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Computerspiele als digitale Medizin?
Nach und nach legen Computerspiele den negativen Ruf ab, lediglich dick, dumm und süchtig zu machen. Mittlerweile ist unter anderem klar, dass regelmäßiges Spielen die Hand-Augen-Koordination, Geschicklichkeit und Kreativität sowie Teamfähigkeit und Sprachkompetenz verbessert. Auch Intelligenz, räumliche Orientierung und Gedächtnisbildung profitieren vom Gaming ebenso wie strategisches Denken und Feinmotorik. Doch das Potenzial von Videospielen ist damit noch lange nicht ausgeschöpft.
Gaming in der Schmerztherapie
Viele von uns haben wahrscheinlich schon im Kindesalter einen sehr effektiven Trick gegen Schmerzen gelernt: Ablenkung. Wer damals den Fernseher angestellt oder ein Buch aufgeschlagen hat, konnte das Brennen des aufgeschürften Knies meist deutlich besser wegstecken. Als besonders effektive Ablenkung haben sich wissenschaftlich betrachtet Videospiele erwiesen. So hat eine Studie zum Beispiel festgestellt, dass diejenigen Versuchsteilnehmer, die spielten, um sich abzulenken, deutlich weniger Schmerzen empfanden als diejenigen, die lediglich fernsahen.
Das lässt sich damit erklären, dass Gaming eine aktive Form der Ablenkung ist, der wir deutlich mehr Aufmerksamkeit widmen als dem passiven Fernsehen. Und: „Je mehr Aufmerksamkeit der Ablenkung gewidmet wird, desto weniger Zeit bleibt für die Schmerzwahrnehmung, was zu einer stärkeren Schmerzreduzierung führen könnte“, erklärt ein Forschungsteam um Mona Sajeev von der School of Women's and Children's Health in Sydney. Das macht Videospiele zur idealen Dosis digitalen Aspirins.
Weniger Schmerzen beim Zahnarzt oder der Spritze
In der Praxis tritt dieser schmerzlindernde Effekt von Computerspielen zum Beispiel bei Kindern ein, die medizinische Eingriffe überstehen müssen, etwa eine Impfung, eine Blutabnahme oder einen Besuch beim Zahnarzt. Laut einer Studie mit Kindern im Alter zwischen drei und sechs Jahren empfanden fast 80 Prozent derjenigen, die während einer Blutabnahme spielen durften, dabei nur geringe Schmerzen. Bei jenen Kindern, die sich nicht mit Videospielen ablenken durften, gaben jedoch sieben von zehn an, starke Schmerzen gespürt zu haben.
Auch bei Schmerzen, die deutlich über den Piecks einer Nadel hinausgehen, hat sich Gaming als äußerst nützlich erwiesen. Ein Beispiel dafür ist eine Studie mit krebskranken Kindern, die an einer Mukositis litten. Diese Entzündung der Schleimhäute ist eine häufige Nebenwirkung der Chemotherapie und ruft teilweise so starke Schmerzen hervor, dass die Einnahme von Morphium unumgänglich ist.
Wenn die Kinder mit Mukositis ein paar Stunden täglich ein selbst ausgesuchtes Spiel spielten, verringerte das ihre Schmerzen um fast ein Drittel. Dadurch brauchten sie auch rund ein Fünftel weniger Opioide pro Tag, was den Kindern einiges an Lebensqualität zurückbrachte. Denn zu den Nebenwirkungen dieser starkwirksamen Schmerzmittel zählen unter anderem Übelkeit, Erbrechen und Juckreiz.
Virtuelle Winterlandschaft lindert Verbrennungsschmerz
Es gibt sogar Computerspiele, die extra zu dem Zweck entwickelt wurden, Schmerzen zu lindern. Dazu gehört „SnowWorld“, das an der University of Washington in Seattle entstanden ist. SnowWorld ist für Patienten mit starken Verbrennungen gedacht und soll ihnen den Verbandwechsel erleichtern, den Moment der stärksten Schmerzen. Der Spieler setzt dabei eine Virtual Reality-Brille auf und findet sich in einer eisigen Winterlandschaft wieder. Dort muss er mit Schneebällen auf Schneemänner, Pinguine und Mammuts werfen.
„Das Spiel hat zwei positive Effekte: Es vermittelt das Gefühl von Kälte und Eis – das wirkt auf die Patienten sehr beruhigend. Außerdem sind sie durch das Schneeballwerfen abgelenkt und konzentrieren sich weniger auf den Schmerz“, erklärt Linda Breitlauch, Professorin für Game-Design an der Hochschule Trier im Interview auf deutschland.de. Laut einer klinischen Studie konnte das Spiel das Schmerzempfinden der Patienten um 30 bis 50 Prozent verringern.
Weitere medizinische Einsatzbereiche
Auch abseits von Schmerzen erzielt der medizinische Einsatz von speziell dafür entwickelten Computerspielen viele positive Ergebnisse. So können zum Beispiel Patienten nach einem Schlaganfall die Funktion ihres Arms und ihrer Hand wiederherstellen, indem sie mit dem Exoskelett von „Armeo“ spielerisch trainieren. Das Ballerspiel „Re-Mission“ hingegen hilft krebskranken Kindern dabei, ihre Medikamente regelmäßig einzunehmen.
Das Fantasierollenspiel „Sparx“ unterstützt Jugendliche mit Depressionen und ist dabei mitunter erfolgreicher als eine herkömmliche Psychotherapie. „NeuroRacer“ hält Senioren geistig fit und beugt einer Demenz vor. Die Liste könnte endlos so weitergehen, denn ständig kommen neue Spiele auf den Markt, die Menschen medizinisch und psychologisch helfen. Die Vorstellung, dass Videospiele nur ein sinnloser Zeitvertreib sind, der die Jugend verblödet, ist also längt überholt.