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Spaniens Semana Santa

Verhüllte Gestalten, die prunkvoll geschmückte Podeste mit barocken Heiligenstatuen meilenweit durch die Gassen tragen. Tausende von Gläubigen, klagende Gesänge. Die Karwoche von Palmsonntag bis Ostern wird in Spanien mit Hunderten von Prozessionen bei Tag und Nacht üppig gefeiert. Die berühmtesten Feierlichkeiten finden in Sevilla statt.

von wissen.de-Redakteurin Jutta Mlnarschik

Prozession während der Semana Santa
SXC
Gründonnerstag Nacht. Der erste Frühlingsvollmond steht am sternklaren Himmel. Der Duft der blühenden Orangenbäume mischt sich mit Weihrauch und schwebt wie eine Wolke über der Stadt. Menschenmassen bevölkern die Straßen, Gassen und Plätze Sevillas, als wären sie alle von Schlaflosigkeit befallen. Ein Einheimischer aus der Menge stimmt eine „Saeta“ an, den inbrünstigen, arabisch klingenden Klagegesang. Trommeln hallen zwischen den Häusern. In Zweierreihen bahnen sich die „Nazarenos“ mit brennenden Fackeln und Kerzen einen Weg durch die Menge, gefolgt von „Penitentes“, den Büßern, die als Zeichen ihrer Buße ein Holzkreuz auf den Schultern oder schwere Ketten an den bloßen Füßen tragen. Unheimlich ist der Anblick der in Büßergewänder gekleideten Gestalten. Ihre Gesichter sind völlig von spitzen Kapuzen verhüllt, kleine Augenschlitze bilden die einzige Verbindung zur Außenwelt. Wie die Verkleidung des Ku-Klux-Klans wirken diese Kutten, ihr Ursprung ist freilich ein anderer. Einst trugen freiwillige Helfer während der ersten großen Pest in Sevilla um 1348 solche Masken, um sich vor Ansteckung zu schützen, heute sollen diese „Capirotes“ genannten Kapuzen die Anonymität der Mitglieder der religiösen Bruderschaften, wahren. Tausende von Menschen – Einheimische wie Touristen – stehen die ganze Karwoche über Tag und Nacht Spalier, um den Tausenden von „Costaleros“ Ehre zu erweisen, die in ihren Büßergewändern prunkvoll gestaltete und geschmückte Heiligenfiguren durch die ganze Stadt tragen.

Ostern - eine Festwoche

Ostern ist in Spanien nicht nur ein Fest, es ist eine ganze Festwoche – und in Sevilla findet sie ihren Höhepunkt. Begonnen hat die Tradition der Semana Santa im 16. Jahrhundert, als die katholische Kirche der Bevölkerung die Passion Christi näher bringen wollte. Bekannte Künstler schufen Heiligenfiguren aus Holz, die, in prunkvolle Gewänder gekleidet, auf riesigen geschmückten Podesten, den Pasos, vor den Prozessionen hergetragen wurden. Von Sevilla aus wurde die Tradition ins übrige Spanien, nach Sizilien und Hispanoamerika überliefert, doch nirgendwo erreichte sie eine derart pompöse barocke Prachtentfaltung und so gigantische Ausmaße wie in der andalusischen Metropole. Seit rund 400 Jahren hat sich dabei am Prunk nicht viel geändert. Insgesamt 57 religiöse Bruderschaften mit jeweils Hunderten bis über Tausend Mitgliedern tragen in sieben Tagen und Nächten 116 Pasos durch Sevilla. Die Bruderschaften haben bedeutungsschwere Namen wie Jesus Despojado (der beraubte Jesus), La Cena (das Abendmahl), Beso de Judas (der Judas-Kuss), La Sed (der Durst), La Trinidad (die Dreifaltigkeit) oderLa Resurección (die Auferstehung), und ihre Mitglieder – die Costaleros – tragen die Pasos mit Madonnen, Christusstatuen oder Figurengruppen einer Kreuzwegstation Christi auf fest gelegten Routen von ihrer eigenen Pfarrkirche bis zur Kathedrale im Zentrum – manche Wege dauern bis zu zehn Stunden. Fast unglaublich, dass dabei jeder Einzelne von ihnen bis zu 100 Kilogramm Gewicht auf den Schultern hat.

