wissen.de Artikel

Wohnen in der Großstadt: Zu teuer, zu wenige Wohnungen, zu wenig Platz

Ob München, Hamburg oder Berlin – viele Menschen zieht es in die Großstädte Deutschlands. Das Problem: Wachsende Einwohnerzahlen und knappe Wohnungen lassen die Mieten immer mehr steigen – und Forderungen nach Mietendeckeln und günstigerem Wohnraum laut werden. Wie hoch die Belastung durch zu hohe Mieten tatsächlich ist und wie sich dies je nach Ort unterscheidet, hat ein Forscherteam untersucht.
ABO, 16.06.2021

Wachsende Einwohnerzahlen und knappe Wohnungen lassen die Mieten in den meisten deutschen Städten weiter teigen

GettyIamges, Andrii Yalanskyi

Unter Experten gilt eine Mietbelastungsquote oberhalb von 30 Prozent des Haushaltseinkommens als problematisch - insbesondere bei Haushalten mit niedrigerem Einkommen wie etwa Studenten. Denn müssen Mieter mehr als ein Drittel ihres jährlichen Einkommens in die Miete stecken, bleibt nur noch relativ wenig Geld zur sonstigen Lebensführung, wie für Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs, aber auch Veranstaltungen, Freizeitbeschäftigungen oder etwa den Urlaub.

Einblick in die Mietsituation deutscher Großstädte

Wie groß ist die Belastungsquote in deutschen Großstädten ist, haben Forscher um Andrej Holm von der Humboldt-Universität zu Berlin untersucht. Dafür werteten sie den Mikrozensus 2018 aus, die größte amtliche Haushaltsbefragung in Deutschland, die alle vier Jahre auch Daten zu Wohnverhältnissen für jede der 77 deutschen Großstädte liefert. Die aktuellen Daten verglichen die Experten zudem mit den Ergebnissen des Mikrozensus für die Jahre 2006, 2010 und 2014.

Es zeigte sich: Zwar liegt die mittlere Mietbelastungsquote für alle Mieterhaushalte in Großstädten bei etwas weniger als 30 Prozent für die Bruttowarmmiete und damit knapp unter der Überlastungsgrenze. Dennoch trägt fast die Hälfte der Haushalte in deutschen Großstädten eine problematisch hohe Belastung.

So stellten die Forscher fest, dass rund 49 Prozent der über acht Millionen Haushalte, die in Deutschlands Großstädten zur Miete wohnen, mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens ausgeben, um ihre Miete zu bezahlen. Das entspricht mehr als vier Millionen Haushalten, in denen etwa 6,5 Millionen Menschen leben. Gut ein Viertel der Haushalte in den Großstädten müssen sogar mindestens 40 Prozent ihres Einkommens für Warmmiete und Nebenkosten aufwenden. Und knapp eine Million Haushalte benötigt dafür mehr als die Hälfte des monatlichen Einkommens.

Anstieg auch in ärmeren Städten

Im Vergleich zu den Vorjahren zeigt sich damit zwar ein leichter Rückgang der mittleren Belastungsquote und auch beim Anteil an Haushalten mit über 30-, 40- und über 50-prozentiger Belastungsquote. Jedoch nur bundesweit: Regional unterschieden sich die Entwicklungen stark. In 17 Großstädten ist die mittlere Mietbelastung zwischen 2006 und 2018 deutlich gestiegen.

Darunter zählten die Experten nicht nur Städte wie Bremerhaven, Darmstadt und Düsseldorf, die bereits 2006 überdurchschnittlich hohe Mietbelastungen aufwiesen, sondern auch Städte, die auf den ersten Blick nicht zu den Top-Standorten gehören wie Duisburg, Göttingen und Herne. Auffällig war dabei auch, dass der Anstieg unabhängig davon war, ob eine Stadt als eher wohlhabend gilt, wie Düsseldorf, oder vergleichsweise wirtschaftlich schwach ist, wie Bremerhaven. Und selbst in schrumpfenden Großstädten konnten die Forscher nicht feststellen, dass sich die Wohnsituation entspannt.

Wenn gebaut wird, dann oft für die mittleren und oberen Einkommensschichten.

GettyImages, acio

Arme Haushalte besonders betroffen

Und nicht nur regional unterscheiden sich die Mietbelastungen, auch je nach Einkommensklasse der Bewohner. Während in den letzten Jahren bei Großstadtbewohnern zwar im Mittel die Einkommen stärker stiegen als die Wohnkosten, entspannte sich insbesondere für sehr arme Haushalte die Situation kaum - für sie ist die Miete weiterhin ein großes finanzielles Problem.

