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Was ist Kreativität und wie misst man sie?

Ob Kunst, improvisierte Lösungen für Alltagsprobleme oder das Erfinden einer neuen Technologie: Kreativität hat viele Facetten und kann sich auf ganz unterschiedliche Weise äußern. Allen Formen der Kreativität gemeinsam ist die Fähigkeit, neue, innovative Wege zu gehen. Sie ist es wahrscheinlich auch, die unsere Vorfahren voranbrachte und uns Menschen zu dem machte, was wir heute sind. Aber was macht uns kreativ? Und wie kann man Kreativität messen?
NPO, 06.08.2021

Früher hielt man Kreativität für eine Folge göttlicher Eingebung, heute steht eindeutig fest, dass sie in unserem Gehirn ensteht.

Anilakkus / GettyImages

Um kreativ zu sein, muss man kein Genie sein: Die meisten von uns zeigen schon im ganz normalen Alltag Verhaltensweisen und Fähigkeiten, die auf die Kreativität zurückgehen: Wir improvisieren beim Heimwerken oder Kochen, denken uns im Karneval ungewöhnliche Kostüme aus oder finden auch mal eine ausgefallene Lösung für ein Alltagsproblem.

Einzigartig menschlich

Diese Fähigkeit, gedanklich neue Wege zu gehen und schöpferisch-innovativ zu sein, ist tief in unserem Wesen verankert. Schon unsere frühen Vorfahren könnten dieser Fähigkeit ihr Entwicklung hin zum Menschen verdankt haben. Denn keine andere Tierart zeigt ein so großes Maß an Kreativität.

Tatsächlich zeigen Untersuchungen: Wir Menschen besitzen drei Gehirn-Schaltkreise, die wesentliche Aspekte unserer Kreativität und Innovationsfähigkeit beeinflussen. Das erste ist das Netzwerk der emotionalen Kreativität, das vor allem das Lernen und das Bewältigen von Herausforderungen im sozialen Bereich umfasst. Das zweite Netzwerk dient der Selbstkontrolle und steuert vor allem das bewusste und zielstrebige Planen und Problemlösen. Das dritte Netzwerk umfasst Aspekte der Selbsterkenntnis und des Selbstbewusstseins.

Während auch Menschenaffen einfache Formen der Kreativität kennen, sind diese Kreativ-Netzwerke bei ihnen nur zum Teil ausgebildet. Das belegen auch vergleichende Genstudien: Von den 972 Gene, die diese drei Netzwerke steuern, besitzen Schimpansen nur gut 500, der Neandertaler, unser ausgestorbener "Vetter", hatte rund 650 davon. Aber nur wir Menschen haben das volle Spektrum dieser Gene, die die emotionale und kognitive Kreativität ermöglichen.

Zwei Spielarten der Kreativität

Wissenschaftler unterschieden zwei Grundmerkmale des kreativen Denkens. Das erste ist die Fähigkeit zu konvergenten Assoziationen. Sie zeichnet aus, dass wir schnell Zusammenhänge zwischen Dingen, Prozessen oder auch abstrakten Konzepten erkennen. Was beispielsweise hat eine Giraffe mit einem Schal gemeinsam? Auf den ersten Blick nichts. Aber bei näherem Nachdenken könnte man darauf kommen, dass für beide der Hals eine besondere Rolle spielt: Die Giraffe hat einen besonders langen Hals, der Schal soll unseren Hals vor Kälte schützen.

Andererseits umfasst die Kreativität auch das Vermögen, divergent zu denken – abseits gängiger Lösungswege. Dies ermöglicht es uns, beispielsweise neue Verwendungsmöglichkeiten für bestimmte Gegenstände zu finden – wir improvisieren. In klassischen Tests dieses Denkens „Out of the Box“ ist oft genau dieser Einfallsreichtum gefragt. In einem davon müssen sich Testpersonen beispielsweise alternative Nutzungsmöglichkeiten für Alltagsobjekte wie eine Büroklammer oder einen Stuhl ausdenken – je mehr ihnen einfällt, desto besser.

Beispiele für Wortlisten mit geringem (links) und großem semantischem Abstand. Je unähnlicher die Wörter, desto höher der Index der divergenten Kreativität (DAT-Score).

© Olson et al. / PNAS

Mit zehn Wörtern die eigene Kreativität testen

Wollen wir wissen, wie gut wie gut wir im divergenten Denken sind, könne wir aber auch einen noch viel simpleren und schnelleren Test durchführen. Ihn haben Forscher um Jay Olson von der Harvard University erst vor kurzem entwickelt und geprüft. Der Divergent Association Task (DAT) dauert weniger als zwei Minuten und umfasst nur eine einzige Aufgabe: Schreiben Sie zehn Wörter auf, die inhaltlich möglichst wenig miteinander zu tun haben.

„Hund“ und „Katze“ wären beispielsweise wenig geeignet, weil beides Haustiere und vierbeinige Säuger sind. Besser wäre da schon die Nennung von „Hund“ und „Fingerhut“, die semantisch weiter voneinander entfernt sind. Die Schwierigkeit besteht darin, zehn Wörter zu finden, die jeweils mit keinem der restlichen eine inhaltliche Nähe aufweisen. Schon diese überschaubare Aufgabe fordert unsere Kreativität heraus. Denn um sie so gut wie möglich zu lösen, muss unser Gehirn nach jedem Wort quasi umdenken und in eine völlig andere "Schublade" greifen.

In ihrer Studie konnten Olson und sein Team belegen, dass das Ergebnis dieses Tests ähnlich gut über die divergente Kreativität Auskunft gibt wie klassische weit langwierigere Standardtests: Je größer die semantischen Abstände zwischen den im DAT-Test genannten Wörtern, desto besser schnitten die Testpersonen auch in den anderen Tests des divergenten Denkens und der Kreativität ab. Und weil Fremd- und Fachwörter in diesem Test keine Vorteile bringen, spielt auch der Bildungshintergrund der Testpersonen kaum eine Rolle.

Wer den Worttest selbst ausprobieren möchte, kann dies auf der Website des Forschungsteams tun.

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