurt a.M. 2000

- Was deine Katze wirklich denkt, (heyne) 2000

- Berliner Zehner. Hauptstadtgedichte, Zürich (Haffmans) 2001

- Der letzte Zeichner. Sachbuch/Essay, Frankfurt (Fischer Tb.), 2001

- Im Glück und anderswo. Gedichte, Frankfurt/M. (S. Fischer) 2002

- Die Falle (Erzählungen), Frankfurt/M. (Fischer Taschenbuch) 2003

- Herz in Not. Gedichte, Frankfurt/M. (S. Fischer) 2004

- Die K-Gedichte. Gedichte, Frankfurt/M. (S. Fischer) 2004

- Das Randfigurenkabinett des Doktor Thomas Mann. Barbara Hoffmeister + Robert Gernhardt, Frankfurt/M. (S. Fischer) 2005

- Gesammelte Gedichte. Frankfurt/M. (S. Fischer) 2005

 

 

 

Literatur über Robert Gernhardt:

 

- D. Arnet: Der Anachronismus anarchischer Komik. Reime im Werk von Robert Gernhardt

 

- Lutz Hagestedt: Robert Gernhardt. In: Kritisches Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur

 

- Robert Gernhardt. Edition Text + Kritik Heft 136 (1997)

 

- Oliver Maria Schmitt: Die schärfsten Kritiker der Elche. Die Neue Frankfurter Schule in Wort und Strich und Bild

 

- Klaus Cäsar Zehrer: Dialektik der Satire. Zur Komik von Robert Gernhardt und der "Neuen Frankfurter Schule" 

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