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Wie läuft eine globalisierte Wirtschaft in der Praxis ab?

Spätestens seit den frühen 1990ern ist es in vielen Unternehmen Usus, bereits bei der Produktion und Beschaffung stark grenzüberschreitend zu agieren. Insbesondere heute, wo es langjährige Erfahrungen gibt, ist das bei Weitem nicht so komplex, wie es den Anschein erwecken kann.

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Die deutsche Wirtschaft ist globalisiert – erwiesenermaßen und zu einem ganz erheblichen Teil. Unlängst machte das Statistische Bundesamt die Probe aufs Exempel. Das Ergebnis: 2020 waren allein 61 Prozent der deutschen Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten in eine globale Wertschöpfungskette eingebunden. Bedeutet, entweder bezogen sie Waren/Dienstleistungen aus anderen Staaten oder exportieren solche.

Da das derzeitige Kapitel der Globalisierung bereits lange vor der Jahrtausendwende startete, ist das kein neues Phänomen mehr. Grenzüberschreitend zu operieren ist deshalb für viele Unternehmer, Mitarbeiter und jeden, der im Themenkomplex BWL/VWL ausgebildet wird, ein normaler Vorgang. Bloß: Wie läuft das alles in der Praxis ab? Wir zeigen es jetzt für ein sehr typisches Vorgehen auf. Ein Unternehmen sitzt hier in Deutschland, möchte jedoch wichtige Vorprodukte oder sogar das gesamte Produkt im Ausland fertigen lassen.

1. Outgesourcte Produktion: Wirtschaftliche Gründe als maßgeblicher Faktor

Deutschland ist ein Hochtechnologieland. Angesichts dessen stellt sich die berechtigte Frage, warum es überhaupt nötig ist, im Ausland produzieren zu lassen. Gründe dafür gibt es mehrere – sie alle sind streng wirtschaftlicher Natur:

  • Fachkräfte: Deutschland hat einen teils eklatanten Mangel daran. In anderen Staaten ist das jedoch nicht so – und längst nicht jeder möchte in die Bundesrepublik emigrieren. Ergo lässt man dort fertigen, wo die Fachkräfte sind.
  • Preise: Ob Rohstoffe, Energiekosten oder Arbeitslöhne: In sehr vielen Ländern kann eine Produktion deutlich günstiger vonstattengehen. Das gilt selbst unter der Prämisse, wonach bei einer globalisierten Produktion stets logistische (Transport-)Kosten anfallen.
  • Rohstoffverfügbarkeit: Produkte können in vielen Ländern gefertigt werden. Viele Rohstoffe sind jedoch regional sehr unterschiedlich verteilt. Aus verschiedenen Gründen (nicht nur die Preise) kann es daher wirtschaftlicher sein, sie nicht nur vor Ort zu beziehen, sondern in relativer Nähe weiterverarbeiten zu lassen.

Einen weiteren Grund nennt Diplom-Ingenieur Peter Stremmer, Geschäftsführer der ElectronAix GmbH & Co. KG. Ein Aachener Unternehmen, das sich auf elektrische Verbindungen wie Kabel und Steckverbinder fokussiert hat und diese maßgeblich in anderen Ländern fertigen lässt – insbesondere China und Taiwan:

„Aufgrund der schon seit Jahrzehnten andauernden Globalisierung hat sich bei vielen Produkten in anderen Ländern eine enorme Expertise entwickelt, die teils deutlich über die Fähigkeiten in unseren westlichen Nationen hinausgeht. In meinem Geschäftsfeld – primär Kabel und Steckverbinder – gehören China und Taiwan seit geraumer Zeit zu den erfahrensten Nationen, weil sie so viel davon fertigen. Sie sind daher sowohl für diese spezifischen Produkte als auch das ganze Prozedere einer internationalen Produktion sehr gut geeignet und mitunter sogar die besten Herstellerländer überhaupt.“

2. Globalisiert fertigen lassen: Erstkontakt ist oft größte Hürde

In welchem Land soll welcher Teil einer Produktion stattfinden – und in welchem Unternehmen?

