wissen.de Artikel

Was bedeutet die Gas-Alarmstufe?

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat am 23. Juni 2022 die Alarmstufe des Notfallplans Gas ausgerufen. Damit reagierte er auf die abnehmenden Gaslieferungen aus Russland. Der Notfallplan Gas soll sicherstellen, dass die deutschen Gasspeicher trotz dieser Lieferausfälle auch im Winter noch genügend Reserven an Erdgas bieten. Doch welche Stufen gibt es im Notfallplan Gas? Und wo gibt es Einsparungsmöglichkeiten für die Industrie, aber auch für jeden daheim im Alltag?
JFL, 27.06.2022
Symbolbild Gasalarm

Pipelines: Pro-syanov, GettyImages; Glocke: AlexSecret, GettyImages

In Deutschland kommt Erdgas in verschiedenen Bereichen zum Einsatz. Der größte Anteil – immerhin 43 Prozent – wird verwendet, um Gebäude zu heizen. Dazu gehören sowohl private Haushalte als auch Gewerbegebäude, wobei erstere den deutlich größeren Verbrauch haben. Wenn man bedenkt, dass gut die Hälfte aller privaten Haushalte eine Gasheizung besitzen, ist das auch wenig überraschend.

Einen weiteren großen Anteil am Gesamt-Gasverbrauch übernimmt die Industrie: Etwa 37 Prozent des Erdgases werden verwendet, um beispielsweise Kunststoff und Düngemittel herzustellen oder Schmelzöfen anzuheizen. Weitere zwölf Prozent des deutschen Erdgases werden zur Stromerzeugung in Gaskraftwerken verwendet. Der Rest wird von kleineren Anwendungen wie der Fernwärme oder Erdgas-Autos verbraucht, wobei letztere nur einen sehr geringen Anteil ausmachen.

Was bedeutet die Alarmstufe?

Damit die Grundversorgung – vor allem für private Verbraucher – gesichert werden kann, gibt es einen Notfallplan Gas. Dieser besteht aus drei Eskalationsstufen, die zum einen eine Orientierung geben sollen und zum anderen der Regierung bestimmte Maßnahmen erlauben.

Die erste dieser Stufen ist die sogenannte Frühwarnstufe, die bereits am 30. März 2022 ausgerufen wurde. Sie tritt in Kraft, wenn es konkrete und ernstzunehmende Hinweise darauf gibt, dass ein Ereignis zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgung führen könnte. Im konkreten Fall war der Auslöser der Ukrainekrieg und der eskalierende Konflikt mit Russland, dem größten Gaslieferanten für Deutschland. In der Frühwarnstufe wird ein Krisenstab aus Behörden und Energieversorgern aktiviert, der unter anderem die Situation genauer beobachtet und überwacht.

Die zweite, sogenannte Alarmstufe, wurde am 23. Juni 2022 vom Bundeswirtschaftsministerium ausgerufen. Sie tritt in Kraft, wenn eine konkrete Störung der Gasversorgung vorliegt. Auslöser für die Alarmstufe ist, dass Russland seine Erdgas-Liefermenge über die Pipeline „Nordstream 1“ deutlich gedrosselt hat. Durch die Alarmstufe haben Energieversorger nun die Möglichkeit, ihre Preise an die außerordentliche Marktsituation anzupassen – der private Verbraucher könnte das also zu spüren bekommen. Bevor es soweit ist, muss die Bundesnetzagentur allerdings erst noch die sogenannte Preisanpassungsklausel aktivieren, was laut Bundesregierung aktuell nicht geplant ist.

Letzte Instanz: Notfallstufe

Auch wenn die Bundesnetzagentur schon bei der Alarmstufe gewissermaßen die Hand auf dem Gasdeckel hat, so darf der Staat zu diesem Zeitpunkt noch nicht konkret in die Verteilung des Rohstoffs eingreifen. Das ändert sich mit der dritten und letzten Stufe des Notfallplans Gas: der Notfallstufe. Wenn sie ausgerufen wird, bekommt die Bundesnetzagentur mehr Befugnisse und wird zu einer Art Verteiler: In Absprache mit den Netzbetreibern kann sie dann bestimmen, wer wie viel Erdgas bekommt. Im Prinzip wird das Erdgas dann rationiert.

Wenn es so weit kommt, müssen private Haushalte aber nicht befürchten, irgendwann im Kalten zu sitzen. Gemeinsam mit sozialen Einrichtungen wie Krankenhäusern und anderen Anlagen, die der Wärmeversorgung dienen, gehören sie zu einer gesetzlich besonders geschützten Gruppe. Das bedeutet, dass sie bis zuletzt mit Erdgas versorgt werden.

Welche Teile der Industrie außerhalb dieser geschützten Gruppe im Rationierungsfall zuerst vom Gasnetz abgekoppelt werden, hat die Bundesnetzagentur allerdings bisher nicht konkret festgelegt. Stattdessen seien alle Entscheidungen im Fall einer Mangellage Einzelfallentscheidungen, die auf Basis der Belange und Bedeutung des jeweiligen Erdgas-Verbrauchers getroffen werden, heißt es.

