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Sterbehilfe: Welche Regelungen sind in der Diskussion?

Aktuell gibt es in Deutschland keine umfassende gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe. Wer einem schwer kranken, leidenden Angehörigen auf dessen Wunsch hin beim Suizid helfen will, befindet sich im Moment in einer Grauzone oder macht sich sogar strafbar. Doch nach Jahren der Unklarheit stimmt der Bundestag heute über eine Reform der Sterbehilfe ab. Welche Vorschläge stehen zur Auswahl? Und wie stehen Ärzte und Psychiater zu ihnen?
AMA, 06.07.2023
Symbolbild Intensivstation

© PongMoji, GettyImages

Unter Sterbehilfe versteht man die Unterstützung eines Außenstehenden beim selbstgewünschten Suizid einer schwer kranken Person. Der Begriff umfasst eine Vielzahl von Szenarien – vom Abstellen lebenserhaltender Maßnahmen bis hin zum aktiven Verabreichen einer tödlichen Spritze. Welche Varianten in Deutschland erlaubt sind, ist bislang allerdings eher schwammig geregelt.

Welche Formen der Sterbehilfe sind legal?

Ausdrücklich erlaubt sind in Deutschland die indirekte und die passive Sterbehilfe. Bei der indirekten Sterbehilfe darf ein Arzt auf Wunsch eines Todkranken hin dessen Dosis an Schmerzmitteln erhöhen, auch wenn der Patient dadurch verfrüht stirbt. Das ist zum Beispiel bei einigen Morphiumpräparaten der Fall, die in zu hoher Dosierung die Atmung hemmen. Der Arzt kann für diese Form der Beihilfe nicht strafrechtlich belangt werden, weil sie als unbeabsichtigte Nebenwirkung einer nötigen Behandlung zählt, die das Leid des Patienten lindern soll.

Auch die passive Sterbehilfe ist erlaubt. Sie beschreibt das Abstellen von Geräten, die das Leben eines Patienten künstlich verlängern. Dazu zählen Beatmung oder künstliche Ernährung. Passive Sterbehilfe ist dann legal, wenn der Patient ihr vorher ausdrücklich zugestimmt hat, etwa in Form einer Patientenverfügung. Der Arzt, der die Geräte auf Wunsch des Patienten hin abstellt, macht sich in Deutschland also nicht strafbar. Rechtlich betrachtet stirbt der Patient dadurch auf natürliche Weise.

Beide Formen der Sterbehilfe sind nicht nur von Gesetzes wegen legal, sondern gelten auch als mit den ethischen Prinzipien des Arztberufs vereinbar.

Welche Formen der Sterbehilfe sind illegal?

Eindeutig illegal ist die aktive Sterbehilfe oder auch „Tötung auf Verlangen“. Sie liegt vor, wenn ein Patient, der selbst keine Maßnahmen zum Suizid mehr ergreifen kann, auf eigenen Wunsch hin mit einer tödlichen Spritze oder Tablette umgebracht wird. Liegt keine Patientenverfügung vor, in der der Betroffene diesen Wunsch ausdrücklich äußert, wird aktive Sterbehilfe vor Gericht mit Mord gleichgesetzt. Und selbst bei einem ausdrücklichen Wunsch zählt eine solche Tat immer noch als Totschlag.

In einer Grauzone bewegt sich hingegen der sogenannte assistierte Suizid. Er soll heute im Bundestag neu geregelt werden. Bei dieser Form der Sterbehilfe nimmt der Todkranke die tödlichen Mittel selbst ein und begeht somit straffreien Suizid, doch diese Straffreiheit galt lange Zeit nicht für denjenigen, der die Mittel zuvor beschafft oder verschrieben hatte. Von 2015 bis 2020 war der assistierte Suizid in Deutschland offiziell verboten. Doch seit das Bundesverfassungsgericht dieses Verbot im Februar 2020 gekippt hat, fehlt eine offizielle Regelung.

Künstliche Beatmung
Das Abstellen von Geräten, die das Leben eines Patienten künstlich verlängern, gilt als passive Sterbehilfe und ist in Deutschland dann erlaubt, wenn der Patient vorher ausdrücklich zugestimmt hat – etwa in Form einer Patientenverfügung.

© sudok1, GettyImages

Welche Vorschläge stehen heute zur Auswahl?