Diese drei Fragen muss sich jeder Unternehmer stellen, der Produkte im Ausland fertigen lassen möchte. Die Antworten darauf sind stets im Höchstmaß individuell. Dabei spielen so unterschiedliche Punkte eine Rolle wie:

  • Einfachheit der Zusammenarbeit aus politischen oder kulturellen Gründen,
  • Kosten von Produktion und Logistik,
  • Expertise der Region oder dortiger Unternehmen bezogen auf das Produkt sowie Zusammenarbeit mit Deutschland (anstelle anderer Länder),
  • Produktionskapazitäten hinsichtlich benötigter Stückzahlen und Zeiträume.

Tatsächlich gehört es zu den schwierigsten Aufgaben einer Auslandsproduktion, das jeweils am besten passende Unternehmen im am besten passenden Land zu finden. Was jenseits davon vor Produktionsbeginn sowie im danach folgenden Alltagsgeschäft ansteht, ist dagegen vergleichsweise einfach zu managen.

Doch wie sieht diese Vorgehensweise in der Praxis aus? Typischerweise wird das deutsche Unternehmen eine Art Marktsondierung betreiben. Mitunter wendet es sich an örtliche Industrie- und Handelskammern oder das bundesdeutsche Auswärtige Amt. Bedeutet: Kein Unternehmer muss in seinem Büro sitzen und allein im Internet recherchieren, als wollte er bloß eine neue Produktionsmaschine ordern.

Typischerweise werden bei dieser Marktsondierung mehrere Firmen in die engere Auswahl kommen. Zu ihnen wird nun der Kontakt hergestellt – sowie mitunter Dritt-Firmen, die als Referenzen infrage kommen. Davon ausgehend werden nun Anfragen gestellt und Kalkulationen eingeholt.

3. Erste Abstimmung: Je präziser, desto besser

Es gibt derzeit auf der Welt ungefähr 7.000 Sprachen. Was jedoch eine globalisierte Fertigung anbelangt, können Unternehmer sich weltweit auf die „Lingua Franca“ unserer Zeit verlassen: das Englische. Diese Sprache wird beim gesamten Produktionsprozess stets eine wichtige Rolle spielen – wenngleich es in Einzelfällen anders aussehen kann.

Doch was geschieht, wenn ein Partnerunternehmen gefunden wurde, etwaige Genehmigungen eingeholt und Verträge unterzeichnet wurden? In diesem Fall beginnt der nächste wichtige Teil des Wegs: die Abstimmung.

Hier gibt es, grob gesagt, drei mögliche Herangehensweisen:

  • Das deutsche Unternehmen hat das Produkt in Gänze designt. Alle Spezifikationen liegen fest, der ausländische Fertigungsbetrieb muss sich also sozusagen nur noch an die Anleitung halten.
  • Das deutsche Unternehmen legt lediglich einige relevante Eckdaten fest. Der ausländische Produktionsbetrieb muss daraus ein passendes Produkt designen.
  • Das deutsche Unternehmen bedient sich seiner Eckdaten und schaut, was der ausländische Betrieb diesbezüglich bereits anbietet – oder gegebenenfalls aus seinem Katalog nur leicht modifizieren muss.

Natürlich gibt es hier diverse Misch- und Unterformen. Etwa, wenn deutsche und ausländische Ingenieure das Produkt gemeinsam ausgestalten.

Im Prinzip geht es jedoch stets um einen gleichbleibenden Prozess: Das ausländische Unternehmen muss in die Lage versetzt werden, ein Vor- oder Endprodukt exakt so zu fertigen, wie die auftraggebende deutsche Firma es sich vorstellt. In der Theorie ist das leicht. In der Praxis können jedoch verschiedene Erschwernisse hinzukommen, etwa:

  • Güte der verfügbaren Rohstoffe.
  • Präzision der vorhandenen Maschinen.
  • Ausbildungsstand und Arbeitsethik des örtlichen Personals.
  • Ungleichheit von Normen und ähnlichen Vorgaben zwischen den Ländern.