Damit es nicht zu diesem Notfall in der Versorgung kommt, werden schon jetzt Maßnahmen vorbereitet, die Erdgas einsparen sollen. So will die Bundesregierung beispielsweise im Juli beschließen, dass wieder mehr Kohlekraftwerke an das Stromnetz angeschlossen werden dürfen. Der Kohlestrom soll den zurzeit noch von Gaskraftwerken erzeugten Strom ersetzen und so Erdgas einsparen. Des Weiteren könnte laut Experten auch die Versorgung über Power-to-Gas weiter ausgebaut werden. Bei dem Verfahren werden erneuerbare Energien verwendet, um Methan und Wasserstoff herzustellen. Diese könnten in das deutsche Erdgasnetz eingespeist werden.

Symboldbild Heizeinergie sparen
Schon eine Absenkung der Innenraumtemperatur von 21 auf 20 Grad Celsius könnte etwa zehn Prozent an Heizenergie einsparen.

BrilliantEye, iStock

Jeder kann etwas tun

Das größte kurzfristige Einsparpotenzial für Erdgas sieht Dirk Müller, Professor für Gebäude- und Raumklimatechnik an der RWTH Aachen, aber nicht in der Industrie. „Private Haushalte können erhebliche Einsparungen im Gasverbrauch durch einfache Verhaltensanpassungen und Maßnahmen erreichen, die mit keinen oder nur geringen Komforteinbußen und Kosten verbunden sind.“, erklärt Müller.

So könne eine Absenkung der Innenraumtemperatur von 21 auf 20 Grad Celsius beispielsweise etwa zehn Prozent an Heizenergie sparen. „Eine weitere Verringerung erhöht diesen Effekt deutlich. Bei einer Absenkung auf 19 Grad sind Reduktionen bis zu 20 Prozent zu erwarten“, sagt Müller. Auch eine elektronische Steuerung kann hier helfen: Zeitgesteuerte Thermostate können bei einer berufstätigen Familie immerhin fast 20 Prozent Heizkosten einsparen.

Auch kürzer Duschen spart Gas

Bei den Berechnungen, wie nützlich Energiesparmaßnahmen in Bezug auf Heizkosten sind, wird allerdings nur der Gasverbrauch einberechnet, der für das Heizen der Zimmer verbraucht wird. „Zusätzlich muss immer die notwendige Wärme für das Trinkwarmwasser berücksichtigt werden“, die laut Müller auch nicht zu unterschätzen ist.

„Der Anteil des Trinkwarmwassers am Gasverbrauch liegt bei älteren Gebäuden bei ungefähr 20 Prozent, bei sehr gut gedämmten Gebäuden kann dieser Anteil auf bis zu 50 Prozent steigen“, erklärt der Professor. „Durch den Einsatz wassersparender Duschbrausen und Armaturen können bis zu 50 Prozent des Energiebedarfs für Trinkwarmwasser eingespart werden. Weitere zehn Prozent sind durch ein bewusstes und sparsames Verbrauchsverhalten bei der Warmwassernutzung möglich“, erklärt Müller.

Langfristige Maßnahmen sinnvoll, aber für die aktuelle Krise zu spät

Das bedeutet aber nicht, dass wir nun alle in der komplett ungeheizten Wohnung sitzen oder nur noch kalt duschen müssen, damit es einen spürbaren Effekt auf den Erdgasverbrauch hat. Stattdessen hilft auch die Kombination mehrerer kleiner Maßnahmen. „Allerdings ist zu beachten, dass sich die Einsparungen nicht immer addieren lassen. Wird beispielsweise die Raumtemperatur abgesenkt, fällt der Effekt durch zusätzliche Abdichtungen der Fenster etwas geringer aus“, so Müller.

Insgesamt sind langfristige, bauliche Maßnahmen wie eine bessere Wärmedämmung der Wände, Decken und Fenster oder eine Solaranlage zwar eine sinnvolle Investition, bei der aktuellen Auslastung der Handwerker und der Rohstoffknappheit sind sie jedoch nicht unbedingt zeitnah umsetzbar.

„Die Dämmung von Rohrleitungen für das Heizungssystem und die Trinkwarmwasserversorgung im Keller kann aber auch durch Privatpersonen mit Material aus dem Baumarkt umgesetzt werden“, sagt Dirk Müller. „Mit etwas mehr handwerklichem Aufwand kann auch eine Kellerdecke gedämmt werden.“ Je nach Wohnsituation könne man dadurch laut Müller sogar fast zehn Prozent Heizenergie einsparen.

Mehr Artikel zu diesem Thema

Weitere Lexikon Artikel

Weitere Artikel aus dem Wahrig Synonymwörterbuch

Weitere Artikel aus dem Wahrig Fremdwörterlexikon

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Vornamenlexikon