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Suchtfaktor Chips: Warum machen sie Hunger auf mehr?

Wer kennt es nicht: Man öffnet vor dem Fernseher eine Tüte Chips und schon nach kürzester Zeit ist die Tüte leer und wir greifen ins Leere. Nur eine halbe Tüte Chips zu essen oder die salzigen Leckereien zu rationieren, fällt uns enorm schwer. Wer sich schonmal gefragt hat, warum das nicht mit der Salatschüssel passiert, findet die Antworten im Belohnungszentrum des Gehirns.
JFR, 14.01.2022

Egal, ob wir hungrig oder satt sind, Chips in Maßen zu essen fällt uns schwer. Aber warum eigentlich?

GettyImages, batuhan toker

Seit den 1950er Jahren gehören Kartoffelchips zu den beliebtesten Snacks weltweit. Obwohl die Chips echte Kalorienbomben sind und der Nutri-Score der leckeren Knabberei fast immer im roten Bereich liegt, haben Menschen in Deutschland  im Jahr 2018 pro Kopf durchschnittlich 1,5 Kilogramm Kartoffelchips verzehrt.

Fett und Zucker – verführerische Kombi

Kartoffelchips bestehen aus Kohlenhydraten – also zu Ketten verknüpften Zuckern – und werden in Fett frittiert. Eine schmackhafte Kombination! Meistens sorgt eine ganz bestimmte Zusammensetzung für den Suchtfaktor: 35 Prozent Fett und 45 Prozent Kohlenhydrate. Forschende am Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung in Köln fanden in einer Studie heraus, dass Lebensmittel mit diesem Verhältnis von Fett Zucker von Teilnehmern als besonders attraktiv bewertet wurden. Sie waren deutlich beliebter als Speisen die hauptsächlich aus Zucker oder Fett bestanden.

Doch warum ist genau diese Kombination so verführerisch für uns? Auf der Suche nach einer Erklärung stießen die Forschenden auf Muttermilch; eine der wenigen in der Natur vorkommenden Nahrungsmittel mit dieser besonderen Nährstoffzusammensetzung. Marc Tittgemeyer, der Leiter der Forschungsgruppe, vermutet: "Alle Säugetiere kennen Muttermilch. Wahrscheinlich werden wir durch Muttermilch darauf geprägt, besonders intensiv auf Nahrung reich an Kohlenhydraten und Fetten zu reagieren und dies als besonders belohnend wahrzunehmen".

Wer Chips isst, wird belohnt

Doch anscheinend ist nicht nur ein hoher Fett- und Zuckeranteil für die Suchtwirkung von Lebensmitteln verantwortlich. Ein weiterer Grund kann bei der Appetitregulation gefunden werden. Normalerweise sorgt ein Zusammenspiel der Hormone Ghrelin und Leptin für eine Regulierung unseres Sättigungsgefühls. Das Hormon Ghrelin wird bei einem Energiemangel ausgeschüttet und signalisiert uns durch eine Appetitsteigerung, dass es Zeit ist zu essen. Der Gegenspieler dazu ist das Hormon Leptin, welches ein Sättigungsgefühl auslöst und dafür sorgt, dass wir aufhören zu essen.

Allerdings gehören Chips zu den Nahrungsmitteln, die wir zu uns nehmen, obwohl wir gar keinen Hunger haben. Neben dem durch das Appetithormon ausgelösten Signalweg, muss es also noch einen anderen Mechanismus geben, der uns zum Essen verleitet. Tatsächlich haben Forschende der Universität Erlangen-Nürnberg in Experimenten mit Ratten, denen Kartoffelchips gefüttert wurden, eine erhöhte Gehirnaktivität in bestimmten Arealen festgestellt.. Interessanterweise zeigten die Gehirnregionen, die mit Belohnung und Sucht assoziiert sind, dabei die höchste Aktivität.

Das Essbedürfnis wurde anscheinend also nicht wie üblich über einen hohen Ghrelin-Spiegel signalisiert, sondern durch eine Anregung des Belohnungszentrums im Gehirn. Dieses Phänomen der Nahrungsaufnahme trotz Sättigungsgefühl, wird auch als Hedonische Hyperphagie bezeichnet.

Die Forschenden setzten den Ratten auch Nahrung mit einer ähnlichen Fett- und Zuckerzusammensetzung wie bei Kartoffelchips vor. Dieses Essen löste bei den Tieren jedoch weniger Aktivität im Gehirn aus. Dies lässt vermuten, dass Kartoffelchips noch weitere molekulare Komponenten enthalten, die das Belohnungszentrums des Gehirn stimulieren und für den Suchtfaktor von Chips verantwortlich sein können.

Suchtfaktor Salz

Ein Grund dafür könnte der in uns biologisch tief verankerte Hunger nach Salz sein: „Dieser Appetit ist mit dem Durst auf Wasser vergleichbar“, erklärt Wolfgang Liedtke, Neurobiologe an der Duke University in Durham. Die Lust am Salzgeschmack ist instinktiv und entwickelte sich schon vor mehr als 100 Millionen Jahren. Und das hat einen einfachen Grund: Salz ist für den Organismus von Mensch und Tier lebensnotwendig. Aber in der Natur ist Salz – außer am Meer – nicht immer zu finden.

Schon früh entwickelte sich daher im Gehirn unserer Vorfahren ein Schaltkreis, der dafür sorgte, dass sie immer dann ordentlich zugriffen, wenn Salz zufällig verfügbar war. Und dieser Schaltkreis funktioniert bei uns auch heute noch. Nehmen wir salzhaltige Kost zu uns, werden in unserem Gehirn Botenstoffe freigesetzt, die ein Gefühl der Befriedigung auslösen. „Das ist ähnlich als wenn wir bei großem Durst etwas trinken“, erklärt Liedtke.

Umgekehrt sorgt dieser Mechanismus auch dafür, dass wir oft instinktiv einen Hunger nach Salz verspüren. Denn der von unseren Vorfahren geerbte Schaltkreis löst im Belohnungszentrum des Gehirns die Gier nach Befriedigung aus. Und die salzigen, fettigen Chips stillen dieses Bedürfnis nahezu perfekt.

Wer das Gehirn austrickst, kann auch den Chipswahn kontrollieren

Wer also keine ausgeprägte Selbstdisziplin besitzt, scheint machtlos gegen den "Huch‑Tüte leer"‑Effekt. Doch angesichts der steigenden Adipositas-Erkrankungen gibt es bereits Überlegungen den Kartoffelchips Substanzen hinzufügen, die den Lustfaktor blockieren. Möglich wäre es auch den Heißhunger auf gesündere Nahrungsmittel zu steigern. Doch dafür sind zunächst weitere Studien nötig, um das Geheimnis der Chipssucht vollends zu klären.

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