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Die geheime Sprache der Pflanzen

Es soll durchaus passionierte Zimmerpflanzen-Besitzer geben, die mit ihren Sprösslingen sprechen. Zwar hat wohl noch kein Hobby-Gärtner je eine Antwort auf seinen Smalltalk erhalten, aber das bedeutet noch lange nicht, dass Monstera, Orchidee und Co. wirklich stumm sind. Tatsächlich ist es längst wissenschaftlich erwiesen, dass auch Pflanzen „sprechen“ können, allerdings mit keinem Vokabular aus klassischen Worten. Ein Ausflug in die Kommunikation der Pflanzenwelt.
AMA, 08.05.2023
Eingetopfte Tomatenpflanze mit Schallwelle

© Tomatenpflanze: Denise Hasse, GettyImages: Schallwelle: tovovan, GettyImages

Dass Pflanzen kommunizieren können, ist in der Forschung längst keine Debatte mehr. Viel mehr ergründen Botaniker mittlerweile, wie sich die grünen Sprachtalente bemerkbar machen. Dass Pflanzen etwas zu sagen haben, ist auch gar nicht so abwegig wie lange Zeit gedacht. Auch sie müssen schließlich mit ihrer Umwelt interagieren, um zu überleben. Dazu gehört es etwa, Angriffe von gefräßigen Insekten abzuwehren oder bestäubende Bienen und Schmetterlinge anzulocken.

Pflanzen rufen um Hilfe

Auf den ersten Blick könnte man meinen, Pflanzen wären ein leichtes Opfer für hungrige Raupen und andere Schädlinge. Doch der Schein trügt. Pflanzen sind durchaus wehrhaft. Einige verteidigen sich mit Stacheln und Dornen, andere sind giftig. Doch es gibt noch einen weiteren Trick: Wenn sich eine Pflanze nicht allein gegen die Schädlinge zur Wehr setzen kann, ruft sie prompt Verstärkung herbei. Diese Taktik verfolgt zum Beispiel der wilde Tabak, der unter anderem im Südwesten der USA wächst. Merkt er, dass die Larven des Tomatenschwärmers gerade an seinen Blättern ein Buffet veranstalten, setzt er spezielle chemische Duftstoffe frei. Damit lockt der Tabak gezielt räuberische Insekten wie Raubwanzen und Wespen an, die die lästigen Raupen dann verspeisen.

Der Hilferuf des tropischen Akazienbaumes „Macaranga tanarius“ hat hingegen eine süßliche Note. Statt einer duftenden Chemiekeule erzeugt er bei Schädlingsbefall große Mengen an zuckerhaltigen Substanzen und gibt diese über die Blätter ab. Der süße Kleber lockt unter anderem Ameisen an, die sich dann im Kampf gegen die angreifenden Pflanzenfresser beteiligen. So wird die Akazie vor weiteren Schäden bewahrt.

Doch Pflanzen stehen während eines Angriffs nicht nur mit nützlichen Insekten-Armeen im Austausch, sondern auch mit benachbartem Grün. Wird etwa ein Ahornbaum oder eine Tomatenpflanze von Schädlingen befallen, dann warnen diese ihre umstehenden Kollegen vor dem bevorstehenden Angriff. Dafür geben sie über die Blätter einen speziellen chemischen Warnstoff ab. Dank dieser kollegialen Warnung können benachbarte Pflanzen sich frühzeitig gegen die Schädlinge wappnen, etwa indem sie ihr Grün mit Bitterstoffen anreichern.

Mit Wespeneiern besetzter Tabakschwärmer (Manduca sexta)
Raupe des Tabakschwärmers mit Schlupfwespenkokons. Die befallene Pflanzen hat mit ihren Duftstoffen Wespen anlockt, deren Larven sich von den Raupen ernähren und so das Problem der Pflanze lösen.

© Jordan_Sears, GettyImages

Pflanzen locken gezielt Bestäuber an

Doch das Leben einer Pflanze besteht aus mehr als nur dem Kampf gegen lästige Schädlinge. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Fortpflanzung. Damit zwei Pflanzen Nachwuchs miteinander zeugen können, muss der Pollen der einen in die Blüte der anderen Pflanze gelangen. Keine leichte Aufgabe, wenn man wortwörtlich festgewurzelt ist. Während manche Bäume ihren Pollen mithilfe des Windes verteilen, sind andere auf die Unterstützung tierischer Bestäuber wie Bienen und Schmetterlinge angewiesen.

Um die Fortpflanzungshelfer anzulocken, verströmen die Pflanzen einen Duft, dem Hummel, Biene und Co. nicht widerstehen können. In den meisten Fällen riecht dieser süßlich, doch es gibt auch Ausnahmen. So verbreitet etwa der auf der Insel Sumatra beheimatete Titanwurz Gerüche, die nach verwesenden Tierkadavern riechen. Er lockt nämlich keine Bienen, sondern Schmeißfliegen und Aaskäfer als Pollenübermittler an. Fledermäuse, die ebenfalls als Bestäuber fungieren können, fühlen sich hingegen von schwefelhaltigen Verbindungen angezogen.

In der Regel werden die Bestäuber mit süßem Nektar belohnt, wenn sie dem betörenden Duft der Blüten folgen. Doch es gibt auch Pflanzen, die ihre kleinen Pollen-Boten austricksen. Bestimmte Orchideen verströmen etwa den Lockstoff der weiblichen Grabwespe und locken damit die Männchen an. Selbst die Blüten sehen den Wespendamen zum Verwechseln ähnlich. Doch statt einer Partnerin erwartet die Wespenmännchen nur ein „unbezahlter“ Pollen-Lieferdienst. Die Illusionskünste der Orchidee sichern so ihr Fortbestehen.

Sprache jenseits der Düfte

Doch die Sprache der Pflanzen geht weit über das Reich der Düfte hinaus, wie Wissenschaftler jüngst herausgefunden haben. In Experimenten mit Tomaten, Tabak, Weizen, Mais und weiteren Arten stellte sich heraus, dass Pflanzen auch hörbare Laute von sich geben können. Sie ähneln dem Knacken einer Luftpolsterfolie oder dem Ploppen eines Maiskorns beim Popcorn-Machen, wenn man diese Laute in die für uns hörbaren Frequenzen überträgt. Denn das Klicken und Ploppen der Pflanzen ertönt im Ultraschallbereich. Unter Stress, also wenn sie ausgetrocknet oder verletzt sind, klicken die Pflanzen deutlich häufiger als im gesunden Zustand. So klickte eine gesunde Tomatenpflanze im Experiment zum Beispiel einmal pro Stunde, eine ausgetrocknete 35-mal und eine mit Schnittverletzung 25-mal.

Für Tiere, die Ultraschall wahrnehmen können, ist das „Schreien“ der Pflanze verhältnismäßig laut. Theoretisch könnten sie ihr Klicken auch noch aus einigen Metern Entfernung hören. Aber warum geben Pflanzen überhaupt solche Laute von sich? Die Antwort darauf suchen nun Lilach Hadany von der Universität Tel-Aviv und ihre Kollegen: „Jetzt, wo wir wissen, dass Pflanzen Schallemissionen von sich geben, ist die nächste Frage: Wer könnte ihnen zuhören? Wir sind zurzeit dabei, die Reaktionen anderer Organismen – Tieren und Pflanzen – auf diese Laute zu untersuchen.“ Die Enträtselung der komplexen und geheimnisvollen Pflanzensprache geht also weiter.

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