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Unbekömmlich und blähend: Ist Brot wirklich ungesund?

Brot steht bei vielen in Verruf: Gerade das enthaltene Weizenmehl gilt als schwer bekömmlich und steht im Verdacht, bei manchen Menschen Blähungen und Verdauungsprobleme zu verursachen. Auch der übermäßige Verzehr von Kohlenhydraten ist umstritten. Doch was hat es mit der angeblich ungesunden Wirkung des Weizens auf sich? Betrifft diese Unverträglichkeit wirklich alle Menschen? Ist Brot per se schlecht?
ABO, 28.09.2020

Mehr als ein Zehntel der Deutschen Bevölkerung leidet unter dem sogenannten Reizdarmsyndrom. Häufig wird der Verzehr von Brot, insbesondere aus herkömmlichem Weizen, verdächtigt, die Beschwerden auszulösen.

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Getreide gehören weltweit zu den Grundnahrungsmitteln: Zum Beispiel zählt Weizen (Triticum aestivum) mit einer Jahresernte von etwa 735 Millionen Tonnen zu den drei am meisten angebauten Kulturpflanzen der Welt und nimmt dabei etwa 215 Millionen Hektar Anbaufläche ein. Er hat eine große Bedeutung für die Herstellung von Backwaren wie Brot oder Nudeln und gilt somit als unersetzlich in der Ernährung einer immer weiterwachsenden Weltbevölkerung.

Unverträglichkeit betrifft nicht jeden

Viele Nahrungsmittel – darunter Obst und Gemüse, aber auch Brot – enthalten eine Vielzahl an Kohlenhydraten und Zuckeralkoholen. Dazu gehören fermentierbare Einfach- und Mehrfachzucker, die sogenannten „FODMAPs“. Dieser Gruppe werden beispielsweise Fruchtzucker und der Milchzucker Lactose zugeordnet. Täglich verzehren wir FODMAP-haltige Lebensmittel – die meisten von uns ohne Beschwerden.

Allerdings leiden etwa sieben Prozent der Bevölkerung unter einer Unverträglichkeit. Essen sie viele Lebensmittel mit FODMAPs, löst dies bei ihnen Blähungen und Verdauungsbeschwerden aus. Gerade Brotwaren gelten aufgrund einer hohen Zahl an FODMAPs als besonders unbekömmlich. Ob das pauschal für jedes Brot zählt, ist aber umstritten. Sollten Menschen mit Unverträglichkeiten also lieber auf Getreideprodukte verzichten?

Weizen zählt zu den drei am meisten angebauten Kulturpflanzen der Welt. Entsprechend weit verbreitet sind Weizenprodukte.

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Vielzahl an Getreidesorten untersucht

Mit dieser Frage haben sich Friedrich Longin von der Universität Hohenheim und seine Kollegen beschäftigt. Untersuchungen mit Weizenbroten legten bereits nahe, dass die Menge der eingesetzten Hefe und die Ruhezeit des Brotteigs den Gehalt an FODMAPs beeinflusst. Der Grund: Die Hefe ernährt sich von den Zuckerbestandteilen im Mehl und wandelt sie dabei in verträglichere Moleküle um. Auch eine Verwendung von Sauerteig kann laut Forschungen den FODMAP-Gehalt reduzieren.

Longin und sein Team haben nun erstmals umfassend überprüft, wie hoch der FODMAP-Gehalt in Broten verschiedener Getreidesorten und bei unterschiedlichen Produktionsweisen ist. Denn während Bäcker den Brotteig bei der traditionellen Herstellung rund einen Tag gehen lassen, verkürzt sich diese Zeit bei der industriellen Produktion in Brotfabriken auf manchmal weniger als eine Stunde.

Das Forscherteam verglich den FODMAP-Gehalt von Backwaren aus 21 verschiedenen Weizensorten unterschiedlicher Anbauorte. Für jedes Getreide testeten sie auch das Vollkornmehl. Die Brote wurden immer nach dem gleichen Rezept jeweils mit einer - im Bäckeralltag typischen - langen Teigführung von 25 Stunden und mit einer wesentlich kürzeren Herstellungsart von 2 Stunden zubereitet.

Ab zwei Stunden gut verträglich

Das Ergebnis: Eine Ruhezeit von zwei Stunden reicht bereits aus, um den Anteil der FODMAPs im Teig um 70 Prozent zu reduzieren. Demgegenüber waren die Werte nach 25 Stunden nur leicht geringer. Im Durchschnitt hatten die Brote der kurzen und auch der langen Teigführung einen nur sehr geringen FODMAP-Gehalt von unter 0,22 Gramm pro 100 Gramm Frischgewicht – also etwa drei Scheiben Brot. Im Vergleich dazu enthält ein einzelner Pfirsich bis zu vier Gramm FODMAPs.

