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Seilbahnen in Städten: Das Verkehrsmittel der Zukunft?

Skifahrer und Bergsteiger kennen das Gefühl: Seilbahnen transportieren uns vom Tal aus bequem durch die Luft bis hoch hinaus in die bergischen Höhen. Die Passagiere genießen weit entfernt über dem Boden die Aussicht. Könnte dieses Transportmittel auch in Städten Einsatz finden? Mit der Seilbahn zur Arbeit gondeln, die Fahrt zum Bahnhof – Städte im Ausland machen es vor.
ABO, 04.09.2020

Der zehn Linien der Mi Teleférico (dt. "Meine Seilbahn") in La Paz bilden aktuell das weltweit größte städtische Seilbahnnetz (Stand: September 2020).

Dass der öffentliche Nahverkehr in den wachsenden Großstädten boomt, ist nicht zu leugnen: Allein die Münchner S-Bahn wird täglich von mehr als 800.000 Fahrgästen genutzt — mehr als drei Mal so viel wie bei ihrer Fertigstellung 1972. Gerade in den Metropolen steigt die Nachfrage an öffentlichen Transportmitteln: Bus- und Bahnnetze sind häufig ausgelastet. Umso mehr wird über eine dauerhafte Ergänzung des öffentlichen Nahverkehrs diskutiert.

Durch die Lüfte schweben

Städte im Ausland machen es bereits vor: Das größte städtische Seilbahnnetz der Welt befindet sich seit 2014 in der bolivianischen Hauptstadt La Paz. Es erstreckt sich vom Regierungssitz 33 Kilometer bis ins benachbarte El Alto und bindet so das Zentrum an die dicht bebauten Armenviertel an. Es umfasst zehn Seilbahnlinien, die mit hunderten Gondeln täglich rund 300.000 Passagiere befördern.

Ähnlich wie im bergigen La Paz fördert auch anderswo in Lateinamerika eine hügelige Topografie die Nachfrage nach der schwebenden Alternative zu Bus und Bahn. So benutzen die Bewohner von Medellín in Kolumbien, schon seit 2004 Seilbahnen, um zum Beispiel zur Arbeit zu kommen. Die sogenannte "Mexicable" verbindet als erste urbane Seilbahn Mexikos seit 2017 die Viertel der Stadt Ecatepec. Über sieben Stationen und einer Strecke von knapp fünf Kilometern fahren die Gondeln bis hinein in die Armenviertel in den Bergen.

Auch in der türkischen Hauptstadt Ankara sind Seilbahnprojekte im Kommen  2014 wurde dort das „größte urbane Seilbahnprojekt auf dem eurasischen Kontinent“ realisiert. In 60 Metern Höhe schweben damit die Bewohner der Vororte ins Stadtinnere. Auch in Städten wie London, Lissabon, Toulouse und Göteborg steigt das Interesse am Ausbau der urbanen Seilbahnnetze. Nach Branchenangaben gibt es aber auch Planungen für mehr Seilbahnen in Afrika, beispielsweise für Lagos in Nigeria und Mombasa in Kenia.

In deutschen Städten werden Seilbahnen manchmal zu besonderen Anlässen gebaut, wie zur Internationalen Gartenausstellung in Berlin oder der Gartenschau in Hamburg und dann nach Ende der Veranstaltung nur in Teilen weiterbetrieben. In Koblenz, Köln und Wuppertal finden sich dagegen dauerhaft städtische Gondeln. Einen großen Stellenwert in der deutschen Infrastruktur nehmen sie aber bisher nicht ein.

Die Dreiseilumlaufbahn in Koblenz zählt zu den Leistungsfähigsten ihrer Art: Sie befördert bis zu 3800 Personen pro Stunde und Richtung sicher und bequem über den Rhein.

Dem Trend auf der Spur

Aber warum sind die urbanen Seilbahnen weltweit so beliebt? „Luftseilbahnen sind technisch ausgereifte Systeme“, sagt Maike Puhe vom Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse. Statistisch gesehen sei die Seilbahn eines der sichersten Verkehrsmittel der Welt. Laut den technischen Aufsichtsbehörden trat weltweit im Zeitraum von 2008 bis 2011 etwa ein Todesfall pro 1,7 Milliarden Seilbahn-Beförderte auf. Anders als Straßenverkehrsmittel stoßen Seilbahnen mit niemanden zusammen und können auch niemanden überfahren. Abstürze von städtischen Gondeln sind dagegen selten.

