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Wie ein Fisch im Wasser?

„Juhu, ich hab das Seepferdchen, jetzt kann ich Schwimmen!“ jubelt so manches Kind, wenn es sein Frühschwimmerabzeichen nach der erfolgreichen Prüfung stolz in den Händen hält. Doch das orangefarbene Meerestier auf weißem Grund täuscht Eltern und Kind über die tatsächliche Schwimmfähigkeit hinweg.
von wissen.de-Autorin Sandra Hermes, September 2013

Früh übt sich, was eine echte Wasserratte werden will
shutterstock.com/Ingrid Balabanova

DLRG und Sportwissenschaftler sind sich einig, dass Kinder nur als sichere Schwimmer gelten können, wenn sie das erste Jugendschwimmabzeichen erworben haben. Dieser Meinung ist auch Schwimmmeisterin Petra Frischmuth: „Ein Kind mit Seepferdchen kann nicht schwimmen, es kann sich über Wasser halten.“ Im Freizeitbad Reinbek bei Hamburg hat sie in 30 Jahren Berufsleben geschätzt über 3.000 Kindern das Schwimmen beigebracht. Sie beobachtet in den vergangenen Jahren eine Entwicklung, die sich auch in den jüngsten Umfragen des DLRG und des Meinungsforschungsinstituts forsa widerspiegeln. Die Hälfte der Kinder kann am Ende der Grundschulzeit nicht sicher schwimmen. Nur 50 Prozent, so ergab die Studie 2010, können neben dem Seepferdchen auch ein Jugendschwimmabzeichen in Bronze, Silber oder gar Gold vorweisen. Wer trägt also die Verantwortung?

 

Alarmierende Zahlen

Schicken die Eltern ihre Kinder heute nicht mehr in einen Schwimmkurs oder bringen sie ihren Kindern das Schwimmen nicht bei, weil sie es selbst nicht können? Haben die Schulen Schuld? „Die Eltern haben heute einfach weniger Zeit“, so Frischmuth. „Das Schwimmenlernen ist nicht mehr so wichtig“. Aber auch die Schulen und die Situation der öffentlichen Bäder sieht sie in der Verantwortung. Und tatsächlich sind die Zahlen alarmierend. Laut DLRG-Präsident Klaus Wilkens sind in den vergangenen fünf Jahren 285 Bäder in Deutschland geschlossen worden. 452 sind 2013 akut von einer Schließung bedroht und weiteren 737 Schwimmbädern könnte ein ähnliches Schicksal bevorstehen. Da beantwortet sich die Frage nach der Verantwortung der Schulen fast von selbst. Denn wo sollen diese ihren Schwimmunterricht anbieten?

 

Abwarten oder Baden gehen?

Eltern, deren Kinder schon heute die verfehlte Bäderpolitik der Kommunen ausbaden müssen, sehen sich zwangsläufig wieder selbst in der Pflicht. Auf der Suche nach Schwimmkursen bei Vereinen, dem DLRG oder privaten Schwimmschulen, werden sie aber Geduld mitbringen müssen. Denn auch hier erklären sich volle Kurse und Wartelisten mit immer geringer werdenden Kapazitäten. Seinem Kind früh selbst das Schwimmen beizubringen, ist schon aus Sicherheitsgründen immer noch besser, als sich auf ein eventuelles Schulschwimmen zu verlassen. Doch im Grunde sei davon abzuraten, so Harald Rehn, Ausbildungsleiter beim DLRG-Bundesverband. Einmal etablierte Fehler in der Schwimmtechnik seien nur schwer wieder zu korrigieren. Er rät den Eltern kleiner Kinder, vor einem professionellen Schwimmkurs eine Art private Wassergewöhnung zu machen. Dazu gehöre zum Beispiel, dass Kinder in der Badewanne auch mal spritzen und tauchen dürfen und sie so einen natürlichen, angstfreien Umgang mit Wasser lernen.

 

Was Hänschen nicht lernt ...

Dass Kinder nach einer spielerischen Wassergewöhnung schon früh Schwimmen lernen sollten, findet auch Petra Frischmuth. Ihre Erfahrung sei, so die Schwimmmeisterin, dass Kinder mit vier bis sieben Jahren intuitiv schwimmen lernen. Sie denken über ihre Bewegungen nicht nach und haben volles Vertrauen in ihren Lehrer. Ab acht werde es deutlich schwieriger. Wem in seiner Kindheit keiner das Schwimmen beigebracht hat, lernt es auch im Erwachsenenalter nur noch selten. In der forsa-Umfrage von 2010 gaben lediglich vier Prozent der Erwachsenen an, dass sie mit über 18 Jahren Schwimmen gelernt haben. 20 Prozent der Befragten sind Nichtschwimmer geblieben.

 

Mogelpackung Seepferdchen

Zahlen, die sich bei den aktuellen Entwicklungen langfristig vermutlich verschlechtern werden. Und das hat nicht nur Auswirkungen auf eventuelle lebensgefährliche Situationen, in die die künftigen unsicheren Schwimmer und Nichtschwimmer geraten können. „Schwimmenkönnen ist nicht nur Ertrinkungsschutz“, gibt Harald Rehn zu bedenken. Schwimmenkönnen sei auch Voraussetzung für die Ausübung sämtlicher Wassersportarten. Schwimmenkönnen sei ein Muss für eine berufliche Karriere bei Polizei, Feuer- oder Bundeswehr. Insofern hat die Schwimmfähigkeit einer Bevölkerung auch eine gesellschaftliche und kulturelle Dimension.

Um die Schwimmfähigkeit der Deutschen zu verbessern, sind alle gefragt: Die Politik müsste in Sachen Bäderfinanzierung ihre Prioritäten wieder neu setzen, die Eltern dürften die Verantwortung nicht alleine auf die Schulen schieben und Vereine, DLRG und private Schwimmschulen haben in Sachen PR noch etwas Nachholbedarf. An ihnen ist es, mit dem Irrtum aufzuräumen, dass das süße Seepferdchen einen guten Schwimmer auszeichnet.

 

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