Beliebtester Paso ist die Macarena

Virgen de la Macarena während der Semana Santa de Sevilla
An der Prozession der Bruderschaft La Paz (Frieden) etwa – der allerersten, zur Eröffnung der Karwoche am Palmsonntag in Sevilla – nehmen etwa 1.200 Brüder teil, die zwei Altarbühnen tragen: den Paso del Cristo, der als einziger der ganzen Karwoche von einer berittenen Kapelle begleitet wird und den Paso de la Virgen mit einer Marienfigur. Für den Weg von ihrer Heimatkirche durch den Parque María Luisa bis zur Kathedrale und zurück ist die Prozession etwa zehn Stunden unterwegs. Der bedeutendste und beliebteste Paso ist jedoch die Macarena, die in der Nacht zum Karfreitag durch die dunklen Straßen schaukelt. Eine Lichtgestalt mit dem Namen einer arabischen Prinzessin, mit Tränen und geheimnisvollem Lächeln auf ihrem Gesicht. Diese geheimnisumwitterte Jungfrau der Hoffnung ist eine der ältesten Madonnen Sevillas aus dem 17. Jahrhundert. Beleuchtet von einer Kerzenpyramide, wird die Erscheinung bejubelt wie eine Schönheitskönigin. Niemand will Ihr Vorbeiziehen verpassen – obwohl die Statue doch jeden Tag in ihrer Kirche zu besichtigen wäre. Doch das ist nicht dasselbe: Hier ist sie lebendig geworden, bewegt sich auf ihrem Podest schwankend durch die Menge. Der Madonna folgt ein wilder Chor bald heiserer VerehrerInnen, die ihr unablässig mit "Macareeeeeeena – Guapa!!"-Rufen (Macarena – Hübsche) huldigen, bis ihr riesiger Mantel goldglänzend um die Ecke und in der Nacht verschwindet.

 

Dann öffnen sich die Pforten der größten gotischen Kathedrale der Welt, und die ersten Nazarenos der Bruderschaft „El Silencio“ schreiten ins Mondlicht. Schwarz und schweigend bilden sie einen Unterschied zur fröhlichen Macarena-Prozession, der größer nicht sein könnte. El Silencio ist die älteste und ehrwürdigste Bruderschaft Sevillas und wird auch „Madre y Maestra“ – Mutter und Meisterin – genannt. Gegründet 1340, beging sie ihre erste Semana Santa im Jahr 1356, und ihr von 50 Männern getragener „Paso del Cristo“ gleitet heute wie damals als goldene Barke durch die Menschenmenge – obenauf die Statue des „Cristo del Silencio“ in violetter, goldverzierter Tunika, umringt von unzähligen barocken Engeln.

Pestiños sind die berühmtesten Süßspeisen Andalusiens und werden üblicherweise zu religiösen Festen wie der Karwoche, Allerheiligen und Weihnachten zubereitet.

Ismael Olea / Public Domain

"Pestiños" zur Stärkung

So geht es stundenlang weiter. Eine Prozession folgt der anderen – bis ins gleißende Mittagslicht und wieder in die Nacht hinein. Kein Wunder, dass in Andalusien in der Karwoche nicht das Fasten im Vordergrund steht, sondern es gerade in dieser Zeit leckere Süßigkeiten wie die „Pestiños“ gibt, ein Gebäck, das in Olivenöl frittiert und dann einige Tage in einer Masse aus Honig und Zitrone eingelegt wird. Anders würde man diesen Gewaltakt als Nazareno oder Zuschauer wohl kaum überstehen. Und schließlich ist es am Ostersonntag gleichsam eine Erlösung für die ganze Stadt, wenn mit der einzigen und letzten Prozession der Bruderschaft „Resurección“ die Auferstehung gefeiert werden kann. Dann endlich können die Familien nach Hause gehen zum Osterlamm – und vermutlich eine lange Siesta machen.

Semana Santa – die schönsten Prozessionen

Typisch sind die üppigen Feierlichkeiten der Semana Santa vor allem in Andalusien. Am sehenswertesten und berühmtesten ist die Semana Santa in den Städten Sevilla, Granada, Córdoba, Cádiz, Málaga, Jaén, Almería und Toledo.

 Daneben begehen auch viele kleinere Städte und Orte ihre Feierlichkeiten, oft mit ganz eigenen Traditionen.

Weitere Regionen mit bedeutender Semana-Santa-Tradition

  • Murcia: vor allem Murcia, Cartagena und Lorca (mit nachgestellten Szenen aus der Bibel)
  • Kastilien-León: speziell Valladolid, León und Ciudad Real
  • Valencia und Alicante
  • Daneben gibt es auch in Katalonien und Galicien sowie der autonomen Stadt Ceuta vereinzelte Städte mit Semana Santa-Prozessionen.
  • Beliebt sind auch die „Passionsspiele“, die überwiegend im Norden Spaniens stattfinden. Die ältesten Schauspiele (seit 1481) werden mit mehreren Hundert Darstellern in der Stadt Cervera (Lleida/Katalonien) veranstaltet.

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