Seilbahnen sind jedoch nicht nur sichere Transportmittel: Da es immer mehr Menschen in die Großstädte zieht, braucht es einen schnellen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Und auch hier können Seilbahnen punkten: Die Errichtung von Seilbahnlinien dauert nur einige Monate – ein enormes Tempo im Gegensatz zum Bau einer neuen U-Bahn-Linie. „Die Stützen werden mit dem Hubschrauber eingeflogen und montiert“, erklärt Heiner Monheim von der Universität Trier. Und wenn sie nicht mehr benötigt werden, seien sie auch schnell wieder abgebaut.

Auch die aufkommenden Kosten sind überschaubar: Für das Geld, das 30 Kilometer Seilbahn kosten, lassen sich nur zehn Kilometer Tram oder ein Kilometer Metro bauen. Und die Kosten betragen nach Angaben der Hersteller insgesamt nur ein Zehntel der beim Bau einer U-Bahn anfallenden. Da auch keine laufenden Betriebskosten durch Fahrzeugfahrer anfallen, beträgt der Fahrpreis in Bolivien beispielsweise nur 35 Cent. Die Fahrten mit der Seilbahn sprechen so auch ärmere Bevölkerungsschichten an.

Anders als Busse überwinden Seilbahnen auch große Gefälle und kommen weder Ampeln noch anderen Fahrzeugen in die Quere – so bleiben Staus aus. "Die Seilbahn ist insofern ein interessantes Fortbewegungsmittel, da sie Menschen auf direktem Weg von A nach B führen kann und anders als Busse von Staus auf der Straße unberührt bleibt“, sagt Maria Schneider von der Universität Innsbruck. So sparen auch die Passagiere wertvolle Zeit - wie Beispiele in Mexiko zeigen: Eine Seilbahnfahrt bis zur Endstation dauert 17 Minuten. Mit dem Sammeltaxi oder dem Kleinbus bräuchte man für die gleiche Strecke bis zu eine Stunde.

„Werden kleine Kabinen eingesetzt, sind diese laufend in Bewegung und können so ein relativ hohes Passagieraufkommen ohne lange Wartezeit bewältigen", erklärt die Expertin. Auch wenn es in der Stadt zu Wartschlangen kommt, sind die Gondeln der Seilbahn unabhängig vom Straßenverkehr ständig unterwegs. Außerdem fahren sie ohne großen Lärm und sind sogar barrierefrei.

Die 2016 eröffnete Mexicable transportiert rund 20.000 Personen pro Tag. Die Fahrt ist nicht nur ungleich sicherer, die Seilbahn legt die fast fünf Kilometer lange Strecke auch 40 Minuten schneller zurück, als die Konkurrenz am Boden.

Presidencia de la República Mexicana via flickr / CC BY 2.0

Positive Nebeneffekte

Aber die neue Verkehrsinnovation ist nicht nur eine Zukunftslösung, um die Bewohner der global wachsenden Städte zu befördern. In Bolivien hat sie zusätzlich einen erstaunlichem Nebeneffekt: Die Verkehrserschließung der meist verwahrlosten Stadtgebiete bringt mehr Sicherheit. Berichten zufolge ist die Kriminalität rund um die beleuchteten Stationen zurückgegangen.

Und auch das Klima wird geschützt: Da ein Großteil der weltweiten Treibhausgasemissionen in Städten anfallen, sind die "Himmels-Metros" eine Möglichkeit für die Reduktion der städtischen Abgasemissionen. Beim CO2-Ausstoß und der Feinstaubbelastung pro Person und Kilometer schlägt die Seilbahn nämlich Bus, U-Bahn und auch den Zug, da das Eigengewicht der Gondeln verhältnismäßig gering ist. „Der Energieverbrauch ist relativ günstig, weil es wenig Reibung gibt“, sagt Monheim. „Damit sind sie energetisch vorteilhafter als eine Straßenbahn.“ Zusätzlich könne der benötigte Strom auch teilweise mit Photovoltaikanlagen erzeugt werden, raten Experten.

