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Wie lebt es sich als Wohnungsloser in Deutschland?

Rund 38.000 Menschen leben in Deutschland auf der Straße. Wir begegnen ihnen häufig nur flüchtig in der Fußgängerzone oder am Bahnhof. Doch wie ihr Alltag aussieht und vor welchen Herausforderungen sie stehen, können wir von außen oft nur erahnen. Wo können sie nachts unterkommen? Wie stark sind sie von Gewalt und Krankheiten betroffen? Und was ist dran an dem Spruch, dass in Deutschland angeblich niemand auf der Straße leben muss?
AMA, 11.09.2023
Schlafender Obdachloser auf Straßenbank

© art-4-art, GettyImages

Wie viele Menschen in Deutschland von Wohnungslosigkeit betroffen sind, lässt sich tatsächlich erst seit 2022 in konkrete Zahlen fassen. Zuvor gab es keine belastbaren Statistiken zu dem Thema, was gewissermaßen widerspiegelt, wie unsichtbar diese Bevölkerungsgruppe oft in unserer Wahrnehmung ist. Laut der Statistik aus 2022 haben hierzulande aktuell 264.400 Menschen keine eigene Wohnung. 178.000 von ihnen leben in Not- und Gemeinschaftsunterkünften, 49.000 kommen bei Freunden, Verwandten oder Bekannten unter und 37.400 leben auf der Straße.

Wer lebt auf der Straße?

Die Studie, die im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales durchgeführt wurde, konnte neben bloßen Zahlen auch mehr über die Eigenschaften der Wohnungslosen herausfinden, die in Deutschland auf der Straße leben. Demnach sind 80 Prozent von ihnen männlich und ein Drittel hat keine deutsche Staatsbürgerschaft. Außerdem sind sie im Schnitt 44 Jahre alt und von gesundheitlichen Problemen betroffen. Zwei Drittel der Befragten gaben in der Studie an, dass es ihnen gesundheitlich schlecht geht. Jeweils ein Fünftel leidet an einer körperlichen beziehungsweise psychischen Erkrankung. Rund ein Drittel hat außerdem mit einer Sucht zu kämpfen.

Die Gründe, warum Menschen in Deutschland auf der Straße landen, sind vielfältig. Am häufigsten nennen die Befragten Mietschulden als Ursache. Auch Trennungen, Inhaftierungen und Krankheiten haben nach eigener Aussage zum Leben auf der Straße geführt.

So hart ist das Leben auf der Straße

Ohne Dach über dem Kopf stehen wohnungslose Menschen vor einigen Herausforderungen. So hat etwa mehr als ein Drittel der auf der Straße lebenden Wohnungslosen keinen ausreichenden Zugang zu Trink- und Waschwasser. Langfristig schadet das ihrer Gesundheit und Hygiene. Und auch Gewalt ist ein wiederkehrendes Thema. Zwei Drittel der Befragten haben damit nach eigenen Angaben bereits Erfahrungen gemacht. Besonders betroffen sind wohnungslose Frauen. Mehr als die Hälfte von ihnen berichtet, bereits sexuell belästigt, missbraucht oder vergewaltigt worden zu sein.

Aus ähnlichen Gründen kommen für viele Wohnungslose auch keine Notunterkünfte als Alternative zum Leben und Schlafen auf der Straße in Frage. Sie berichten, dass es dort gefährlich sein kann und immer wieder zu Gewalt und Diebstahl kommt. Außerdem empfinden viele die Unterkünfte als schmutzig und sind der Meinung, anderswo bessere Schlafplätze finden zu können. 

Essensausgabe
Viele der auf der Straße lebenden Wohnungslosen in Deutschland haben keinen ausreichenden Zugang zu Trink- und Waschwasser.

© gorodenkoff, GettyImages

Muss man in Deutschland auf der Straße leben?

Deutschland ist eines der reichsten Länder der Erde und hat dazu auch noch ein gut ausgebautes Sozialsystem. Vielen ist es daher unbegreiflich, dass hierzulande Zehntausende auf der Straße leben. In der Vorstellung vieler Menschen muss ein Wohnungsloser einfach nur aufs Amt gehen, ein paar Formulare ausfüllen und kann dann seine eigene Wohnung beziehen. Tut er das nicht, lebt er offenbar freiwillig auf der Straße. Ganz so einfach ist es häufig allerdings nichts.

Einerseits sind die Ämter vielerorts überlastet und auch der Wohnungsmarkt ist derzeit sehr angespannt. Bezahlbarer Wohnraum ist schwer zu finden, auch wenn er vom Staat bezahlt wird. Andererseits treten viele Wohnungslose den Weg zum Amt gar nicht erst an – aus Scham, aus Trotz, aus Hemmungen. „Als Obdachloser ist man ganz unten in der Gesellschaft angelangt – man wird ausgegrenzt, stigmatisiert und teilweise auch kriminalisiert. Deshalb ist es eine unheimliche Schwelle, sich mit Behörden oder dem Staat anzulegen – zum Beispiel um eine Wohnung zu bekommen“, erklärt Armutsforscher Christoph Butterwegge.

Wo finden Wohnungslose Hilfe?

Wer wohnungslos geworden ist oder einem Wohnungslosen helfen möchte, sollte sich am besten an eine ambulante Beratungsstelle der Wohnungslosenhilfe wenden. Wo sich die nächstgelegene befindet, verrät die Caritas-Onlinesuche.  

 

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