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Was das Sexleben mit der Blutspende zu tun hat

Wer demnächst Blut spenden möchte, muss sich auf ein paar Änderungen im Vorab-Fragebogen gefasst machen. Denn heute, am 4. September 2023, tritt eine neue Blutspende-Richtlinie in Kraft. Sie sieht unter anderem vor, dass von nun an jeder – egal ob homo- oder heterosexuell – Angaben zu seinen Sexualpraktiken machen muss. Aber warum ist das überhaupt wichtig? Wie sahen die Vorschriften vorher aus? Und welche Praktiken stehen einer Blutspende künftig im Weg?
AMA, 04.09.2023
Legen der Nadel bei einer Blutspende

© hxdbzxy, GettyImages

Jeden Tag braucht es in Deutschland rund 15.000 Blutspenden, um Unfallopfer, Menschen mit schweren Krankheiten und Patienten während Operationen zu versorgen. In der Vergangenheit wurde das Blut allerdings häufig knapp. Das lag zum einen an phasenweise gesunkener Spendenbereitschaft, aber auch daran, dass nicht jeder spenden durfte, der gerne wollte. Besonders betroffen waren homosexuelle Männer.

Warum wurden homosexuelle Männer ausgeschlossen?

Bis zum Jahr 2017 durften schwule Männer überhaupt kein Blut spenden. Danach war es nur möglich, wenn sie zuvor vier Monate lang keinen Sex hatten. Die Begründung: Verschiedene sexuell übertragbare Infektionskrankheiten können das Blut kontaminieren und es so unbrauchbar für einen Spendenempfänger machen. Dazu zählen unter anderem Aids, Syphilis sowie Hepatitis B, C und E. Bekommt man fremdes Blut mit einem Erreger dieser Krankheiten injiziert, erkrankt man höchstwahrscheinlich selbst.

Dass ausgerechnet homosexuelle Männer bei der Blutspende benachteiligt wurden, lässt sich anhand von epidemiologischen Daten des Robert Koch-Instituts erklären. Diese zeigen, dass das Übertragungsrisiko von HIV und Syphilis beim Sex unter Männern erhöht ist. Das ist insbesondere bei ungeschütztem Analverkehr der Fall. Mit Stand 2021 gingen zwei Drittel der jährlichen Neuinfektionen mit HIV auf den Sex unter Männern zurück, bei Syphilis sogar 85 Prozent.

Wieso kann man das Blut nicht einfach testen?

Zwar wird das gespendete Blut aufwändig im Labor getestet, um mögliche Infektionsmarker und Erreger zu finden, doch bis Ergebnisse vorliegen, dauert es eine Weile. Außerdem liefern selbst diese Tests keine 100-prozentige Gewissheit, denn manche Infektionen sind erst bis zu vier Monate nach Ansteckung im Blut nachweisbar. Wer sich also eine Woche vor der Blutspende angesteckt hat, fällt gewissermaßen durchs Raster. Daher müssen Menschen, die Blut spenden wollen, vor der eigentlichen Spende auch einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen, in dem sie Angaben zu ihrer Gesundheit und ihrem Sexleben der vergangenen vier Monate machen.

Zentrifuge mit Blutproben in einer Blutbank
Zwar wird das gespendete Blut im Labor getestet, aber viele Viren bzw. virusspezifische Antikörper sind im Blut erst mehrere Wochen nach einer Infektion nachweisbar. Während dieser sogenannten "Fensterphase" werden sie von den Tests nicht erfasst.

© choja, GettyImages

Wieso wird die bisherige Regelung geändert?

In den Vorab-Fragebögen zur Blutspende befand sich bislang folgende Frage: „Hatten Sie in den letzten vier Monaten Sexualverkehr… als Mann mit einem neuen männlichen Partner oder mit mehr als einem männlichen Partner?“ Eine Beantwortung mit „Ja“ führte häufig bereits zu einem Ausschluss von der Blutspende.

Schwulenverbände hatten kritisiert, dass durch diese Frage die Sexualität des Blutspenders unverhältnismäßig in den Vordergrund gestellt wird, wenn man stattdessen auch allgemeiner formulieren und weniger harsch entscheiden könnte. Der Bundestag hat sich dieser Bedenken angenommen und im März 2023 entschieden, dass künftig niemand allein aufgrund seiner sexuellen Identität vom Blutspenden ausgeschlossen werden darf. Lediglich das individuelle Sexualverhalten solle weiterhin eine Rolle spielen.

Wie geht es jetzt weiter?

Am 4. September 2023 tritt daher eine neue Blutspende-Richtlinie der Bundesärztekammer in Kraft. Sie sieht eine Streichung der debattierten Frage vor und damit einhergehend, dass Blutspendeverbote nur noch anhand von Sexualpraktiken, nicht aber der Sexualität an sich ausgesprochen werden können. Konkret heißt das: Menschen, die sich durch ihr Sexualverhalten in den vergangenen vier Monaten einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt haben, werden vorerst bei der Blutspende zurückgestellt – und das egal, ob sie homo- oder heterosexuell sind. Diese Ausschlussklausel trifft etwa dann zu, wenn jemand in dieser Zeit mit mehr als zwei Personen Sex hatte, oder mit einer neuen Person Analverkehr praktiziert hat.

Wann genau die neuen Richtlinien im Einzelfall in Kraft treten, hängt damit zusammen, wie schnell die unterschiedlichen Blutspendestellen auf neue Fragebögen umstellen. Wer direkt heute Blut spenden geht, bekommt also womöglich noch einen alten Fragebogen ausgehändigt.

Wie kommt die Neuregelung bei Betroffenen an?

Interessenvertreter wie der Schwulenverband oder die Deutsche Aidshilfe haben sich im Vorfeld zufrieden gezeigt, dass ihrer Kritik nachgegangen wurde. Doch nun, da die offizielle Richtlinie auf dem Tisch liegt, hat sich an einigen Stellen wieder Unmut geregt. Die Aidshilfe kritisiert unter anderem, dass Analverkehr weiterhin als ausschlaggebendes Risiko dargestellt wird, obwohl er keines sei. „Diese Annahme ist stigmatisierend. Schutzmaßnahmen wie Kondome und die HIV-Prophylaxe PrEP, zu denen die Prävention ermutigt, werden in der neuen Analverkehr-Klausel nicht berücksichtigt“, heißt es in einem Statement.

Da Analverkehr außerdem eher unter homosexuellen Männern verbreitet ist, sei auch die neue Richtlinie weiterhin diskriminierend für diese Personengruppe. „Die Bundesärztekammer hat es geschafft, die meisten schwulen Männer weiterhin auszuschließen, ohne dies klar zu benennen. Die neue Regelung hält sogar noch weitere potenzielle Spender unnötig von der Spende ab“, sagt Sven Warminsky vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe. Er bezieht sich dabei unter anderem auf Heterosexuelle, die Analverkehr mit wechselnden Partnern praktizieren.

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