Nach mehreren Jahren rechtlicher Grauzone stehen heute zwei Vorschläge zur Auswahl, wie der assistierte Suizid in Zukunft geregelt werden soll. Der erste Vorschlag stammt von einer Abgeordnetengruppe um den SPD-Politiker Lars Castellucci. Sie will den assistierten Suizid grundsätzlich strafbar machen und nur unter bestimmten Voraussetzungen erlauben. Die Person, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen will, müsste demnach volljährig sein und bereits ein Beratungsgespräch sowie zwei Gutachten eines Psychiatrie-Facharztes durchlaufen haben. Der Facharzt soll dabei nicht nur ermitteln, ob der Betroffene in vollem Besitz seines Entscheidungsvermögens ist, sondern auch ob er unter Druck handelt. Zum Beispiel weil er Angehörigen nicht zur Last fallen möchte. Erst, wenn auch dieser Umstand ausgeschlossen ist, gibt es grünes Licht für die Verschreibung tödlicher Medikamente.

Den zweiten Vorschlag zur Neuregelung haben Abgeordnete um Kathrin Helling-Plahr von der FDP und Renate Künast von den Grünen eingebracht. Sie sprechen sich darin für eine generelle Straffreiheit des assistierten Suizids aus. Auch hier müsste ein Betroffener sich zwar zunächst offiziell beraten lassen, doch die Hürden bis zur Verschreibung tödlicher Medikamente wären deutlich niedriger. Ein psychiatrisches Gutachten entfiele zum Beispiel gänzlich. In Härtefällen dürfte ein Arzt die Mittel auch ohne Beratung und nach eigenem Ermessen verschreiben. Der Patient müsste sich dafür allerdings „in einem existenziellen Leidenszustand mit anhaltenden Symptomen“ befinden.

Warum wird Sterbehilfe kritisch gesehen?

Kritiker des assistierten Suizids warnen davor, dass der Sterbewunsch eines Betroffenen nach außen hin zwar freiwillig erscheinen könnte, es in Wirklichkeit aber gar nicht ist. Zum Beispiel dann, wenn jemand lediglich seinen Angehörigen nicht zur Last fallen will oder von diesen sogar aktiv unter Druck gesetzt wird, das eigene Leben zu beenden.

Auch wird der assistierte Suizid bei psychischen Erkrankungen oft kritisch gesehen. Gerade bei Menschen mit starken Depressionen sei ein Suizidwunsch häufig nur vorübergehend, warnt die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie. Stellt man die Patienten mit den richtigen Medikamenten ein, würden die Suizidgedanken in vielen Fällen wieder zurückgehen. Doch für jemanden, der sich in einer akuten depressiven Krise für den assistierten Suizid entschieden hat, wäre es dann schon längst zu spät.

Wie blicken Psychiater und Ärzte auf die Debatte?

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und die Bundesärztekammer sehen die im Bundestag zur Auswahl stehenden Vorschläge kritisch. Sie seien übereilt und außerdem hätte ihnen eine gesamtgesellschaftliche Debatte vorausgehen sollen. Besonders beim Vorschlag der Künast-Gruppe befürchtet die Bundesärztekammer negative Folgen für ihren Berufsstand. Den Ärzten würde dadurch eine zu große Verantwortung aufgebürdet. Gleichzeitig könnte nicht ausgeschlossen werden, dass einem Arzt, der nach eigenem Ermessen tödliche Medikamente verschrieben hat, wirklich kein strafrechtlicher Prozess droht.

Der Kritik schließt sich auch Markus Zimmermann von der Universität Freiburg an: „Wird die Suizidhilfe zu einer ärztlichen Dienstleistung wie in den Niederlanden oder Kanada, wird es prekär für den Arztberuf.“ Er kritisiert außerdem den Fokus der aktuellen Debatte: „Meines Erachtens wird in der Diskussion in Deutschland viel zu wenig (nämlich überhaupt nicht) über die helfende Person und ihre Motive gesprochen. Meines Erachtens ist das ethisch gesehen aber der entscheidende Punkt, jedenfalls dann, wenn man die Suizidhilfe grundsätzlich ethisch akzeptiert. Handelt die Person aus Mitleid, Fürsorge, um Geld zu verdienen, aus anderen Gründen?“

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