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Sexuelle Belästigung im Internet

So praktisch das Internet und die vielen sozialen Medien auch sind – sie haben ihre Schattenseiten. Denn Chatrooms, Messenger und Dating-Apps bieten fast unbegrenzte Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen und Inhalte auszutauschen. Doch sie erleichtern auch die sexuelle Belästigung auch und gerade von Jugendlichen. Welche Formen nimmt sexuelle Belästigung im Netz an? Und wie stark sind Kinder betroffen?
YBR, 26.04.2018

Jedes vierte der befragten Kinder und Jugendlichen wurde online schon mindestens einmal sexuell belästigt.

iStock.com, AntonioGuillem

Kinder und Jugendliche bewegen sich oft noch auf unsicheren Beinen durchs Netz und testen ihre Grenzen im Sozialverhalten aus. Sie sind deswegen besonders durch sexuelle Übergriffe im Internet gefährdet. Das Spektrum bei der Online-Belästigung ist groß: Es reicht von unangenehmen sexuellen Fragen über ungefragt zugeschickte Nacktfotos bis hin zur Erpressung mit Aufnahmen, zu denen die Täter ihre Opfer zuvor überredet haben. Unter "Cyber-Grooming" versteht man, wenn sich meist erwachsene Täter an Kinder heranmachen, ihr Vertrauen gewinnen und sie dann zu sexuellen Handlungen treiben.

Eine Studie von "SOS Kinderdörfer" und "Rat auf Draht" hat nun in Österreich exemplarisch untersucht, wie viele Kinder und Jugendliche von sexueller Belästigung im Internet betroffen sind und was ihnen dabei wiederfahren ist. Für die repräsentative Umfrage wurden 400 Kinder zwischen 11 und 18 Jahren befragt.

Mädchen dreimal häufiger betroffen als Jungen

Das Ergebnis: Jedes vierte Kind wurde online schon mindestens einmal sexuell belästigt, fünf Prozent von ihnen erlebten dies sogar regelmäßig einmal im Monat. "Besorgniserregend ist, dass Mädchen mit 40 Prozent dreimal häufiger betroffen sind als Burschen", sagt die Studienleiterin Raphaela Kohout vom Institut für Jugendkulturforschung.

Was genau war den Kindern passiert? Meistens stellten die TäterInnen den Kindern unangenehm beim Online-Chat intime oder sexuelle Fragen. Dies passierte fast 40 Prozent der Mädchen und zehn Prozent der Jungen. Etwa genauso häufig wurden ihnen ungewollt Nacktfotos oder –videos geschickt. Jedes zehnte Kind – Mädchen und Jungen gleichermaßen – wurde sogar schon einmal online bedroht oder erpresst, zum Beispiel mit Nacktfotos. Erfahrungen mit Cyber-Grooming machten den Forschern zufolge bereits 14 Prozent aller 11- bis 18-Jährigen.

Betroffene sehen Belästigung als "normal" an

Das Problem: Viele Kinder stehen diesen Belästigungen hilflos gegenüber. Sie wissen nicht, wie sie sich wehren oder schützen sollen und schämen sich, um Hilfe zu bitten. Deswegen unternehmen die Betroffenen nichts gegen die Übergriffe. Nur die Hälfte sperrt den Kontakt zu der übergriffigen Person, jeder vierte meldet die Belästigung beim Seitenbetreiber. "Viele Betroffene haben sich damit abgefunden", sagt Kohout. "Sie fühlen sich ohnmächtig und glauben, dass nichts dagegen gemacht werden kann." Nur ein kleiner Teil wendet sich an die Eltern, Lehrer oder Polizei. Besonders Jungen scheuen davor zurück, es ihren Freunden zu erzählen.

Viele der Betroffenen geben zudem nicht den Peinigern die Schuld, sondern sich selbst. Wenn man freizügige Bilder von sich selbst poste, sei man mitverantwortlich, so die weit verbreitete Meinung. "Wir müssen den Kinder und Jugendlichen glaubhaft vermitteln, dass Übergriffe dieser Art niemals in Ordnung sind, egal, wie man sich zeigt, und dass es immer Sinn macht, sich Hilfe zu holen", betont Elke Prochazka, Psychologin bei Rat auf Draht.

Das Täterprofil ändert sich

Doch wer sitzt überhaupt am anderen Ende der Leitung? Wer sind die Täter? Meistens taucht im Kopf wohl das Bild eines alten Mannes auf, der sich – in einem abgedunkelten Raum sitzend – an kleine Kinder ranmacht. Laut deutschen Kriminalstatistiken zum Cyber-Grooming ist dieses Bild jedoch hinfällig. 65 Prozent der Täter sind unter 30 Jahre alt, 25 Prozent von ihnen sind selbst Jugendliche zwischen 14  und 18 Jahren. Minderjährige sind demnach nicht immer nur die Opfer, sondern werden auch zunehmend zu Tätern.

Die Gesetzeslage in Deutschland und Österreich ist eindeutig: Das verbotene Heranmachen bedeutet hierzulande drei Monate bis fünf Jahre Gefängnis. Das Verschicken von Nacktfotos, Sexting genannt, ist rechtlich schon etwas komplizierter: Während die sexuelle Darstellung von unter 14-Jährigen ausnahmslos verboten ist, dürfen Jugendliche nach Herzenslust Nacktbilder verschicken – sofern alle Beteiligten einverstanden sind. Ohne Zustimmung muss der Täter aber mit Freiheits- oder Geldstrafen rechnen. Weniger als die Hälfte der Studienteilnehmer wusste jedoch, dass Cyber-Grooming überhaupt strafbar ist.

Fake-Profile erkennen

Doch wie kann man sich vor den sexuellen Übergriffen schützen? Mehr Einschränkungen und Filterprogramme zum Schutz seien nicht zielführend, so Prochazka. Das Wichtigste sei, dass Eltern ihre Kinder bei Online-Aktivitäten begleiten, sie aufklären und dabei bestärken, kritisch und selbstbewusst zu sein. "Wichtig ist auch zu verstehen, dass Filterprogramme vor allem deswegen nicht sinnvoll sind, weil sich Cyber-Grooming und andere sexuelle Übergriffe nicht auf bestimmte Seiten oder Apps beschränken", betont die Psychologin.

Anfangs ist zudem oft nicht direkt zu erkennen, ob sich beim Chatten ein Cyber-Grooming oder eine andere Form der Belästigung anbahnt. Es gibt aber einige verräterische Merkmale. Experten empfehlen misstrauisch zu sein, wenn Unbekannte auffällig viele Komplimente machen, sehr schnell videochatten wollen oder fragen, ob man gerade alleine ist.

Zudem verstecken sich die Täter hinter Fake-Profilen. "Ein guter Trick ist, eine Person dazu aufzufordern ein außergewöhnliches Foto von sich zu schicken, das er oder sie nicht vorbereitet hat, wie zum Beispiel mit einer Salatgurke über dem Kopf", erklärt Prochazka. "Schickt die Person das Foto rasch, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das Foto echt ist und kein Fake-Profil hinter dem Kontakt steckt."

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