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Was die Stimme verrät
Mit unserer Stimme bringen wir Sprache zum Klingen. Doch wie funktioniert dieses Körperinstrument eigentlich? "Ein Ton ist ausgeatmete schwingende Luft, die zum Klingen gebracht wird – das Ergebnis eines komplexen Prozesses", erklärt die Phoniatrie-Expertin Christiane Kiese-Himmel. So arbeiten beim Sprechen eine Vielzahl von Strukturen in Bauch, Brust, Hals und Kopf koordiniert zusammen. Das zentrale Nervensystem steuert und kontrolliert diese Abläufe.
Alles beginnt dabei mit der Atmung: Soll ein Ton entstehen, muss Luft durch den Kehlkopf fließen. Denn dort sitzt das Zentrum der Stimmerzeugung, werden die Stimmlippen in Schwingung versetzt. Vom Kehlkopf strömt die schwingende Luft weiter durch Rachen, Mund und Nase.
Individuell wie ein Fingerabdruck
In diesem sogenannten Vokaltrakt verbirgt sich der eigentliche Klangraum. Er wirkt wie ein Verstärker und macht aus dem von den Stimmlippen erzeugten Geräusch einen gut hörbaren Ton. Die Bewegungen von Zunge, Lippen und Gesichtsmuskeln variieren die Stimme. Im Vokaltrakt entsteht auch der individuelle Stimmklang, die Klangfarbe. Zusammen mit typischem Tonfall und Sprachmustern macht dieser Klang unsere Stimme zu einem ganz persönlichen Erkennungsmerkmal. Sie ist so individuell wie ein Fingerabdruck.
Der Klang unserer Stimme kann dem aufmerksamen Zuhörer Merkmale wie unser Geschlecht, unser Alter und sogar unsere Körpergröße verraten. Doch wir geben beim Sprechen noch viel mehr preis: Welcher Typ Persönlichkeit sind wir? In welcher Beziehung stehen wir zu der Person, mit der wir gerade sprechen? Und wie ist es um unseren emotionalen Zustand bestellt? All dies offenbart sich, sobald wir den Mund aufmachen.
Die Seele auf der Zunge
Wer aufgeregt oder nervös ist, spricht zum Beispiel oft mit erhöhter Stimmlage und besonders schnell. Traurigkeit zeigt sich durch eine schleppende und Elan-lose Sprechweise. Zufriedenheit und Sicherheit klingen deutlich und klar. Wenn Mütter mit ihrem Baby oder Kleinkind reden, sprechen sie in einer höheren Tonlage, mit längeren Pausen und artikulieren Vokale überdeutlich.
Unter Liebespartnern variiert die Stimme abhängig von der Qualität der Beziehung. So reden glückliche Paare anders miteinander als solche in einer zerbröckelnden Ehe. Bei Paaren in einer Beziehungskrise lässt sich am Tonfall sogar erkennen, wie groß die Chance auf ein "Happy End" ist.
Die Krankheit spricht mit
Weil die Stimme so viel verrät, ist sie auch für Ärzte interessant: Ihr Klang kann Hinweise auf Erkrankungen geben. Schon der griechische Arzt Hippokrates stellte seinerzeit fest, dass sich die Stimme durch gesundheitliche Probleme oder Krankheiten verändert. Dass wir bei einer Erkältung anders klingen, ist klar. Inzwischen können Mediziner aber auch neurodegenerative Erkrankungen und psychische Störungen aus der Stimme herauslesen.
Parkinson und Alzheimer, Autismus, Depressionen und ADHS etwa zeigen sich in der Stimme auf charakteristische Weise. So sprechen ADHS-Patienten häufig lebendig und unrhythmisch. Betrachtet man einzelne Laute auf der Mikroebene, fällt zugleich jedoch etwas anderes auf: Die Stimme variiert in bestimmten Frequenzbereichen viel weniger als bei Gesunden. Typisch für depressive Menschen ist dagegen, dass sie sich langsam, gleichförmig und mit einer geringen Intensität in der Stimme artikulieren. Zudem machen sie beim Sprechen viele Pausen.
Für all diese Leiden gilt: Was im Gehirn schiefläuft, lässt sich an der Stimme messen. Der Zusammenhang ist dabei so deutlich, dass er eines Tages für verlässliche Diagnosen genutzt werden könnte. Informatiker arbeiten schon heute an Computerprogrammen, die Krankheiten allein anhand der Stimme erkennen.