Woran liegt der unerwartet geringe Unterschied der FODMAP-Anteile bei Broten der kurzen und langen Ruhezeit? „Das liegt daran, dass bei einer verlängerten Teigführung die Aktivität der Hefe durch eine reduzierte Hefemenge und eine Kühlung des Teiges reduziert werden muss“, erklärt Longin. Deshalb verwenden Bäcker bei langer Gärzeit vergleichsweise wenig Hefe, die zwar lange Zeit zum Gären hat, aber die Zuckerbestandteile deutlich langsamer abbaut.

Dies zeigt, dass eine lange Teigführung zwar durchaus das Potential hat die FODMAPs erheblich zu reduzieren. Aber aufgrund der unterschiedlichen Hefemengen benötigt es generell keine enorm langen Ruhezeiten, um den FODMAP-Gehalt des Brotes zu senken. Mit 2,5 Prozent Hefe und zwei Stunden Teigführungszeit sind die Reduktionen bereits erheblich - und viele Backwaren in Deutschland erreichen diese Mindestvorgaben, so die Forscher.

Eine Ruhezeit von zwei Stunden reicht bereits aus, um den Anteil der FODMAPs im Teig auf knapp ein Drittel zu reduzieren.

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Schlechtes Fruktan, gutes Fruktan

Eine neue Erkenntnis gewannen die Forscher auch anhand der großen Auswahl an Getreidesorten: So schwankten die FODMAP-Gehalte je nach Getreide bei der kurzen Teigführung um bis zu 0,3 Gramm, bei der langen Teigführung unterschieden sich die Werte je nach Mehl sogar um bis zu 0,5 Gramm. Auffällig war dabei, dass sich der Fruktan-Gehalt aller Brote steigerte, je länger der Teig ruhte. Dieser Zucker hängt bei den meisten Getreidesorten auch eng mit dem Anteil der anderen Zuckerkomponenten zusammen. Es gilt: Je weniger Fruktan im Mehl, desto weniger FODMAPs im Brot.

Daraus folgt, dass Getreidesorten wie zum Beispiel Emmer und Dinkel besser geeignet sind, um FODMAPs in der Ernährung zu reduzieren. Erste Studien deuten aber auch darauf hin, dass der Fruktan-Gehalt bei Weizen durch eine gezielte Pflanzenzüchtung verändert werden kann.

Doch das Fruktan ist nicht grundsätzlich ein Problem – ganz im Gegenteil: „Bei gesunden Personen gilt sogar, dass Teile dieser FODMAPs, nämlich das Fruktan, wichtig für die Darmbakterien sind“, so Longins Kollege Bischoff. Denn die Fruktane gehören zu den für die Darmflora verfügbaren Kohlenhydraten, die bei gesunden Personen für die Verdauung empfohlen werden.

Den Fokus auf dem Geschmack

„Die Lösung liegt wie bei vielem im Detail“,  sagt Longin. Die Experten raten Menschen mit einer Unverträglichkeit gegenüber FODMAPs von Mehlen mit hohem Fruktan-Gehalt und Broten mit sehr kurzer Teigführungszeiten ab. Ein Verzicht auf Brot aufgrund der FODMAPs ist aber meist nicht nötig – zumindest bei den vielen Backwaren, deren Teig über zwei Stunden ruht.

Für die Allgemeinheit gilt jedoch: Weder Weizen noch Brot sind per se ungesund oder schädlich. Dennoch sprechen sich viele Experten trotzdem für Brotwaren aus, deren Teig lange Zeit zum Ruhen hat: Die lange Teigführung hatte nämlich ursprünglich einen ganz anderen Zweck: „Diese Zubereitung bringt besonders viel Geschmack, Aroma und Saftigkeit ins Brot und sorgt für eine längere Frische“, so Heiner Beck, der die Wissenschaftler als Bäcker unterstützte. Und auch die Getreidesorte beeinflusst den Geschmack. „Neben der Herstellungsweise des Brotes wirkt sich auch die Wahl der passenden Weizensorte sehr auf die Brotqualität aus“, betont auch Müller Hermann Gütler. Die Wahl der Backware kann also – unabhängig von der Verträglichkeit - für jeden interessant sein.

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