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Wer war eigentlich – Sankt Martin?

In diesen Tagen ziehen sie wieder durch die Straßen: die Laternenumzüge zur Feier des Martinstages. Sie sollen an Sankt Martin erinnern, einen der bekanntesten Heiligen der katholischen Kirche und ein Symbol für uneigennützige Hilfe. Denn der Sage nach teilte Martin seinen Mantel mit einem Bettler, soll aber auch Wunder gewirkt haben. Wer aber war der Mensch hinter diesem Mythos?
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Zu Beginn seines Lebens deutet nichts darauf hin, dass der junge Martinus einmal eine ganz besondere Laufbahn einschlagen wird. Er wird im Jahr 316  als Sohn eines römischen Militärtribuns in Pannonien, dem heutigen Ungarn, geboren, wächst aber später in Norditalien auf. Da seine Eltern keine Christen sind, kommt Martinus wahrscheinlich erst als Teenager mit dem frühen Christentum in Berührung – und ist stark beeindruckt.

25 Jahre Dienst an der Waffe

Doch das hat zunächst wenig Folgen, denn Martinus muss zum Militärdienst. Als Sohn eines Offiziers ist er verpflichtet, 25 Jahre lang als Soldat zu dienen. Mit 15 beginnt er daher seinen Dienst, zunächst in der Leibwache von Kaiser Konstantin II., dann bei Einsätzen der römischen Armee gegen Alemannen und Germanen unter Kaiser Julian.  Martinus tut seinen Dienst, und das vermutlich nicht schlecht, da er später sogar einer Art Eliteeinheit zugeteilt wird.

Sulpicius Severus, ein Weggefährte des Martinus, schildert ihn in dieser Zeit – nicht ohne einige Verklärung so: " Seine Güte gegen die Kameraden war groß, seine Liebe erstaunenswert, seine Geduld und Demut überstiegen alles Maß. Die Genügsamkeit braucht an ihm nicht gerühmt zu werden; sie war ihm in dem Maße eigen, dass man ihn schon damals eher für einen Mönch denn für einen Soldaten hätte halten können." Martinus soll schon damals Armen geholfen haben und den größten Teil seines Solds an Bedürftige verschenkt. Beweggrund war sein christlicher Glaube. Er war zwar noch nicht getauft, beschäftigte sich aber intensiv mit dem Christentum – und folgte offenbar vor allem dem Gebot der Nächstenliebe relativ konsequent.

Die Sache mit dem Bettler
Gemeinfrei

Die Sache mit dem Bettler

Im Jahr 334 dann ereignet sich Severus' Überlieferung nach die Begebenheit, die bis heute in den Martinszügen nachgespielt wird: Der 18-jährige Martinus ist mit der römischen Armee in der französischen Stadt Amiens stationiert. Wie üblich im Winter, trägt er über seinem Panzer einen Mantel, der gegen die Kälte teilweise mit Schaffell gefüttert ist. Entgegen den meisten Darstellungen war dieser normale römische Soldatenmantel weiß und zweiteilig, einen roten Mantel trugen damals nur die Offiziere – und zu diesen gehörte Martinus damals noch nicht.

Vor dem Stadttor sitzt ein Bettler im Schnee und fleht um Hilfe. Martinus hält an. "Er trug nichts als den Soldatenmantel, den er umgeworfen, alles Übrige hatte er ja für ähnliche Zwecke verwendet. Er zog also das Schwert, mit dem er umgürtet war, schnitt den Mantel mitten durch und gab die eine Hälfte dem Armen, die andere legte er sich selbst wieder um", beschriebt Severus die Ereignisse. In der Nacht darauf soll Martinus im Traum  Christus erschienen sein, der ihn für seine Tat lobt. Dieses Erlebnis soll den Anstoß dafür gegeben haben, dass sich Martinus in Amiens taufen lässt.