Obwohl Menschen mit geringem Einkommen im Schnitt meist ohnehin in älteren und schlechter ausgestatteten Wohnungen leben, müssen sie einen großen Anteil ihres Geldes für die Bruttowarmmiete aufwenden: In Haushalten an der Armutsgrenze, die maximal 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Großstädter haben, beträgt die Mietbelastung im Mittel rund 46 Prozent. Dagegen müssen Mieterhaushalte mit einem hohen Einkommen von mehr als 140 Prozent des Medians lediglich knapp 20 Prozent für die Warmmiete ausgeben.

Diese Polarisierung der Wohnsituation zwischen armen und reicheren Haushalten verstärkt sich laut der Experten seit Jahren. Ein Grund dafür ist die unterschiedliche Entwicklung der Löhne in den verschiedenen Einkommensschichten: Bei Haushalten an der Armutsgrenze stiegen die monatlichen Nettoeinkommen nach Abzug von Wohnkostensteigerungen zwischen 2006 und 2018 am wenigsten – im Mittel nur um 90 Euro. Bei Haushalten im mittlerem Bereich gab es Zuwächse von bis zu 200 Euro, in den höheren Einkommensgruppen stiegen die Einkommen hingegen im Mittel sogar um rund 600 Euro.

Zu kleine und zu wenige Stadtwohnungen

Nicht nur die Mietpreisbelastung ist für viele Großstädter enorm: Viele Menschen leben zudem in zu kleinen Wohnungen. Laut Mikrozensus 2018 haben mehr als 7,5 Millionen Menschen Wohnungen, die für sie zu teuer oder zu klein sind. Die Quote der davon betroffenen Mieterhaushalte ist zwar in den letzten Jahren gesunken, nach wie vor sind aber immer noch mehr als die Hälfte aller Großstadt-Haushalte betroffen.

Und selbst wenn der vorhandene Wohnraumes theoretisch optimal verteilt wäre, würden rund 18 Prozent der Haushalte in ihrer Stadt keine in der Größe passende Bleibe finden, ohne mehr als 30 Prozent ihres Einkommens dafür ausgeben zu müssen. Um das auszugleichen, hätte es schon im Jahr 2018 deutlich mehr Wohnungen in den deutschen Großstädten geben müssen. „Bundesweit umfasste das strukturelle Versorgungsdefizit über 1,5 Millionen Wohnungen, die selbst bei angenommener bester Verteilung für eine leistbare und angemessene Wohnversorgung in den Großstädten fehlten“, folgert Holm.

Diese Versorgungsdefizite sind in den Millionenstädten Berlin, Hamburg, München und Köln besonders hoch. Dort fehlen selbst bei theoretischer Optimalverteilung jeweils zwischen knapp 65.000 und 220.000 für die Bevölkerung bezahlbare Wohnungen. Und selbst in kleineren Großstädten wie beispielsweise Moers, Koblenz oder Ingolstadt überschreitet der Bedarf an bezahlbaren Wohnungen das Angebot jeweils um einige tausend.

Nicht nur die Mietpreisbelastung ist für viele Großstädter enorm, viele leben zudem in zu kleinen Wohnungen.

GettyImages, rilueda

Mehrgleisiger Lösungsansatz nötig

Die neuen Erkenntnisse zeigen, wie komplex die Wohnsituation in deutschen Großstädten ist und wie viele Aspekte beachtet werden müssen, um diese Lage wieder zu entspannen. „Neben den Mietpreisentwicklungen hat insbesondere die ungleiche Verteilung der Einkommen einen wesentlichen Einfluss auf die Lage der sozialen Wohnversorgung“, betonen Holm und sein Team.

Daher empfehlen die Experten, dass beispielsweise mehr Haushalte mit geringen Einkommen einen festgesetzten Anteil an Wohnungen belegen müssen. Zudem raten sie dazu, mehr soziale und gemeinnützige Wohnungen mit möglichst dauerhaften Mietbindungen zu bauen und insgesamt den Niedriglohnsektors aufzulösen, damit mehr Menschen höheres Einkommen haben.

Quelle: Hans-Böckler-Stiftung

Mehr Artikel zu diesem Thema

Weitere Lexikon Artikel

Weitere Artikel aus dem Großes Wörterbuch der deutschen Sprache

Weitere Artikel aus dem Wahrig Synonymwörterbuch

Weitere Artikel auf wissenschaft.de

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Vornamenlexikon