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Synthetische Biologie - Leben aus dem Labor

Von der Natur kann man lernen – man kann aber auch versuchen, ihre Grenzen zu erweitern. „Synthetische Biologie“ heißt eine neue Fachrichtung, die Lebensformen erschaffen will, die in der Natur nicht existieren. Dafür sorgen standardisierte Gen-Bausteine, die im Hinblick auf ihre Aufgabe maßgeschneidert sind und die gewünschten Aufgaben auf den neuen Organismus übertragen. Zwar geht es bislang nur um Bakterienkulturen. Die Möglichkeiten der neuen Technik sind jedoch ebenso vielfältig, wie ihre Risiken unerforscht scheinen. Wie ist synthetische Biologie einzuschätzen?
von wissen.de-Autor Dr. Kai Jürgens, Dez. 2012

Synthetische Biologie: Griff in den Gen-Baukasten

DNA Schema
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Die Geschichte der Gentechnik im engeren Sinne ist noch keine vierzig Jahre alt. Im Jahr 1971 gelang es erstmals, Teile eines Genoms abzutrennen; seither hat die Forschung entscheidende Fortschritte gemacht: 1977 wurde menschliches Protein in einem Bakterium erzeugt, 1982 kam das erste gentechnisch hergestellte Medikament auf den Markt, 1996 wurden erstmals genetisch veränderte Sojabohnen in den USA angebaut. Grundlage dieser Technik ist die Möglichkeit, DNA-Sequenzen zu verändern. Dadurch sollen bestimmte Wirkungen erzeugt oder – wie bei der Bekämpfung von Erbkrankheiten – ausgeschaltet werden.

Synthetische Bologie geht hier noch einen deutlichen Schritt weiter. Es werden nämlich nicht die Eigenschaften von einem Lebewesen auf das andere übertragen, wenn zum Beispiel Pflanzen gegen bestimmt Schädlinge resistent gemacht werden sollen. Die neue Technik nutzt vielmehr künstlich erzeugte Komponenten, um bislang unbekannte Lebensformen zu erschaffen.

 

Labor-Bakterien und Minimalorganismen

Bakterium
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Dies ist natürlich sehr kompliziert und steckt als Verfahren der Ingenieurswissenschaft buchstäblich in den Kinderschuhen. Trotzdem wird synthetische Biologie schon bald den Alltag beeinflussen. Bereits 2007 erging in den USA der Antrag, vierhundert Gene zu patentieren. Diese sollen ein im Labor erzeugtes Bakterium dazu veranlassen, bestimmte Gase herzustellen. Hier zeigt sich ein erstes Anwendungsgebiet, doch den Möglichkeiten sind zumindest theoretisch kaum Grenzen gesetzt.

So beschäftigt sich die Forschung auch mit der Frage, ob chemische Systeme so aufgebaut werden können, dass sie bestimmte Eigenschaften von Lebewesen übernehmen. Auch geht es um „Minimalorganismen“, die auf ihre allernotwendigsten Systembestandteile reduziert sind, um als eine Art „biologischer Schaltkreis“ zu funktionieren. Pharma- und Energiekonzerne zeigen sich schon jetzt interessiert, obwohl sich die Möglichkeiten der neuen Forschung erst abzeichnen.

 

Biohacker gegen Komerzialisierung

Pipette und Petrischale
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Und die Konsequenzen? Diese könnten beträchtlich sein. Zunächst einmal sind noch längst nicht alle genetischen Funktionen entschlüsselt. Dies dürfte das Hantieren mit entsprechenden Bausteinen durch die synthetische Biologie etwas verfrüht erscheinen lassen. Was geschieht, wenn die Organismen unkontrolliert freigesetzt werden? Die übliche Aussage, dies könne in keinem Fall passieren, dürfte so schnell niemanden überzeugen. Hier stellt sich dann auch die Frage nach missbräuchlicher Verwendung, etwa um bakteriologische Kampfstoffe zu erzeugen.

Auch die Kommerzialisierung von Leben ist ein gänzlich ungelöstes Problem. Gegen diese Tendenz gehen bereits die Biohacker vor. Deren Bewegung will die Errungenschaften der synthetischen Biologie im Sinne des „Open Source“-Gedankens allen zugänglich machen. Immerhin – ein Bewusstsein für die Problematik ist durchaus vorhanden. Vielleicht gelingt es künftig ja tatsächlich, die synthetische Biologie zu einer positiven Entwicklung zu machen.

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