Wenn das Produkt designt wurde, folgt deshalb zunächst eine Phase von Prototyping, Abstimmung und Nullserien. Gerade dann, wenn es sich um eine industrielle Großserienproduktion handelt, lässt sich nach einer angelaufenen Fertigung vieles nur noch unter teils erheblichen Schwierigkeiten verändern.

Je nachdem, um was für ein Produkt es sich handelt und wie „neu“ es für das herstellende ausländische Unternehmen ist, wird daher großer Aufwand betrieben, um die Fertigung fein auszutarieren. Erfahrungsgemäß kann es selbst mit modernen Maschinen und erfahrenen Mitarbeitern eine gewisse Zeit dauern, bis sich ein harmonischer Prozess „eingeschliffen“ hat.

Bis dahin besteht das Risiko, dass es zu Missverständnissen und zur Produktion von Ausschuss kommt - je nach Komplexitätsgrad des Produkts. Viele (nicht nur deutsche) Unternehmen sind deshalb mindestens so lange mit eigenen Mitarbeitern vor Ort, bis diese völlig normalen Anfangsschwierigkeiten überwunden sind.

Allerdings: Wenn alles erst einmal läuft, dann ist es oftmals nur noch sehr sporadisch nötig, vor Ort zu sein. Insbesondere durch digitale Datentransfers, Videotelefonie und ähnliche Techniken wurden sehr viele vorherige Reiseanlässe überflüssig gemacht – diesbezüglich wirkt die Pandemie bis heute in positiver Form nach.

Symbolbild Qualitätskontrolle
Symbolbild Qualitätskontrolle

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4. Die Qualitätskontrolle: Sicherstellung gleichbleibender Güte

Wenn eine einmal gut abgestimmte Produktion läuft, dann wird das auftraggebende Unternehmen sie niemals ohne triftigen Grund antasten. Ein solcher tritt de facto nur in zwei Formen auf:

  1. Das bisherige Produkt soll optimiert, erweitert oder anderweitig verändert werden.
  2. Die Qualität der Produktion lässt mit der Zeit nach. Beispielsweise wird häufiger Ausschuss produziert.

Erneut um sämtliche Prozesse möglichst zu erleichtern und Probleme zu unterbinden, wird das deutsche Unternehmen die Produkte deshalb dauerhaft einer stringenten Qualitätskontrolle unterziehen. Schlicht, um sofort zu bemerken, wenn das Produktionsniveau nachlässt.

Hierzu gibt es zwei Optionen:

  1. Qualitätskontrolle im Ausland: Sie ist sehr dicht an der Produktion und dadurch deutlich reaktionsschneller. Allerdings ist es deutlich schwieriger, sie auf eine Weise zu gestalten, die sicherstellt, dass dabei dieselben Qualitätskriterien angelegt werden, die hier in Deutschland bestünden.
  2. Qualitätskontrolle in Deutschland: Sie wird meist durch das auftraggebende Unternehmen selbst durchgeführt und ist deshalb mitunter präziser. Nachteilig ist jedoch der zeitliche Abstand. Bis in Deutschland ein Fehler erkannt wurde, kann im Ausland bereits viel Ausschuss produziert worden sein.

Der Trend geht deshalb eher zur erstgenannten Vorgehensweise; etwa durch einen ständig im Ausland bleibenden Mitarbeiter des auftraggebenden Betriebs. In typischen Produktionsnationen haben sich alternativ sogar Drittunternehmen etabliert. Sie bieten sozusagen „Qualitätskontrolle as a Service“ an und fungieren in dieser Eigenschaft als lokaler „Arm“ des auftraggebenden Betriebs.

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