Die stützenden Masten der Bauten benötigen außerdem wenig Platz, sodass auch hier der Eingriff in die Natur gering bleibt. Und die Transportalternative verringert auch den Autoverkehr: "Dass der Trend in der Stadt zu weniger Autos gehen muss, steht für mich außer Frage“, sagt Schneider in Hinblick auf den Klimaschutz. „Weniger Autos bedeuten mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer“ – ein weiterer Pluspunkt für die Ökobilanz der Seilbahnen.

Kein Patentrezept

Doch die Technologie hat ihre Grenzen: In Asiens Megastädten bietet sich die neue Innovation zum Beispiel nicht an. Mit einer maximalen Beförderungsleistung von 5.000 Personen pro Stunde seien sie U-Bahnen deutlich unterlegen, die etwa 20.000 Personen pro Stunde transportieren könnten. Die Höchstgeschwindigkeit liege nur bei 22 Stundenkilometer, so Monheim. Zusätzlich sind die meisten Seilbahnen wetterabhängig: „Bei Windgeschwindigkeiten über 80 Stundenkilometer und bei Gewitter wird es kritisch“, so Verkehrsexperte Bogenberger. „Da müsste der Betrieb eingestellt werden.“ Gleiches gilt für kalte Wintermonate.

Und Seilbahnen lösen auch nicht alle städtischen Verkehrsprobleme: Durch die lineare Seilführung sind nämlich die möglichen Routen eingeschränkt. Damit das Konzept funktioniert, muss die Seilbahn zudem an das restliche öffentliche Verkehrsnetz gut angebunden sein.

Das fliegende Verkehrsmittel stört mancherorts auch die Bewohner der urbanen Regionen: Neben einem veränderten Stadtbild - durch die Stützen und die Seilführung - haben Umfragen zufolge viele Menschen Angst davor, dass Vorbeifahrende in den Gondeln einen leichten Einblick in den Garten oder ins Wohnzimmer bekommen. Auch Klagen von Grundstückbesitzern sind möglich. Zudem äußern manche Menschen Bedenken wegen Höhenangst und Sorgen über technische Probleme.

In den asiatischen Megastädten kommen Seilbahnen wohl bis auf weiteres nur als Touristenattraktion zum Zug, wie hier auf Sentosa Island in Singapur.

Die Akzeptanz nimmt Fahrt auf

Ist die Seilbahn nun also die Mobilitätsform der Zukunft? Der Trierer Experte Heiner Monheim hält Seilbahnen für eine gute Ergänzung des öffentlichen Nahverkehrs: Um Lücken im Verkehrsnetz zu schließen, stark genutzte Strecken zu entlasten oder Wege über Flüsse zu überbrücken. Und die Akzeptanz ist weltweit groß: Bei den führenden Herstellern stehen die urbanen Seilbahnprojekte hoch im Kurs – laut eigenen Angaben machen sie bei manchen Konzernen rund 25 Prozent des Geschäfts aus, Tendenz steigend.

Zahlreiche geplante Stadtseilbahn-Projekte stehen auch in Deutschland weiter in der Diskussion. Die wenigsten werden bislang allerdings umgesetzt, auch weil eine Einbindung in den öffentlichen Personen-Nahverkehr schwierig ist. Verkehrsexperten sehen zudem nur ein begrenztes Potenzial, weil der Luftraum in deutschen Städten nicht ohne weiteres nutzbar ist. Zudem assoziieren viele Deutsche eine Seilbahn nicht mit einem täglichen Transportmittel. In Hamburg äußerten Einwohner die Sorge, dass durch Seilbahnen zusätzliche Touristenmassen angezogen werden könnten.

Ob Seilbahnen also in Zukunft zur Gewohnheit werden, hängt vor allem von der Akzeptanz der städtischen Bewohner ab. "Da muss man sich genau überlegen, wo die Stationen errichtet werden, und wie die Infrastruktur beziehungsweise das Gebäude sinnvoll für andere Zwecke mitbenutzt werden können", sagt Schneider. Aber auch ein gewisser Gewöhnungseffekt könnte die Akzeptanz erhöhen: „Gleichzeitig ist es so, dass Seilbahnen in der Stadt einfach ungewohnt sind, während etwa Strommasten auch Teil der Landschaft sind, aber praktisch niemandem auffallen.“

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