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Virtual und Augmented Reality als Therapiehelfer

Pokemon und Co haben es vorgemacht: Längst kann selbst unser Handy virtuelle Gestalten und Objekte in das reale Bild unserer Umwelt einblenden. Aber auch das komplette Eintauchen in eine virtuelle Welt mittels VR-Brille ist bei Computerspielen längst keine Ausnahme mehr. Doch diese Technologien können auch in der Medizin und Psychologie wertvolle Hilfe leisten. Inzwischen gibt es sogar schon Handy-Apps, die mit VR und AR gegen Phobien helfen.
NPO, 22.09.2021

Mit der App "Phobys" können Menschen mit Spinnenphobie die Begegnung mit einer virtuellen Spinne trainieren.

Universität Basel, MCN

Die VR-Brille ermöglicht es uns, in virtuelle Welten einzutauchen – dreidimensional und unseren Kopfbewegungen angepasst können wir dort Landschaften und Gebäude erkunden, Aufgaben lösen oder gegen Feinde kämpfen. Die Brille oder ein Aufsatz fürs Handy projizieren ein Bild, das unserem Gehirn vorgaukelt, real zu sein. Wir können so rasante Fahrten, schwindelnde Abgründe oder auch einen Flug durchs All quasi hautnah erleben.

Bei der Augmented Reality geht es dagegen darum, die echte Welt durch virtuelle Objekte oder Figuren zu ergänzen. Sie werden in der von unserer Handykamera auf dem Display gezeigten Ansicht unserer Umgebung eingeblendet. Auch spezielle Headup-Displays nutzen diese erweiterte Realität. Anwendungen hat dies beispielsweise in der Industrie als Hilfe bei der Konstruktion oder Wartung von Maschinen oder auch einfach für ein AR-Spiel.

VR und AR in der Medizin

Doch längst wird diese Technologie nicht nur in der Freizeit oder Industrie eingesetzt – auch die Medizin und Psychologie macht sich die virtuellen Möglichkeiten zunutze. So helfen VR- und AR-Anwendungen Medizinern bereits bei der Planung und Durchführung von Operationen oder erleichtern Reha-Patienten das Training nach einem Schlaganfall.

Auch bei psychischen Traumata wie der posttraumatischen Belastungsstörung, als Abnehmhelfer oder gegen Schmerzen lassen sich VR- und AR-Anwendungen einsetzen. So können beispielsweise die Phantomschmerzen nach Amputation einer Hand oder eines Beins behandelt werden, indem Patienten ihrem Gehirn mittels virtueller Realität vorgaukeln, das fehlende Körperteil sei noch vorhanden. Schon dies kann helfen, die fehlgeleiteten Schmerzsignale abzustellen.

Heilungshelfer fürs Smartphone

Aber es gibt auch virtuelle Helfer, die für alle erschwinglich und überall dabei sein können – auf unserem Smartphone. Gleich mehrere solcher Apps haben Wissenschaftler der Universität Basel entwickelt. Sie wollen mit den Mitteln moderner Technik vor allem Menschen mit Phobien helfen.

Wer unter extremen Ängsten beispielsweise vor Höhen, Spinnen, dem Fliegen oder anderem leidet, kann diese Ängste meist nicht aus eigener Kraft überwinden.

Mithilfe einer von Psychotherapeuten angeleiteten Expositionstherapie lassen sich die Phobien aber so weit mildern, dass sie den Alltag nicht mehr einschränken. Dafür wird der Betroffene dem angstauslösenden Reiz – beispielsweise dem Anblick einer Spinne - nach und nach in immer stärkerem Maße ausgesetzt. Genau an diesem Punkt setzen nun die Handy-Apps der Baseler Forscher an: Sie haben die Expositionstherapie in die virtuelle Welt versetzt und so auch für Laien selbst durchführbar gemacht.

Im virtuellen Training können Nutzerinnen und Nutzer schrittweise in die Höhe steigen und auf jedem Level die Ausprägung ihrer Höhenangst angeben.

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VR-App gegen Höhenangst

Ein Beispiel ist eine App gegen Höhenangst. Sie erlaubt es den Nutzern, sich mittels VR-Aufsatz des Handys nach und nach immer größeren Höhen auszusetzen. Die App fragt dabei auf jedem Level nach den Empfindungen des Betroffenen und entscheidet auf Basis seiner Antworten, ob er bereit für das nächste Ebene ist. Konkret haben Dorothée Bentz von der Universität Basel und ihre Kollegen für diese App zunächst 360-Grad-Panoramen von realen Orten aus unterschiedlichen Höhen mit einer Drohne aufgenommen.

In der VR-App steht die Nutzerin oder der Nutzer auf einer Plattform, die sich zunächst einen Meter über dem Boden befindet. Nach einer Gewöhnungszeit und positiver Rückmeldung wird die Plattform und damit die Sichtperspektive der Nutzer ein Stück weiter angehoben. Auf diese Weise steigt die wahrgenommene Position über dem Boden langsam aber stetig an. Die von Höhenangst Betroffen können sich mithilfe dieser Plattform so nach und nach ihrer Angsthöhe stellen und sich durch die virtuelle Exposition daran gewöhnen. Eine erste Pilotstudie mit 50 Höhenangst-Patienten ergab, dass diese nach einem insgesamt vierstündigen Höhentraining mit dieser VR-App auch in der realen Welt deutlich weniger Angst hatten: Sie konnten einen Turm weiter hinaufsteigen als Testpersonen der Kontrollgruppe, die kein solches Training absolviert hatte.

Fortgeschrittenes Level der VR-App gegen Höhenangst.

Bentz et al., NPJ Digital Medicine 2021

Augmented Reality gegen Spinnenphobie

Auf eine erweiterte Realität setzt dagegen eine weitere Handy-App der Baseler Wissenschaftler. Sie soll bei der Überwindung einer Spinnenphobie helfen. Die Abneigung gegenüber Spinnen ist prinzipiell ganz normal und tief in uns verankert. Denn potenziell giftigen Spinnen auszuweichen war für unsere Vorfahren unter Umständen überlebenswichtig. Doch bei etwa einem Fünftel der Menschen ist diese Angst vor Spinnen ins Extrem gesteigert: Sie erleiden Panikattacken schon beim Anblick einer Spinne und meiden Anlässe und Umgebungen, in denen es Spinnen geben könnte.

Die App "Phobys" nutzt nun das Prinzip der Expositionstherapie, um diese übersteigerte Angst zu lindern. Dafür projiziert sie ein realistisches 3D-Spinnenmodell in die reale, von der Handykamera aufgenommene Umwelt. Wie bei der gängigen Therapie werden die Entfernung zur Spinne und die Aufgaben, die die Nutzer erfüllen muss, nach und nach schwieriger.

„Für Menschen, die Angst vor Spinnen haben, ist es leichter, sich einer virtuellen Spinne auszusetzen als einer echten“, erklärt Anja Zimmer von der Universität Basel. Tatsächlich erwies sich auch diese App in einer ersten Studie als hilfreich und wirksam. Betroffene mit leichten Formen der Spinnenangst können die App in Eigenregie benutzen und so ihre Phonie lindern. Bei Menschen mit einer ausgeprägten Spinnenangst empfehlen Zimmer und ihr Team allerdings die Nutzung der App nur in Begleitung einer Fachperson.

Diese Beispiele sind nur einige aus einer Reihe von neuen Apps und Programmen, die inzwischen die VR -und AR-Technologie für die Bekämpfung von Ängsten und anderen psychischen oder auch psychosomatischen Leiden einsetzen.

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