Ob es diese Begegnung mit dem Bettler jemals gegeben hat, ist unklar. Genauso wahrscheinlich ist es, dass Severus sie sich im Nachhinein ausdachte, um die Beweggründe für die darauf folgende Taufe auszuschmücken. Über Martinus' Hilfsbereitschaft, Mildtätigkeit und Bescheidenheit gibt es allerdings auch andere Berichte – und sein weiterer Werdegang macht wahrscheinlich, dass diese Charakterisierung stimmt.

Der Einsiedler und die Gänse

So wird Martinus nach Ende seines Militärdienstes im Jahr 359 zum Mönch und lebt ab 360 zurückgezogen und asketisch in einer Einsiedelei in der Nähe von Poitiers. Sein Ruf als "heiliger Mann" verbreitet sich nach und nach in der gesamten Region. Im Jahr 371 stirbt der Bischof im nicht weit entfernten Tours und die dortige Gemeinde trägt Martinus diesen Posten an. Dieser soll sich zuerst geweigert haben, er zieht das Leben als Einsiedler vor.

Die Überlieferung erzählt, dass sich Martinus deshalb sogar in einem Gänsestall versteckt. Er wird vom Schnattern der Gänse verraten und willigt solcherart entdeckt, dann doch ein, das Bischofsamt anzunehmen. Diese Begebenheit führt später zum Brauch der Martinsgans: Quasi zur Strafe für ihren Verrat isst man traditionellerweise am Martinstag Gänsebraten. 

Machtkampf in der frühen Kirche

Doch auch die damaligen Kirchenoberen, darunter die anderen Bischöfe in Gallien, sind alles andere als begeistert: "Sie sagten, Martin sei eine verächtliche Persönlichkeit und der bischöflichen Würde nicht wert. Sie nahmen an seinen ärmlichen Kleidern und seinem ungepflegten Haar Anstoß", beschreibt Sulpicius Severus.

In Wirklichkeit allerdings dürfte der Stein des Anstoßes eher Martinus' Herkunft gewesen sein. Denn sein Vater war zwar Militärtribun, gehörte aber nicht zur römischen Aristokratie. Und während in der Zeit der Urchristen die Herkunft eines Priesters oder Bischofs völlig unerheblich war und die Gemeindemitglieder ihn wählten, beginnt sich dies im vierten Jahrhundert allmählich zu ändern: Immer stärker spielen nun Besitz, Macht und Herkunft auch in der frühen Kirche eine Rolle. Der Adel wird ab dieser Zeit auch in der Kirche tonangebend und teilt die lukrativen Posten unter sich auf – die Gemeinden haben von nun an kaum mehr etwas zu sagen.

Bischof Martin von Tours
gemeinfrei

Ein Mönch als Bischof

Aber die Bürger von Tours setzen sich durch und Martinus wird 372 zu Bischof Martin von Tours. Damit aber ändert er seine mönchisch-bescheidene Lebensweise kaum, ganz im Gegenteil: Schon bei seiner Ernennung soll er sich auf einen einfachen Schemel gesetzt haben statt auf den prunkvollen Bischofsthron.  Und statt in einem Bischofspalast zu residieren, lebt er in dem von ihm gegründeten Eremitenkloster Marmoutier, einige Kilometer von Tours entfernt. "Keiner besaß dort Eigentum, alles war Gemeingut. Keiner durfte etwas kaufen oder verkaufen. Handarbeit wurde nicht betrieben, ausgenommen das Bücherschreiben", beschreibt Severus.

Martin von Tours setzt sich aber auch als Bischof weiter für Gefangene, Arme und Unterdrückte ein – und gerät damit durchaus auch mit den weltlichen Machthabern aneinander. Er missioniert zwar auch die Landbevölkerung der Region – tut dies aber eher durch tätiges Vorbild als durch Druck oder Zwang. Am 8. November 397 stirbt Martinus hochbetagt mit 81 Jahren und wird am 11. November mit einem Lichterzug zu Grabe getragen – von diesem stammt die Tradition der Laternenumzüge am Martinstag. Bis heute ist "Sankt Martin" einer der beliebtesten und bekanntesten Heiligen der Kirche. Er gilt als Schutzheiliger der Reisenden und der Armen, Bettler und sonstwie Unterdrückten.

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