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Sprint: Das Geheimnis des schnellen Laufens

Bei den Olympischen Spielen in Tokio wetteifern zurzeit Sportlerinnen und Sportler aus aller Welt um Medaillen – darunter auch die Sprinter der 100- und 200-Meter-Läufer. Aber was macht einen Menschen eigentlich besonders schnell? Und warum kommen wir nicht einmal ansatzweise an die Laufgeschwindigkeiten vierbeiniger Läufer wie Antilopen, Geparden und selbst unseren Hauskatzen heran? Das haben Forscher jetzt näher untersucht.
NPO, 30.07.2021

Männliche Top-Athleten wie der Jamaikaner Usain Bolt (ganz links) erreichen im Sprint kurzzeitig Geschwindigkeiten von bis zu 45 Stundenkilometern, können dieses Tempo aber nur wenige Sekunden lang durchhalten.

Menschliche Spitzenläufer können Laufgeschwindigkeiten von bis zu 45 Stundenkilometern erreichen. Sie wurden unter anderem beim jamaikanischen Sprintstar Usain Bolt im 100-Meter-Lauf gemessen. Mit einer Zeit von 9,58 Sekunden lag sein Durchschnittstempo über diese Strecke bei gut 37 Stundenkilometern. Grund für diese guten Sprintfähigkeiten sind neben der Lauftechnik und günstigen Proportionen auch ein besonders effizientes Ineinandergreifen der beweglichen Proteine in den Muskelfasern.

Was macht ein Lebewesen schnell?

Doch vergleicht man die Stars unter den menschlichen Sprintern mit dem Tierreich, sehen ihre Rekorde plötzlich alles andere als herausragend aus: Schon eine Hauskatze läuft genauso schnell wie Usain Bolt und ein Hase überholt ihn einem Lauftempo von rund 60 Kilometern pro Stunde locker. Antilopen rennen sogar doppelt so schnell wie menschliche Sprinter und Geparden können innerhalb kürzester Zeit eine Geschwindigkeit von über 100 Stundenkilometern erreichen.

Aber warum? Welche Eigenschaften muss ein Tier haben, um besonders schnell laufen zu können? Das hat unter anderem ein interdisziplinäres Forschungsteam um Michael Günther von der Universität Stuttgart näher untersucht. Auf Basis von Messdaten zu verschiedenen Tieren und deren Körperbau und Muskelbeschaffenheit entwickelten sie ein Modell, das die Zusammenhänge von Biomechanik, Physiologie und Lauftempo nachbildet.

Das Modell betrachtet dabei unter anderem die Kraft, mit der sich die Beine des Tieres vom Boden abstoßen können, die maximale Schnellkraft der Muskeln und die Elastizität der Sehnen, den Winkel und die Beinlänge, sowie das Zusammenspiel von Masse, Trägheit, Größe und Luftwiderstand.

Schlank, biegsam und schnell: Sowohl der Gepard als auch die Thomson-Gazelle sind ausgezeichnete Sprinter, die über kurze Strecken Spitzengeschwindigkeiten von fast 100 Kilometer pro Stunde erreichen können.

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Vier Beine sind Trumpf

Die Untersuchungen ergaben unter anderem, dass vierbeinige Säugetiere im Schnitt höhere Geschwindigkeiten erreichen als zweibeinig laufende Wesen wie Menschen und manche Vögel. Der Grund: Vierbeiner erreichen größere Schrittweiten und flachere Auftreffwinkel ihrer Beine. Das hilft den Muskeln dabei, sich effektiver zusammenzuziehen, und verschafft jedem einzelnen Bein mehr Zeit, sich zwischendurch wieder voll zu strecken.

Viele Sprinter unter den Tieren, wie beispielsweise der Gepard und andere Großkatzen, besitzen zudem eine sehr biegsame, mitschwingende Wirbelsäule, die ihnen zusätzlichen Schub verleiht. Perfekt ans schnelle Laufen angepasste Tiere wie Geparden oder Antilopen zeichnen sich daher meist durch eine schlanke Körperform, lange Beine sowie eine besonders bewegliche Wirbelsäule aus.

Nicht zu groß und nicht zu klein

Doch es kommt ein weitere Faktor hinzu: das Körpergewicht. Denn wird ein Tier zu groß und schwer, helfen ihm auch die vier Beine oder kräftige Muskeln nicht mehr. Trägt man das Lauftempo verschiedenster Tiere gegen ihre Masse auf, zeigt die Kurve einen deutlichen Buckel: Zunächst nimmt die Maximalgeschwindigkeit mit der Körpergröße zu, dann aber knickt sie wieder nach unten ab. Der Umkehrpunkt liegt dabei etwa bei 50 Kilogramm – und damit ungefähr dem Körpergewicht eines Geparden.

Einen möglichen Grund dafür haben Wissenschaftler bereits ermittelt: Die für den Sprint wichtigen schnellen Muskelfasern können in kurzer Zeit viel chemische Energie in Bewegung umsetzen. Dafür ist ihr Energievorrat aber auch schnell aufgebraucht. Ab einem bestimmten Körpergewicht benötigen die Muskeln zu lange, um die träge Masse auf Touren zu bringen. Dadurch ist die Energie verbraucht, bevor die theoretisch mögliche Maximalgeschwindigkeit erreicht ist.

Menschliche Sprintenathleten laufen bereits nahe am Geschwindigkeitsoptimium. Nur längere Beine oder elastischere Sehnen würden noch höhere Geschwindigkeiten ermöglichen.

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Und der Mensch?

Was aber bedeutet dies für menschliche Sprinter? Sind die bisherigen Rekorde noch ausbaufähig? Bezogen auf die menschliche Körpergeometrie sind die 100-Meter-Läufer schon sehr nah an ihrem Geschwindigkeitsoptimum, wie Günther und sein Team errechnet haben. Nur längere Beine oder elastischere Sehnen würden noch höhere Geschwindigkeiten ermöglichen – eine Entwicklung, die rein biologisch eher unwahrscheinlich wäre.

Denkbar wäre allerdings, dass es eines Tages technischen Entwicklungen gibt, wie spezielle Laufschuhen oder Exoskeletten, die die Beinhebel verlängern oder den Läufern zusätzliche Elastizität beim Abstoßen verleihen. Ob solche Neuerungen dann allerdings bei den Olympischen Spielen oder anderen Wettbewerben zugelassen würden, ist eher fraglich.

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