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Wenn es Denkmäler hagelt ...

Denkmal für die von den Nazis ermordeten Homosexuellen, Denkmal für die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma, Bundeswehr-Ehrenmal, Denkmal für die Deutsche Einheit... In jüngster Zeit hagelt es in Deutschland Nationaldenkmäler. Warum eigentlich? Wir haben hierzu mitten im Denkmal für die ermordeten Juden Europas den Historiker Dr. Jan-Holger Kirsch vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam befragt.

von Ariane Greiner, Berlin

wissen.de: Denkmäler sind Herrschaftszeichen. Sind die neuen Denkmäler der Bundesrepublik Deutschland Kennzeichen eines neuen Selbstverständnisses, eines neuen Nationalbewusstseins?

Kirsch: Ja, es ist richtig, dass Denkmäler immer Herrschaftsmarkierungen sind. Sie zeigen an, wer sich durchsetzen kann, welches Geschichtsbild gerade gültig ist. Es ist allerdings ein Unterschied, ob Denkmäler in einer Demokratie errichtet werden oder in einem nicht-demokratischen Staat. Wenn Denkmäler einen demokratischen Staat repräsentieren sollen, dann muss auch die Entstehung und Planung demokratischen Kriterien folgen. Das heißt: Man kann nicht in einer Demokratie ein autoritäres Geschichtsbild vertreten und durchsetzen und gleichzeitig sagen, dass das ein demokratisches Denkmal sein soll. Das würde nicht zusammenpassen.

wissen.de: Bei Demontagen von Denkmälern geht es ja oft weniger demokratisch zu. Wenn man sich zum Beispiel erinnert, wie schnell, beinahe panisch nach der deutschen Einheit Lenin-Denkmäler abgebaut wurden ...

Kirsch: Das wurde damit gerechtfertigt, dass die DDR ein undemokratisches Regime mit verordneten Geschichtsbildern gewesen war und dass speziell Lenin nicht mehr in den öffentlichen Raum gehöre. Aber letztlich kann man ähnliches bei jeder Systemtransformation beobachten: Wenn ein Staat aufhört zu existieren, dann wird die symbolische Ordnung umgekehrt. Die Zeichen, die es bisher im öffentlichen Raum gab, werden in irgendeiner Weise abgeräumt oder werden, wenn sie nicht abgeräumt werden, zumindest unverständlich. Vieles, was aus der DDR-Zeit noch steht oder was es auch aus der NS-Zeit noch gibt, kann man heute gar nicht mehr so dekodieren wie zur Entstehungszeit, weil der symbolische Verwendungszusammenhang und die Geschichtskultur, die zur Entstehung geführt haben, nicht mehr existieren.

wissen.de: Die Zeit als natürliches Abrissunternehmen ...

Kirsch: Wenn man so will, ja. Und zu Ihrer Frage nach einem neuen Nationalbewusstsein: Der Entstehungsgrund dieser Denkmäler ist in der Tat, dass sich Deutschland als Nation neu konstituiert hat. Nach der deutschen Einheit und auch mit dem Hauptstadtumzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin ist überhaupt erst die Notwendigkeit entstanden, die Hauptstadt als solche mit Denkmälern zu markieren. Vorher, in Bonn, gab es ja nie eine Form von Nationaldenkmal.

wissen.de: Das hätte ja auch zu Bonn irgendwie nicht gepasst.

Kirsch: Erstens hätte es zu Bonn nicht gepasst, und zweitens hatte man immer die Situation der deutschen Teilung vor Augen. Eine dezidiert nationale Selbstdarstellung konnte und sollte es erst dann geben, wenn die Teilung überwunden sei – so unrealistisch das bis in den Sommer 1989 hinein auch erschien. Insofern hat die alte Bonner Republik immer eine deutliche symbolische Zurückhaltung gepflegt. Diese hatte schließlich noch einen weiteren Grund: Sowohl der NS-Staat als auch die DDR praktizierten auf ihre je eigene Weise einen ausgeprägten Denkmalskult, von dem sich die Bundesrepublik ebenso abzugrenzen versuchte wie von nationalem Pathos überhaupt.

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