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Schöngeister und Schläger

“Boxen, so die US-Autorin Joyce Carol Oates, sei “ein so ungebrochenes und so machtvolles Bild des Lebens seiner Schönheit, seiner Verletzlichkeit und Verzweiflung, seines unberechenbaren und oft selbstzerstörerischen Muts , dass es das Leben selbst ist und kaum ein bloßer Sport. Vielleicht ist das der Grund, warum keine andere Sportart Intellektuelle und Künstler so sehr fasziniert und inspiriert hat wie das Boxen. Die geheime Wechselbeziehung und Anziehungskraft zwischen Boxer und Künstler zog sich durch das ganze 20. Jahrhundert von Bertolt Brecht bis Wolf Wondratschek, von Ernest Hemingway und Norman Mailer bis Joyce Carol Oates. Geistesarbeiter und Faustkämpfer eine innige Beziehung, die nicht immer etwas mit Gewaltvoyeurismus zu tun hat: Der Soziologe Max Horkheimer entschuldigte sich 1952 für seine Abwesenheit bei einem Empfang mit den Worten: “Wir haben uns einen Boxkampf angesehen. Sehr zu empfehlen. Das beste Mittel gegen Aggression.

Intellektuelle am Ring

Der Mime Fritz Kortner (1892-1970) schulte sein Spiel an der Theatralik im Ring.
dpa

Bereits in der Weimarer Republik, als das Boxen neben dem Sechstagerennen zum Massenereignis aufsteigt und in Berlin ein typisches Boxmilieu entsteht, sitzen neben den Damen und Herren der besseren Gesellschaft und dick beringten Ganoven auch viele Intellektuelle am Ringgeviert. 1921 gründete der Berliner Galerist Albert Flechtheim den “Querschnitt, das den ungewöhnlichen Untertitel “Magazin für Literatur, Kunst und Boxsport trug. Darin hieß es: “Der Querschnitt hält es für seine Pflicht, den Boxsport auch in deutschen Künstlerkreisen populär zu machen. In Paris sind Braque, Derain, Dufy, Matisse, Picasso, de Vlaminck begeisterte Anhänger, und Rodin fehlt bei kaum einem Kampf.

Die Zahl der Geistesgrößen, die in den 1920er Jahren vom Boxen magisch angezogen wurden, ist enorm: U.a. gehören Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz und Egon Erwin Kisch dazu. Fritz Kortner, der Prototyp des expressionistischen Schauspielers, schulte an Boxern seinen Blick für Gestik, Mimik und Theatralik: “Die Ausdrucksskala in Gesicht, Augen und Körper des Boxers war für mich eine erregende und anregende Lehrstunde. Literaten wie Thomas Mann und Ödön von Horváth studierten beim Boxkampf fasziniert die atavistischen Reflexe des schwitzenden und schreienden Publikums, die “Vitalität der Rohheit sowie die Unberechenbarkeit der Masse und schlugen daraus Kapital für ihre Arbeit.

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